Dienstag, 9. Juli 2013

Vertraute Stimmen

Von den 18 Parteien im Münchner Glashaus kenne ich fünf so, dass ich sie  e r kenne, aber kaum Ansatzpunkte für einen Small-Talk finde. Man hört und sieht nichts voneinander. Selbst über den Metzger, den nordafrikanischen Lebensmittelhändler und natürlich über meine Lieblingsfriseurmeisterin weiß ich mehr als über meine unmittelbaren Nachbarn...

Hier auf der Burg sitze ich mit meinem Stuhl im Schatten der Piazza und einer nach dem anderen kommt trotz meiner lausigen Italienisch-Kenntnisse auf einen Plausch vorbei. Was ich in der Großstadt nicht habe und eigentlich auch nicht vermisse, habe ich auf der Burg   reichlich, und das gibt mir tatsächlich ein heimeliges Gefühl. Es ist sogar so, dass ich morgens regelrecht süchtig danach bin, die diversen Stimmen zu erkennen, wenn unser Dorf erwacht.

Das ist so zwischen sieben und acht, wenn wir - medikamentös bedingt - meist noch anderthalb Stunden rumdösen.

Die zwei deutschen Paare zwischen 80 und 65, die nur durch eine Gasse von uns getrennt meist schon früh auf ihren Balkonen sind, tauschen schon mal von dort aus aus, was so ansteht. Das eine - aus Franken - signalisiert durch die abgeschliffenen Vokale und Konsonanten in ihrem Idiom ungestresste Gemütlichkeit, während Martina mit ihrem glockenhellen Lachen bereits nach permanenter Unternehmungslust kling. Jochen, ihr Mann, kommentiert spärlich mit seinem unverkennbaren Bass. Er ist der Ruhepol.

Egal welchen Alters die italienischen Nachbarn sind, um diese Uhrzeit sprühen sie schon voller Temperament. Bei Giovanna und Falco vom unteren Eingang zur Gasse stelle ich mir gerne vor, was für ein prachtvolles Gesangsduo sie abgegeben hätten. Falco, der heuer 80 wird, hat einen Bariton mit kehligem Nachhall und seine um einiges jüngere Giovanna spricht ihren Dialekt mit einer Altstimme, die aus einer Klangschale zu kommen scheint.

Was mich zu der generellen Überlegung verleitet, ob eine Ehe-Harmonie, die bis ins hohe Alter anhält, sich vielleicht auch auf das Zusammenwirken der Stimmen auswirkt...

Bei Ludovico und Georgina, die erst seit kurzem permanent zusammen leben, ist das nämlich noch nicht der Fall. Dazu ist Ludovico derzeit viel zu gestresst. Seit Wochen dröhnt er mit harscher Stimme - empfangsbedingt von der Piazza aus - in sein Handy, um seinen Arbeitgeber zur Zahlung seiner ausstehenden Gehälter zu bewegen. Da bleibt wohl kaum Stimme für Liebensgeflüster.

Signora Girasole, die wir neulich beim nächtlichen Überfall ganz schrill gehört haben, ist inzwischen wieder bei ihrem tiefen Timbre angelangt, mit dem die mehrfache Großmutter seit Jahren die Männer der Umgebung ganz wuschig macht.

Signora Electra, die Seelensammlerin, wird ihre Stentor-Lehrerinnenstimme – egal wie gebrechlich sie noch wird – trotz aller Gottesfurcht und Sanftmut wohl bis zum letzten Atemzug behalten...

Wer meine Theorie von der Stimmen-Harmonie altgedienter Ehepaare ins Schwanken bringt, sind  ausgerechnet die Musikprofessoren auf den Burgzinnen gegenüber: Er eher leise sotto voce, sie allegro vivace und sehr dominant. – Aber das kenne ich ja von der Zweitbesten und mir: Abgestimmt klingen wir ja wohl auch ganz anders.

Übrigens wenn wir die immer fröhliche Stimme von Gabriella hören, kommt das schlechte Gewissen. Wenn ihr „Posta! Posta! Ciao Obelix! Oggi niente! A domani!“ in die Akustik der  leeren Piazza gerufen wird, wissen wir, dass wir mal wieder zu zu lange im Bett gelegen haben. Unsere Postina lehrt nämlich den Briefkasten zwischen 10 und 11 Uhr...


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