Dienstag, 9. Juli 2013

Der Grillmeister

Die Zweitbeste und ich exponieren unsere aus der Form geratenen Körper ja nicht mehr allzu gern am Strand. Und wenn, dann warten wir bis Ende September die ganzen jungen und schönen Menschen verschwunden und die Strände vereinzelt mit unseresgleichen belegt sind. Was uns dennoch jetzt an einem Samstag nach Santo Stefano zieht, hat mehr etwas mit Nostalgie zu tun.

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat sich in dem Küstenort, der nahezu übergangslos mit Riva Ligure verwachsen ist, eine Menge getan – abgesehen davon, dass der Rad-Fernwanderweg auch hier vorbei führt. Aus der zerklüfteten, felsigen Ufer-Anlage ist nach und nach durch Verbauungen ein Strandparadies mit Flachwasser-Zonen für die Kleinen und Sandstränden mit Sperrmolen geworden. So sehr sich der Ort auch verändert haben mag, das Publikum ist gleich geblieben. Wenn wir in unserem dortigen Lieblingsrestaurant sitzen, das eine über den Strand gebaute Terrasse hat, tauchen wir ein in eine Atmosphäre, mit der uns die Dolce-Vita-Filme in den 1950ern süchtig nach Italien gemacht haben:

Ein vorbei fahrender Obst-Lastwagen preist über einen alles übertönenden Lautsprecher an, dass er Pfirsiche, Erdbeeren und Melonen in Steigen für nur fünf Euro an die Strandbrutzler verhökert. Gerade erblühende Mädchen schlecken auf der Promenade mit dem Hintern wackelnd an riesigen Eistüten und unüberschaubare Familien-Verbände schwappen mit Gummi-Srandgetier, Schlauchbooten und sonstigen Utensilien wie die Gezeiten zur Mittagszeit hinauf in die Quartiere und dann nach der reposa wieder runter.

Ein Restaurant in dieser Lage muss ein Bomben-Geschäft sein. Dennoch hat wieder einmal der Besitzer gewechselt. Jetzt wird es vom Italienischen Pizza-Meister 2011 geführt, der auch Fixpreis-Menüs rund um seine Ofen-Kreationen anbietet. Die Befürchtung, dass darunter die Qualität gelitten haben könnte,  war jedoch unbegründet. Der Pizzamann und sein Grillmeister verstehen ihr Handwerk, und das zu Preisen (in der Hochsaison!), die wegen der Riesenportionen mehr als reell sind...

Aber – wie schon angedeutet – wegen des Essens fahren wir ja nicht dahin. Mir geht es in erster Linie um das Einfangen von seltenen Exemplaren für den Menschen-Zoo in meinem Gehirn. Und da war ich diesmal überaus erfolgreich. Weil der Grillmeister des Restaurants jedes Stück auf meiner überbordenden Grillplatte (Lammschulter, Angus-Tagliata, Wachtel und Stubenküken) auf den Punkt genau von der glühenden Holzkohle genommen hatte, habe ich das erspähte Exemplar nach ihm benannt – zumal das Verhalten meiner Entdeckung ja auch irgendwie mit dem Grillen zu tun hatte.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ältere Leser ja noch an Federico Fellinis Meisterwerk I Vitelloni.  Den Jüngeren sei es empfohlen, weil cinematografisch niemals farbiger in schwarzweiß erzählt wurde. Als Vitelloni werden jene in die Jahre gekommenen, unverheirateten Männer bezeichnet, die das Hotel Mama partout nicht verlassen wollen, - und die dann irgendwie komisch werden.

Genau so ein Exemplar stand  unmittelbar unter uns auf seinem Handtuch und reichte seinen Körper ohne Schattenpause der prallen Sonne dar: Sein käseweißer Körper (offenbar mit der höchsten Sunblocker-Stufe eingecremt, denn in geschlagenen drei Stunden hatte sich an seinem Teint nichts geändert) war mit einer derart schlabberigen, weißen Unterhose bekleidet, dass man ein wenig Angst bekam, bei den Übungen könnte der Familien-Schmuck versehentlich mal herausrutschen. Auf dem Kopf hatte er quasi als Krönung ein an den Enden vierfach verknotetes Taschentuch – und  das in den Zeiten von Baseball-Kappen und Rapperhüten!

Jedenfalls ging der Mann beim Sonnenbaden so gründlich vor, dass man ihn sich in der Alltagsbeschäftigung als gewissenhaften Buchhalter vorstellen konnte: Nach einem genauen Zeitplan drehte und wendete sich der Mann senkrecht um die Achse zur Sonne hin. Dabei exakt auf den Wechsel zwischen Stand- und Spielbein achtend, gab er quasi die Karikatur einer römischen Marmor-Statue. Nach sechs Umdrehungen legte er sich jeweils mit gespreizten Oberschenkeln aufs Handtuch, und nicht nur die Zweitbeste war dann froh, dass die Sonne dabei auf der anderen Seite stand...


Wir wissen nicht, wie die Prozedur letztlich für die Vitelloni-Haut ausgegangen ist, und ob Mama am Abend ihrem Liebling feingeschnittene Scheiben von grünen Tomaten zur Linderung hat auflegen müssen. In unserer Erinnerung bleibt er jedoch ewig weiß - als der Grillmeister.

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