Mittwoch, 31. Juli 2019

Drei Paare am Strand

Es ist lustig, wenn die Gewohnheit mal eine mediterrane Einfärbung erfährt. Normalerweise treffen wir drei Paare uns im nasskalten Herbst visavis von der Oper in München. Wir haben gemeinsam einige Jahrzehnte Nachbarschaft auf der Burg in unseren langen Lebensläufen. Diesmal haben wir uns aber hier im stylischen Altamarea am Hauptstrand von Porto Maurizio getroffen

Eva und Fritz regierten quasi von den Zinnen der Burg, bis sie an das Professoren-Ehepaar verkauften, das ihnen ja alle Ehren macht. Hoch auf die Piazza kommen, wollten sie dennoch nicht mehr. Weil ihr - aus heutiger Sicht - unnötiger Abschied immer noch schmerzt. Heute, er über 80, sie in den fortgeschrittenen 70ern bereuen sie, dass sie ihrem Alter zuwenig Zutrauen geschenkt haben.

Luftig lustig im Meer von Schirmen und Liegestühlen.
Aber man sieht es noch: Mare Nostrum.
Thalatta! Thallatta!
Auf die ligurischen Momente müssen sie dennoch nicht verzichten, weil ihre Tochter mit Ehemann im zur Gemeinde zählenden Nachbar-Ort eine Ferien-Bleibe mit Gärtchen gekauft hat. Zu ihrem 60. Hochzeitstag sind sie diesmal allerdings schon per Bus angereist. Dreizehn Stunden mit Umsteigen in Mailand und großzügiger Pause. Hier in den Bergen können sie sich auf das Netzwerk ihrer Freunde verlassen, das sie allenthalben fährt, weil der öffentlich Bus mittlerweile den gesamten Talkessel umrundet und dafür zweieinhalb Stunden nach Imperia hinunter braucht. Als wir sie wieder ganz nach Hause fahren wollten, bestanden sie darauf, vom Hauptort zu Fuß weiter laufen zu wollen. Gur zwanzig Minuten teilweise bergauf in der Hitze des Nachmittags. Ein Verdauungs-Spaziergang?

Paul und Paula verbringen hingegen noch jedes Jahr drei Monate in ihrem tollen Haus im Borgo. Zu Ostern, jetzt im Juli und dann noch im September/Oktober. Paula ist zu klein und zierlich, um sie als Betriebsnudel bezeichnen zu können. Jedenfalls ist sie ein Energie-Bündel, das Rasten und Rosten nicht zulässt.  Wenn sie nicht am Strand sind, wo sie ein Abo mit Kabine, Liegestühlen und Schirm haben, stöbert das Paar auf Antikmärkten, Shoppen in Sanremo oder spielen - so es die Temperaturen noch zulassen - Golf. Paul ist gerade 80 geworden, Paula ist so alt wie Eva. Zwar Urgroßeltern sind sie - was Styling und Outfits angeht - immer noch die perfekten Strand-Menschen. Paul würde gut zu den heutigen "Beach Boys" passen.

Da kommen wir uns mit unserem Jahrzehnt weniger auf den Buckeln schon als echte Langweiler vor.
Aber! Ich habe meine Portion vom Meer und von der Welt gehabt, und die waren meist ruhig und eher menschenleer. - Wenn ich an die Allein-Fahrten mit meinem Fischerboot und die beruflichen "Entdeckungsreisen" auf allen Kontinenten denke. Und mein "Schnauferl" (es ist wieder über 30 Grad) war für Abenteuer ohnehin nicht geschaffen. Sie ruht mehr in sich, und hat - sei es gedankt - als ehemalige Buchhändlerin das Lesen wiederentdeckt.

Aber wir hören gut zu, wenn die beiden anderen Paare über Lebensplanung reden und wie sie die oder jene Situation gemeistert haben. Denn wer weiß, was noch alles auf uns zukommt. Und wir wollen dann natürlich so toll sein wie unsere Freunde.

Schon jetzt freuen wir uns auf ein Wiedersehen im Spätherbst. Die Zeit rennt ja so schnell voran.

Montag, 29. Juli 2019

Akademie der MückInnen

"Isn't It Ironic?" Der Song von Alanis Morissette aus dem Jahr 1995 scheint zur Hymne meiner letzten Jahre als Texter geworden zu sein. Was daran liegt, dass ich oft selbst nicht genau weiß, wie ich mein Geschreibsel meine. Zwar habe ich nie eine Fliege in meinem Chardonnay, geschweige denn im Lotto gewonnen, um an nächsten Tag zu sterben. Aber irgendwie folgt in jüngster Zeit auf Streichel-Einheiten gleich immer eines "in die Fresse", wie Frau Nahles zu sagen pflegte.

Leserinnen und Leser sind verunsichert, ob ich meine Briefe ernst meine oder nicht. Der Schalk im Nacken scheint jedoch mein letzter noch verlässlicher Begleiter zu sein. Deshalb habe ich etwas entwickelt, was man im computerisierten Neu-Deutsch einen "Icon" nennt. So wie mein Hummer kulinarische Themen signalisiert, wird in Zukunft dieser kleine Kerl anzeigen, dass in einem Text von mir wohl nicht alles ernst gemeint ist.

Zum Auftakt steht er für Nachblähungen der Hitze-Welle, die jetzt am Wochenende vermutlich kurz abgeklungen ist. Zuvor aber musste die Piazza mit ihren vielen Pflanzen noch einmal kräftig mit Wasser aus der Fontana versorgt werden. Was ein willkommener Anlass für Mücken-Geschwader war, wieder verstärkt über die Anrainer herzufallen.

Ich werde ja im Vergleich zum "Schnauferl" - wie ich meine Frau bei Temperaturen von über 35 Grad neuerdings gerne nenne - nicht so oft gebissen. Aber wenn ich einmal  an vertrackten Stellen gebissen werde, veranlasst mich das zu der Überlegung, woher die Zanzare ihre detaillierten Kenntnisse von der Anatomie des Menschen nehmen...

Bei den kurzen Lebens-Zyklen kann das ja alleine ein genetische Programmierung nicht sein. Wie wird das an die Folge-Generationen weiter gegeben? Bei einem Opfer wie meiner Frau ist das klar. Sie in ist eine rundum leckere Combat-Zone: kurzärmelig an den Rändern, leicht berockte Knie-Kehlen und einen viel versprechenden Ausschnitt. Da würde ich ja selbst gern zum bluthungrigen Muck.

Aber genau da liegt ja das Problem. Beißen dürfen ja nur die Weibchen, die ihre vegane Kost in Form von Nektar und Pollen ausschließlich für ihre Nachkommenschaft blutrünstig unterbrechen. Das Blut des Wirtes, genauer Hämoglobin und Proteine, sind für die Ausbildung ihrer Eier unabdingbar. Schon allein deshalb  sollten wir uns alle sehr bedeckt halten...

Der Direx meines Gymnasiums, der einen Doktor in Biologie hatte, konnte sich wohl mit seiner gegenteiligen Auffassung zum Begriff "Stechmücke" nicht durchsetzen. Genauso hartnäckig ist das ja mit Stacheln und Dornen. Keiner will das Märchen in Stachelröschen umschreiben, was botanisch korrekt wäre...

Deshalb hier ein wenig weitere Klugscheißerei: Stechen tun Bienen, weil die wie alle stechenden Tiere einen Stachel haben. Mücken jedoch beißen, weil sie im Saugrüssel zwei unwahrscheinlich schnell raspelnde Kiefer-Stangen haben (daher das singende Geräusch der Vorfreude), mit denen sie sogar menschliche Kleidung durchdringen. Der Vorgang des Blut-Abzapfens ist also ein Beiß-Saug-Vorgang mit Injektion von Anti-Gerinnungsmittel und - mitnichten ein Stechen!

Aber das erklärt ja nicht, die Präzision des Beißens an einem Un-Wirt wie mir, bei dem die zukünftigen Stecherinnen für ihre Eier ja einen Haufen medizinisch-chemischer Substanzen in kauf nehmen. Zapfen sie bei mir nun verbrauchtes Venen-Blut ab oder nehmen sie an den eigens übermittelten Plätzen frisch Gereinigtes aus den Adern?

Unten links hinter dem weißen Streifen
der "Audimücks". Ohne Lupe
leider nur schwer zu erkennen:
die StudentInen-LarvInnen
Die Lösung fand ich in den Feucht-Stellen der Fontana, wo ja alljährlich die Sommer-Akademie der MückInnen abgehalten wird. Dank eines großen Fadenzählers aus meiner grafischen Vergangenheit erhielt ich Einblick zu einer Freiluft-Vorlesung für gerade geschlüpfte Larven. Und was glaubt ihr war da an der Tafel zu sehen? Mein schemenhaftes Abbild mit roten Markierungen an den Ellenbogen, den Handrücken und unter dem immer weiter zurück weichenden Haar-Ansatz...

Ich klatsche euch alle ab!

Donnerstag, 25. Juli 2019

Castello ist nicht Jericho

Normalerweise benütze ich meinen Blog ja nicht, um Burggeister madig zu machen, und Klar-Namen benutze ich ja sowieso nicht.

Aber seit die nun Standard gewordene Hitzewelle für schweren, kaum erholsamen Schlaf sorgt, sind auch in Ruhephasen die Nerven gelegentlich angespannt. Genau in diesen Momenten tritt mit Vorliebe die Sanna von der oberen Piazza hier uunten auf. Das heißt, sie tritt eigentlich gar nicht auf, sondern erschreckt einen mit ihrem Posaunen-Organ - egal in welcher Distanz - als stünde sie unmittelbar an der Ruhestatt.

Sie klingelt nicht, sie klopft nicht, sie geht auch nicht in die Häuser, um den gewünschten Kontakt aufzunehmen, sondern plärrt aus einem geschützten Schattenplätzchen heraus die Hausmauern an, hinter denen sie die gewünschten Gesprächspartner vermutet. Gut, dass wir nicht Jericho sind und Sanna alleine agiert, sonst hätten wir einen ganz anderen Verfall.

Aus einem besonderen Grund, den wir bisher nicht herausfinden können, hat sie Fabio - den Müllmann, Fredo - den fürsorglichen Neffen der Seelensammlerin, aber ganz besonders unsere Gesangs-Professoressa als Ziel ihrer ratternden Wort-Salven in Düsenjäger-Lautstärke erwählt.
Was auf der Piazza kein Entkommen bedeutet, da sich die selber ja Stimmgewaltige von Sannas Appellhof-Stakkato vom vierten Stock der Burg-Zinnen nur widerstrebend herunter zwingen lässt.

Ich habe längst aufgehört, mir aus diesem ratternden Gemisch aus ligurischem Dialekt und italienischen Vokabeln einen Reim zu machen. Ich warte nur immer furchtsam auf das heischende "Aäääh???" vor jedem Luftholen zum nächsten Satz, das wie ein Stich im Trommelfell wirkt.

Da mokiert sich der Richtige, werden Leser denken, die mich persönlich kennen. In der Tat habe ich ja auch ein tragendes Organ, das man leicht im gesamten Borgo hören kann. Aber ich liege ja immerhin zwischen sieben und neun Uhr morgens verlässlich und auch wehrlos in meinem Bett.

Und weil ich als Bock nicht den Gärtner geben will, verzichte ich auf all den Klatsch und Tratsch, der sich um die kleine, altblonde Sanna mit dem Mops-Gesicht rankt. Stimmt nur die Hälfte, entwickelt einer wie ich natürlich sofort Verständnis, und das will ich in solch nervtötenden Momenten auf keinen Fall entwickeln...

Mittwoch, 24. Juli 2019

Lo Borgo - ein sozialer Gleichmacher

Hier auf der Burg tauschen sich mitunter Leute ausführlich aus, die vermutlich in der Großstadt keine zwei Worte mit einander wechseln würden.

Aus meiner Jugend und als Heranwachsender im Dorf, das bereits vom Großvater als Rückzugsort der Familie auserkoren war, erlebte ich solches nur noch teilweise. Einerseits, weil das Dorf auf meinem Weg zum Erwachsenen zur größten Marktgemeinde der Bundesrepublik heran wuchs, und andererseits, weil es dann doch eine Art zugezogene Oberschicht gab, die nur auf dem Tennisplatz oder der Skipiste durchbrochen wurde. In der Sauna beim ehemaligen Eishockey-Star schwitzten und ratschten dann zum Beispiel an gewissen Tagen nur Leute nackt im Aufguss, die etwas bewegten oder Honoratioren waren.

Wieso ich dabei war, lag an der familiären Herkunft und wohl noch eher an meinem Beruf. Immerhin war das ländliche Umfeld mit der starken touristischen Komponente noch vielmehr sozial gleichmachend als die Großstadt in deren Speckgürtel wir mit wachsender, eigener Familie zogen.

Hier im Borgo mussten wir uns schnell daran gewöhnen, dass jeder mit jedem und jeder über jeden redet. Dazu musste man natürlich die Sprache besser beherrschen, oder zumindest den Mut aufbringen zu radebrechen. Aber gerade dieses Stammeln baute Brücken.

So bekam meine Frau in den Anfangsjahren auf unserer Bank noch jede Menge geduldige Nachhilfe von der ehemaligen Sammlerin buntester Jogging-Anzüge, während ich mich mit den einheimischen Spezialisten durch das Vokabular des Häuslebauens ackerte. Von Anfang an hatte ich mir vorgenommen, nur mit Leuten von hier zu renovieren. Als ich alle nach dem ersten Abschnitt zu einem typischen ligurischen Gelage einlud, scheute ich mich auch nicht, eine kleine Ansprache in meinem Speisekarten-Italienisch zu halten.

Diese Erfahrung hielt jahrelang vor, und erinnerte mich an das Richtfest meiner Eltern in ihrem Dorf. Da waren die Hälfte der Männer am Bau im Winter Skilehrer. Sie hatten sich deshalb auch nicht gescheut meine Mutter, die sie vom Hang kannten, in eine Falle zu locken, bei der sich ein riesiger Kübel kaltes Wasser vom Dachstuhl herunter über sie ergoss.

Das war wohl hier nicht Sitte. Leider sind die meisten Helfer von damals mittlerweile verstorben. Aber mit denen, die von damals noch am Leben sind oder ihren Witwen, ergibt sich immer wieder längerer "Gesprächs-Stoff". Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Witwe des unwirschen Ex-Bürgermeisters quasi eine geliebte Nachbarin geworden ist. Und ohne die Witwe unseres singenden Universal-Handwerkers  ginge bei Trouble mit Behörden und Versorgern gar nichts mehr.

Selbst mein stoischer Agnostizismus wurde mir so nahe am Himmel bald verziehen. Aber eines ist bei aller Nähe auch sicher: Wir werden als Ausländer einigermaßen akzeptiert und durchbrechen hie und mal da die traditionelle, ligurische Reserviertheit, aber selbst als Residenten gehörten wie niemals dazu...


Je näher man sich kommt, desto schmerzhafter,
wenn einer aus den Reihen beim
Cena in Piazza plötzlich fehlt.
Auch das muss ein Teil des
sozialen Lebens im Borgo sein.
Letztendlich ist ja der Tod
der sozialste Gleichmacher von allen...

Montag, 22. Juli 2019

.com-Union

Obwohl mein vielseitig begabter Sohn auch in der App-Entwickler-Branche unterwegs ist, also permanent irgendetwas mit Kommunikation zu tun hat, beschränkt er sich innerhalb der Familie sporadisch auf Minimalismus. Das hat er von seinem Großvater, der die Sozialen Medien vermutlich gerne erlebt hätte.

Sohnemann in Realitas bald 38
Und dann hat der Filius sich mal gemeldet und jagt mir einen derartigen Schrecken ein:
Seit unserer letzten realen Begegnung sind mehr als drei Monate vergangen. Was war ihm nur widerfahren, wenn er mir so ein Bild von sich schickt:
Kann ein Mensch in so einer kurzen Zeit derart altern?
Der lapidar hinzu gefügte Satz:
"Falls du jemals Zweifel an Deiner Vaterschaft gehabt hättest..." Sollte mich eigentlich stutzig gemacht haben. Aber da hatte die Besorgnis wegen FaceApp noch nicht die weite Cyber-Welt erreicht.

Eine App auf der du Leute auf Fotos algorithmisch täuschend echt altern lassen kannst. - Wer braucht sie schon?


Aber schon wird eben gemutmaßt, dass die Hype bei den Nerds auch ihre  Darkside  haben könnte. Mit dem Gestalten des Alters auf real existierenden Bildern werden eben auch viele persönliche Daten abgefischt, und der Entwickler, Jaroslaw Gontscharow, ist ein bekanntes russisches Mathe-Genie
Der gramgebeugte Erzeuger 70
(siehe auch rechts), aber so
nun im Alter seines Sohnes?...
sowie einer der besten Programmierer der Cyber-Welt.
Ehrlich gesagt, ist mir das wurscht. Denn es geht ja auch umgekehrt, und was haben ich in meinem Alter noch zu verbergen? FaceApp funktioniert nämlich auch retro.

Das Ergebnis allerdings erinnert mich an einen Aufschrei meiner damals noch nicht datenaffinen  Kids, als ich mir im Italien-Urlaub einmal meinen Bart abrasiert hatte:
"Pappi du siehst aus wie ein Nilpferd-Baby!"

Freitag, 19. Juli 2019

Viel Schweiß zum kleinen Preis

Auch mit gewisser Systematik bleibt das Kärrnern
durch den Borgo ein schlecht bezahlter Knochen-Job
Lektionen zur Verhältnismäßigkeit  einzusetzender Mittel bekommen wir Teilzeit-Dörfler aus der Fremde von unserem  Borgo immer dann erteilt, wenn Not am Mann ist:
beispielsweise wenn Sanitäter einen Mitbürger aus seinem verwinkelten Haus in einer engen Gasse holen müssen. Oder die Feuerwehr muss in Einzelkämpfer-Manier einen Brandherd bekämpfen.

Weil solches aber nur selten passiert, denken wir auch nicht weiter darüber nach, was an Einsatz erforderlich ist, wenn die historischen Mauern nicht nur in unseren Häusern bröckeln.

Links und rechts vom tragenden Felskamm haben die Unwetter der vergangenen Jahre und die vergleichsweise harten und langen Winter mächtig Schaden an den Mauern angerichtet, die das Erdreich unter uns in Form von historischen Faschen stützen. Was haben wir die Nachbarn beneidet, die einen Garten vor oder hinter dem Haus haben, und wie sehr haben wir die minuziös geschichteten Trockenmauern bewundert. Aber nachgedacht darüber, wie sie errichtet und wie das Gestein heran geschafft wurde, haben wir nicht.!

Abgesehen davon, dass es in der Gemeinde nur noch wenige gibt, die sie errichten könnten, fehlt es auch an Menschen die bereit wären, diese extrem körperliche Arbeit zu verrichten. Die Leute mit den Mauer-Schäden sind meist reich an Latifundien, aber arm an Bargeld. Im Alter erhalten sie die meist magere Rente der Landwirtschaft-Genossenschaft. Schon da müssen meist die Verwandten, die einen besser bezahlten "Kragen-Job" haben, einspringen.

Wenn also die vermeintlich reichen Ausländer Grund haben, der von so einer Gemeinschaftsmauer gestützt wird, kommt es schnell zum Versuch, denen Kosten und Arbeit anzulasten. Es ist also angebracht, sich bei der rechtlichen Lage schlau zu machen, ehe man über die Mauer gezogen wird.

Freunde von uns mit einem der schönsten Häuser im Dorf und einem herrlichen Terrassen-Garten sind gerade in so einer Situation. Seit Tagen queren wechselnde Tagelöhner unsere Piazza mit Schubkarren voller Sand und Zement, die sie vom oberen Parkplatz holen. Das ist der einzig mögliche Transportweg. Der erste Teil in der Haupt-Gasse geht 150 Meter steil bergab, aber dann kommen die Stufen zu uns hoch und es folgt ja noch das 150 Meter lange Zickzack bis in den tief liegenden Garten. Bei der Hitze ein mörderischer Sklaven-Job, für den selbst ein so gewitzter Baustellen-Beherrscher wie unser Freund einen Vermittler einschalten musste.
Der Erste "Handlanger" war sichtbar langsam und rein körperlich eher nicht für diesen Knochen-Job geeignet. Der Zweite ein junger, durchtrainierter Einheimischer schaffte die dreifache Frequenz, kam aber am nächsten Tag nicht wieder. Nun hält sich den dritten Tag ein Mann aus Tunesien, der offenbar jede erforderliche Bewegung verinnerlicht und den Kraft-Einsatz systematisiert hat. Seine Frequenz lässt sich daher leicht errechnen. Er schafft stoisch im 10-Minuten-Rhythmus 48 Fuhren pro Tag, was einem eine Vorstellung von den Ausmaßen der zu reparierenden und teilweise neu zu errichtenden Mauer verschafft.

Obwohl ich mich im Sport über lange Zeit bis zur Erschöpfung verausgaben konnte, habe ich körperliche Arbeit derart verabscheut, dass ich ihr meist geschickt aus dem Weg ging. Nur im Zivilen Ersatzdienst war mir das nicht gelungen. Als Küchenhilfe eingesetzt musste ich im Krankenhaus täglich acht Zentner Kartoffeln aus dem Keller hochfahren, in den Schäler geben,  die geschälten zu den Nach-Schälerinnen schleppen und dann das Fertig-Gut portioniert und entsprechend sortiert zu den Köchinnen transportieren. Im Vergleich zu dem Kärrner hier, war das aber  lächerlich. Und  wenig später musste ich noch ein komplettes Schwesternheim des Roten Kreuzes mit Möbeln bestücken. Aber diese Schufterei lohnte sich wenigstens in anderer Hinsicht...

Deshalb war meine Diskussion über Mindestlöhne hier mit der ehemaligen Personal-Chefin aus der Schweiz auch für die Katz. Ich war als Arbeitgeber in den Augen meiner, die Finanzen ordnenden Frau, sowieso immer viel zu großzügig. Deshalb hätte ich auch als Mauer-Beauftragender hier aus Mitleid viel zu viel ausgegeben.

Merke! Nicht nur in den ligurischen Bergen gilt der für körperliche Arbeit schlichte Grundsatz:
Viel Schweiß zum kleinen Preis.
Das konterkariert den Spruch, mit dem man mich als Kind immer angespornt hat:
Ohne Fleiß kein Preis!

Hallo Herr Salvini! Wer - glauben Sie - kommt hier hoch, um diese Arbeiten zu verrichten, wo die Landbevölkerung sich ständig ausdünnt und die jungen Leute fehlen? Wo werden im anstehenden Herbst mit wem die Ernten eingebracht? Von versklavten Migranten nämlich! 
Da werden ja die ausgebeuteten Erntehelfer in Deutschland noch geradezu fürstlich entlohnt.

Mittwoch, 17. Juli 2019

Fai da te!

Eigeninitiative in etwas hölzerner Perspektive

Fai da te! Help yourself! Machs doch selbst! Gemeiner Weise könnte man behaupten, die Italiener hätten schon von Geburt an einen Hang zur Selbstbedienung. Aber präziser ist, dass sie sich eigentlich in Notlagen und bei Problemen immer gut zu helfen wissen. Conoscersi, Meister im improvisieren zu sein, das zeichnet sie aus, genau wie ihre Fähigkeit, noch wenn es schon bröckelt,  am offenen Grab ausgelassen tanzen zu können. Keiner meiner italienischen Nachbarn, der außer seinem eigentlichen Beruf nicht auch noch über diverse alternative "Fachkenntnisse" verfügte...

Die Kultur-Beflissenen unter diesen derart mehrfach begabten Burg-Geistern streben für diesen Sommer in Eigeninitiative eine Belebung des musischen Lebens hier oben an. Anfang macht eine Autoren-Lesung samt Buch-Vorstellung in unserer  historischen Mehrzweck- Bibliothek, die "Ugo der Bewahrer" unter seinen Fittichen hat. Von dort startet wenig später auch noch eine kundig geführte "planetarische Wanderung" am Nachthimmel über der Burg. Und dann gibt es einen Tag nach Ferragosto auch noch ein Platz-Konzert mit ligurischer Volksmusik. Wieder in der Bibliothek folgt letztlich der deutsche Beitrag zum "klassischen" Sommer-Ende mit Violine und Piano:
Die Teilnahme der Leute aus dem Hauptort ist dabei schon bei früheren Veranstaltungen wie Theater oder Filmabenden auf der Piazza Castello immer recht zahlreich gewesen. Wäre ja auch ohne Darbietungen eine traumhafte Kulisse...

Immer eine gute Situation, wenn komplizierte Arbeit bei Baustellen ansteht: einer werkelt,
während die anderen die Vorgehensweise diskutieren...
Umso mehr hat es mich überrascht, als vor ein paar Tagen Nachbarn im prallen Sonnenschein probierten,  aus verschieden langen Metall-Rohren ein Gestänge zusammen zu schrauben, das als Podium für die Volksmusik-Gruppe dienen soll. Ich fragte ahnungslos, wieso die Gemeinde nicht das vorhandene Holzpodest zur Verfügung stelle. Immerhin hat das ja vor einigen Jahren den Jazz- und Blues-Abend samt Klavier etc. sicher getragen. Und damals hätte man doch auch den Verteiler-Kasten für den Strom angezapft und nicht irgendwelche Überlegungen wegen der Leitungen anstellen müssen. Auch, dass die Gemeinde ihre Bestuhlung zur Verfügung stellen würde, nahm ich als sicher an. Nichts dergleichen!

Das sei ja eine Privat-Initiative war wohl die Antwort der Gemeinde an die stets suspekten Burgbewohner. Ja. bei unseren fitten Burschen geht es dann eben auch ohne Gemeinde. Fai da te, wird zum lo faciamo noi!

Aber weil ich dann schon mit den Sticheleien und der eigentlich idealen Gelegenheit für den neuen Sindaco bei seinen Bürgern zu punkten, weiter machte, trat ich so einiges los. Leider konnte ich das bislang noch nicht alles nach recherchieren.

Mehr über die Wiederbelebung beispielsweise der Konsortium-Straßen also demnächst.

Montag, 15. Juli 2019

Chiantiii, Chiantiiiiiii iiiiiiiiiih!!!!

Keine Bange der alte Knabe schreit hier nicht nach Premium-Rotwein, um den tausendsten Post seiner beiden periodischen Blogs zu feiern. Das wollte er eigentlich ganz in Ruhe tun.

Aber dann hatte er die Idee, seiner stolzen Schweizer Freundin für die vielen netten Gaben der vergangenen Wochen zum Geburtstag ein besonderes Geschenk zu machen: einen ebenso stolzen Hahn, der ihr abends die zehn freigeistigen aber fleißigen Legehennen im Gelände einfängt...

Es musste natürlich ein "Gallo Nero" sein. Das hatte ich mir eingebildet. Aber ohne die Schweizer Garde wollte ich das nicht machen, denn schließlich musste er ja ihr gefallen...

Wir fuhren also nach Diano Marina, um den bestellten Vogel in aller Frühe - wegen der Hitze - beim Händler abzuholen. Für 15 Euro erwarb ich den schönsten Hahn, den ich jemals gekauft habe. War ja auch der bislang erste und einzige. Wobei klar ist, dass "Chianti" - so durfte ich ihn taufen - an Schönheit, Majestät und Angriffslust eh kaum zu überbieten wäre.

Für Leser und Leserinnen, die keine Rotwein-Spezialisten sind, sei noch gesagt, dass der "Gallo Nero" das Güte-Siegel für den toskanischen Chianti Classico ist. Die schöne Schweizerin bevorzugt rote Weine.

So ganz ohne Gegenwehr wollten allerdings die emanzipierten Legehennen ihr Matriarchat nicht aufgeben. Sie fielen zur Begrüßung erst einmal alle gemeinsam  über den Stolzen Ritter her. Dabei büßte er derart drastisch einige seiner schönsten Schwanzfedern ein, dass er auf den ersten Bildern in Freiheit noch ganz schön gerupft aussieht. Als Frauchen jedenfalls in ihrem Amt als Oberhenne danach zu uns auf die Piazza kam, hatte sie Zweifel und Angst, das Geburtstagsgeschenk könne ihren eigentlichen Geburtstag nicht erleben.

Aber es ist ja auch im Hühnerstall so wie im richtigen Leben: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Am Abend saß "Chianti" mit seinen zehn Mädels friedlich auf der Stange. Von denen heißen übrigens die letzt gekauften Fünf alle Beatrice, weil man sie da schon nicht mehr auseinander halten konnte...

Solange mir die Themen derart zuflattern, werde ich wohl noch eine Weile weiter posten. 1000 ist ja auch nur eine Zahl. Noch kann man leicht zu den Anfängen zurück. Also bleibt mir alle da draußen in der Welt weiterhin gewogen.

P.S. Chianti in gefiederter oder gekelterter Form bleibt von nun an natürlich ein reich bebildertes Dauerthema. Hier:
"Chianti" mit seinen Beatrice". Die Schwanzfedern müssen natürlich noch nachwachsen...

Donnerstag, 11. Juli 2019

Im Geviert

Zur Zeit bin ich nicht gut zu Fuß. Kein Wort über die Ursachen der Schmerzen, wenn andere viel mehr leiden müssen. Wenn die Pein nachlässt, werden auch hoffentlich meine Radien wieder weiter. Meine Schweizer Freundin hat mir einen alten Deck-Chair samt Auflage geschenkt. Den rücke ich mir im tiefen Schatten der nachmittäglichen Piazza zurecht. Das wäre eine ideale Gelegenheit zu lesen. Aber ich lese nicht mehr.
Denke im Geviert: nach oben offen und noch nicht eingeengt
Was ist aus dem Kerl geworden, der trotz erheblicher beruflicher Belastung ein bis zwei Bücher pro Woche gelesen hat, und mehr als tausend verschenken oder entsorgen musste, als er hierher zog?

 Noch bevor er sein vielversprechendes Linguistik-Studium im Examens-Semester abgebrochen hatte, lud mir mein Sohn über das "Gutenberg Projekt" die Säulen der Amerikanischen und Englischen Literatur im Original auf meinen Reader. Ich habe auf ihm dann vieles noch einmal, manches erstmals gelesen. Am Ende war ich entsetzt, wie manipulativ das "Creative Writing" im Vergleich zur Classic doch ist, und was dann noch obendrein ehrgeizige Übersetzer daraus gemacht haben... Der Reader ist längst aus der Mode und verstaubt irgendwo. Elektronischer Schrott mit Weltliteratur-Daten!

Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich keine Neuerscheinungen mehr lese, und sich mittlerweile hier auf der Burg und in München über 30 geschenkt bekommen habende und von mir nicht gelesene Bücher stapeln. Klar, das "Binge Watching" in den Streaming-Diensten trägt schon auch zur Lese-Unlust bei. Aber in erster Linie ist es mein Analysieren, das mich von den ersten Zeilen an nervt. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren und mich auch nicht allein auf die Schönheit der Sprache einlassen, wie noch vor ein paar Jahren.
Bin ich engstirnig geworden? Ich glaube nicht.

Wie ein Berserker habe ich "Die Geschichte des Westens" von Heinrich August Winkler - meinen letzten Groß-Lesesturm  - durchgeackert. Bis zum letzten Drittel von  Band 3 im vergangenen Jahr. In dessen Sequenz finde ich ja auch mich "augenblicklich" in eigener, sich im Heranwachsenden veränderter Perspektive auf die zeitgenössische Geschichte wieder...
Plötzlich tauchten wie Wochenschau-Filme die Vorkommnisse wieder vor meinen inneren Augen auf. Ich war wohl sehr früh an der immer bedrohlicher werdenden Weltlage interessiert: Suez-Krise, Ungarn-Aufstand, die Kuba-Krise, die Ermordung Kennedys. -  In der Nacht vom Einmarsch der Russen in Prag hatte ich zum ersten Mal Sex. Nun liegt der vierte und letzte Band von HAWs einzigartiger Fakten-Sammlung immer noch verschweißt hier auf meinem Schreibtisch. Soll ich mir das tatsächlich noch antun? Die Gegenwart aus der Sicht des Forschers? Was wenn der Frieden vor unserer Haustür im Sinne Homers eine Chimäre ist, die darauf wartet, uns zu verzehren...

Die schiere Erkenntnis, dass nichts Geschriebenes, Erforschtes und auch nichts Faktisches den Lauf der Geschichte jemals dauerhaft zum Besseren gelenkt hätte, lähmt mich. Vor allem wenn sie sich dann auch noch ohne Zwang im Bösen wiederholt

Da liege Ich nun im Geviert unserer Piazza und starre in das unendliche Blau. Ich erfreue mich an den letzten wirbelnden Mauerseglern (die Weibchen brechen immer erst so zehn Tage später als die Männchen nach Südafrika auf), an dem  Raufuß-Bussard mit seinen mächtigen Schwingen, der hoch oben fliegend, gleitend erst zum Stillstand kommt, dann rüttelt und beim Erspähen eines Beutetiers als schmaler, gefiederter Pfeil der Erde entgegen jagt. Ich sehe als silberne  Splitter all die Ferienflieger scheinbar langsam ihre Bahnen ziehen. So überschaubar ist hier  noch immer die Welt über uns.

Und dann schweifen meine Gedanken schon wieder ab in die Zukunft: Wird es in ein- zweihundert Jahren - wenn es die Erde dann noch gibt - einen Geschichtsforscher geben der diesen"Wundersamen 70jährigen Frieden in der westlichen Welt" ähnlich mirakulös analysiert, wie seine Vorgänger einst den 30jährigen Krieg?

Fragen über Fragen, die dann vermutlich durch Science Reality längst gelöst sind, und die Kinder dieser Zeit staunen ungläubig über die Naivität von Jules Vernes "Die Reise zum Mond".
Aus dem ersten persiflierenden Film
"Die Reise zum Mond" von 1902.:
Star Film von  Geo Méliès
Doch Literatur - sie fliegt ja bereits im unendlichen Weltraum in Kapseln herum -
wird es in jedweder Form ewig geben. Selbst wenn ich, sie zur Zeit links liegen lasse...

Da trifft - was ich von mir niemals gedacht hätte - zur Zeit leider der altbayrische Journalisten-Spruch zu:



Dös bisserl was i lies, schreib i ma selm.

Mittwoch, 10. Juli 2019

Auf! - Und ab geht es!


Von unserer Terrasse aus spielen sich im dichten Geschwader Szenen ab,
die an den Film "Luftschlacht über England" erinnern

Kaum geht das Jahr in seine zweite Hälfte, bereiten sich die ewig Rastlosen auf ihre Abreise vor. Die jungen Mauersegler sind flügge, und so bald sie einigermaßen kurven können, beginnen die Trainingstage mit den Älteren. Unser Burghof ist nicht nur das Übungs-Fluggelände für engste Manöver. Hier wird in den Mauerlöchern das richtige Anfliegen in Hochgeschwindigkeit für den Unterschlupf geübt. Wir wundern uns immer, dass keines der Jungtiere sich jemals in eines der weit offenen Fenster verirrt. Bei unserem Haus scheinen sie zu sehen, dass da Zanzarieren also (Moskitonetze) davor sind. Nicht so bei den Zinnen gegenüber: aber da fliegen sie auch nicht rein. Stattdessen suchen sie sich Lücken, die eigentlich nicht fürs Nisten tauglich sind und bleiben dabei mitunter in Stromkabeln hängen. Was zum Überlebenskampf werden kann, denn Körperkraft haben die Winzlinge ja so einer Klemme nicht entgegen zu setzen. Bis jetzt ist ihnen die Befreiung aber durch geschicktes Zappeln immer noch gelungen..


Abends dann der gesteuerte Gruppen-Flug, der im wahrsten Sinne des Worte im Schlaf beherrscht werden muss. Weil Mauersegler die ja nur klammernd und selten auf dem Boden landen können, auf ihrem Langstrecken-Zug zum Sommer in Südafrika im Fliegen schlafen müssen.

Wenn die Grundregeln des "Mauersegelns" beherrscht werden, geht es auch schon los. Der inneren Uhr gemäß müssen sie in der zweiten Juli-Hälfte los. Ist ja ein weiter Weg, den manche schon nicht mehr auf sich nehmen, weil der Klimawandel ihnen die Mühe mehr und mehr abnimmt und sie zu Standvögeln werden.

Beringte Exemplare der kleinen Jäger brachten es schon derart belegbar auf eine Lebensdauer von 20 Jahren. Da kommt ein ganz schöner Vielflieger-Bonus zusammen...

Buon viaggio amore rondoni!





Montag, 8. Juli 2019

Die heiße "Bullenbeiße"

Nur Nordlichter glauben, heiße Suppen seien etwas für kalte Tage. Sieht der Gourmet einmal von der labberigen, gelierten Kaltschale "Gazpacho Andaluz" ab, gibt es heiße und vor allem scharfe Suppen, die die Hitze-Tage durchaus lindern können. Reisende in Thailand oder auf Sri Lanka können sich da mit dem Lunch oft den Tag retten.

Es war gewiss nicht von Schaden, schon von klein auf große Klassiker der Gourmet-Küche schnabulieren zu dürfen. So konnte ich den Verfall der "Bouillabaisse-Kultur" an den hiesigen Gestaden ein Leben lang  in immer kürzeren Intervallen mit erleben. "Avec les Tantes", wie unsere alljährlichen Cote D'Azur-Besuche in der Kindheit hießen - erlebten wir diese Spezialität von der Canebière in Marseille noch  in Reinkultur und kochten mit, wenn sich die Freundinnen meines Vaters an die vielen Schritte ihrer Zubereitung machten:

Genau die vielen Schritte machten aber dieser "Suppe" den Garaus: Vorgeputzte Meeresfrüchte aus der Tiefkühltruhe, Bisque D'Homard als Suppenwürfel, und nur zur höheren Preisgestaltung ein paar Frischfische hinein, eine Aioli aus der Flasche und Croutons mit Käse betreut -fertig!!!????
In Zusammenarbeit mit der
Frischfisch-Abteilung des Supermercado
lässt sich aus so einem 
Tiefkühl-Meeresfrüchte-Buffet
für wenig Geld eine
"Bullenbeiße" der Extraklasse zaubern,
die dem was die Restaurants heute
als Fake anbieten in nichts nachsteht...


Da könnt ihr gleich für wenig Geld meine

Heiße Bullenbeiße

...wie immer für vier Personen selber kochen.
Wie kommt es zu meiner Verballhornung des Koch-Klassikers? Einige unabdingbare Zutaten für das Original sind wegen der echten roten Farbe eben der Knurrhahn und die Languste (aushilfsweise Langoustine oder Hummer). Beide sind mittlerweile  für die Restaurant-Küche quasi unbezahlbar und für den privat kochenden Gourmet kaum frisch zu bekommen. Trotzdem verlangen viele Restaurants pro Person 50 Euro für ihre Fake-Suppe. Im Original kostet es privat auch soviel. Wer will das schon bei so einem Haufen Arbeit?
Hässlich wie die Nacht finster. Aber im wahrsten
Sinne selten wohlschmeckend:
Der Knurrhahn. Vergangenes Jahr konnte ich der
Versuchung nicht widerstehen und bestellte
ein 2-Personen-Exemplar hier am Kai.
Der Wirt berappte 80 Euro dafür und war sauer,
weil ich ausdrücklich auch den
gegrillten Kopf des Tiers haben wollte.
Hatte wohl gedacht, der Leckerbissen bliebe ihm...

Auf diese Ersatzlösung des Kultmahls bin ich angesichts der Tiefkühl-Buffets gekommen, die die Supermärkte und Spezial-Geschäfte hier variantenreich anbieten. Auch in Deutschland kann man aus der Tiefkühle mit Geschick die Zutaten für meine "Suppe" (ich nenne sie hier bewusst so, weil das Original ja eigentlich ein Fisch-Eintopf wäre) preiswert zusammen stellen. Ich mache sie mit Peperoncino aus eigenem Anbau so schön scharf, dass sie zunächst zubeißt und dann durch ihr Aroma sanft verwöhnt. Und für das "Bullen"-Accessoir sorgen gut gefüllte Mark-Knochen...

Hier also meine Zutaten:

Vier große Mark-Knochen
Vier Zehen vom roten Knoblauch
Vier frische Peperoncino-Schoten rot (ersatzweise 8 Thai-Chillis)
Vier Stücke Ingwer je von der Größe eines Spiel-Würfels
Je ein Stängel Oregano, Thymian, Lavendel
Je ein gestrichener Esslöffel Estragon, Salbei, Basilikum und grüner Koriander frisch und fein gehackt
1 Rote Beete
1/2 Fenchel-Knolle frisch
1 Stange Lauch
1 Bund junge Zwiebel
2 Esslöffel "roter Peffer" aus der Lauge (gut abspülen)
200g grob geschnittenen Stauden-Sellerie - am besten nur die Blätter.
1 Pfund Meeresfrüchte-Mix (wird bei uns kochfertig auch für Risotti angeboten)
400g in Schale vorgekochte, tiefgefrorene Mazzancolle oder Camarones oder Langostinos
1000 g Fischköpfe, vom Filetieren übrige Gräten frisch vom Fisch-Händler des Vertrauens (wer die vom Lachs bekommt, hat schon die halbe Miete)
600g diverse fest kochende in großzügige Stücke geschnittenen Fisch-Filets. Schick wären natürlich auch ganze Rotbarben (Rouget oder Triglie gibt es gelegentlich in den guten Supermärkten kochfertig tiefgekühlt) wegen der Farbe.
2 Eier
1/2 Liter Rot- oder Weißwein nach Geschmack und Optik
1 Würfel Bisque D'Homard
2 Gläschen roter Wermut oder Madeira oder einen weniger vorschmeckenden Süßwein. Es ginge aber auch für eine exotischere Note Pernod, Anisschnaps oder Sambuca

Zubereitung:

Die Knochen in gutem Oliven-Öl anschwitzen, bis das Mark glasig ist und sich leicht auslösen lässt.
Das ausgelöste Mark kalt stellen. 
In dem Öl das Gemüse anrösten und die Fisch-"Abfälle" hinzu geben. Wenn sie glasig werden mit der gleichen Menge Wasser und Wein aufgießen und leicht köcheln lassen, bis die Fisch-Fasern sich lösen. Große Fischköpfe haben im Nacken und an den Bäckchen viel Verwendbares und Aromatisches.
Den Fisch-Fond durch ein feines Sieb abgießen, und die Fischreste appetitlich ausfiseln, in eine Schüssel geben und kalt stellen.
In einem Mörser mit Stößel oder in einer Steingut-Schale mit Holzlöffel den Ingwer, den Knoblauch, den roten "Pfeffer" den Chilli oder den Peperoncino mit Salz und einem gehäuften Teelöffel braunen Melasse-Zucker zu einer Paste zerreiben, die gegebenen Falles noch mit einer Brise Curcuma coloriert wird.
Das zerkochte Gemüse aus dem Sieb (möglichst ohne Gräten!) pürieren und mit dem Bisque d'Homard in den Fond einrühren, den Meeresfrüchte-Mix und die Filetstücke vorsichtig hinzugeben und alles unter Kontrolle, ohne den Siedepunkt zu erreichen, mit einem Teil der Paste aus dem Mörser ziehen lassen.
Währenddessen den abgefieselten Fisch, einen Teil der Kräuter, einen Teil der Paste mit etwas Mehl und dem getrennten Eiweiß vermengen. Das ganze muss eine fest formbare Masse geben, aus der dann mit einem Esslöffel pro Person zwei Nocken gestochen werden. Die Nocken auch noch zum Sud geben aber nur noch ziehen lassen, während wir meine
Aioli-Mio aus dem Mark, dem Rest der Paste, aus den Eigelben und vielleicht einem Teelöffel Dijon-Senf, den restlichen gehackten Kräutern geschmeidig anrühren.

Anrichten:

Mit einer Lochkelle in vorgeheizte, tiefe Teller oder besser noch Suppen-Schalen den Inhalt gerecht verteilt aus dem Sud fischen, dann den Sud vorsichtig angießen und Aioli-Mio einträufeln. Zum Schluss auch zur Deko die fein geschnittenen, jungen Zwiebel drüber streuen und die gezupften und geteilten Gewürz-Stängel dazu arrangieren.

Bon Appetito!

Freitag, 5. Juli 2019

Das Windkreuz des Kolumbus

Die Via Colombo ist
auf- beziehungsweise absteigend.
Weil sie schattig ist,
drängt sie die Luft nach
dem morgendlichen
Erwärmen abkühlend nach
unten, wo sie hier
auf die Quer-Strömungen
trifft, die unbedingt zur Piazza möchte.
Als Reisender sind mir leider (oder glücklicher Weise?) die großen Entdeckungen versagt geblieben. Um so mehr freue ich mich in diesen heißen Tagen über meine persönlichen Neu-Entdeckungen: kühle Plätzchen mit toller Perspektive...
Wer als Insider im Umkreis der Burg auf den dicken Deutschen mit seinem Stuhl stolpert, weiß:
Der forscht wieder einmal nach Windkreuzen, die Kühlung und schöne Blicke versprechen, in die man sich versenken kann.
Was der Laie natürlich nicht weiß, ist die Summe physikalischer Überlegungen, die zum Aufspüren führen, und die den Blogger letztendlich zum Feind jeglicher Klimaanlagen macht.
Fast niemand hat hier eine. Die Leute sind sparsam. So hofft der Blogger, dass Ugo, der große Bewahrer, ihm einst für seine an heißen Tagen Leben rettende Forschung eine Gedenktafel in der Bibliothek des Borgos widmet.
Hier am Ende dieses Durchblicks
 liegt die lange, steile Treppe
hinunter zum Parkplatz. Von dort
steigt fast den ganzen Tag die Luft auf
Dass das Windkreuz des Kolumbus bislang nicht so frequentiert wurde, liegt an der Tageszeit. Je früher der alternde Forscher keine Luft mehr bekommt, desto eher muss er die bislang kartographierten Luftlöcher vernachlässigen...
Wenn sich am Nachmittag, der Schatten über der
Fontana verlängert, sind die Windkreuze
der Piazza durch ihre scherenden Brisen nicht mehr
zu schlagen.Letztendlich trifft dort jeder Hauch ein..

Mittwoch, 3. Juli 2019

"Sozial-Plan"

Das Bild, das sich Menschen von einem machen, setzt sich aus verschiedensten Facetten zusammen. Seit jeher - also von der Schulzeit an, galt ich  in meinem Umfeld nicht nur als Pausen-Clown und Stimmungsmacher, jeder drängte mich auch wegen der angeborenen Rhetorik dazu, Verantwortungen zu übernehmen. Tatsächlich aber bin ich ein eher schüchterner Mensch, der von sich selbst glaubt,  vielen zu wenig Empathie entgegen zu bringen. Alles Gegenteilige ist eigentlich ein Überspielen von Schwächen und Sensibilität.
In München habe ich die Kurskorrektur nach meinem beruflichen Aus längst vollzogen. Gesellschaftliche Anlässe habe ich so oft abgesagt, dass ich zu "Social Events" nur noch in Ausnahme-Fällen eingeladen werde und als Muffel gelte. Ein Image, das mir gefällt, weil ich so nicht auf Leute eingehen muss, mit denen ich mir nichts mehr zu sagen habe...

Hier auf der Burg ist das ganz anders. Die Rolle, präsent zu sein, wird uns quasi von der Lage unseres Hauses angeordnet. Die Piazza, an der es liegt, schließt die wie Zinken einer Gabel durch den Borgo spießenden Gassen in der Mitte und gen Osten hin ab. Jeder, der von dort herauf kommt, muss diese Piazza queren. Und die, die von oben kommend, in diese hinein wollen, gehen auch an uns vorbei. - Wenn wir - wie in diesen Hitze-Tagen mehr unten sitzen, als auf der Terrasse oben köcheln wollen.

Aus vielen Einzelgesprächen, ergibt sich
ein Gesamtbild vom aktuellen Leben im Borgo. Die
Bank vor unserem Haus ist gewissermaßen
  "Rete Castello".  Das Burg-Radio
Egal ob also einheimisch oder aus dem Ausland her gezogen, mit jedem bandeln sich Gespräche an, aus denen dann in zwei Jahrzehnten Dauer freundschaftliche oder gar intensivere Beziehungen geworden sind. Und komisch, hier habe ich keinerlei Probleme mit den sozialen Kontakten. Zum Einen liegt das daran, dass wir meist die ersten beiden Monate eine totale Stille erleben, in der die hiesigen Kontakte uns quasi daran hindern, zu verkümmern oder Eigenbrötler zu werden.
Einziges Problem sind die Abgänge wegen Todes, mit denen ich leider immer noch nicht gut umgehen kann, obwohl ich ja selbst längst im Wartezimmer des Schnitters Platz genommen habe.

Jetzt ist die erste Halbzeit des Jahres wieder einmal recht rasch vergangen. Es gibt keine Nachspielzeit und auch keine Halbzeitpause, denn ab Juli wird der Borgo nun von der alljährlich wiederkommenden Teilzeit-Belegschaft übernommen, die man sonst eben nur durch Telefonate in der Heimat auf dem Laufenden gehalten hat. Wie in den Vorjahren prägen die fabelhaften, heutigen Reha-Maßnahmen nach heftigen Erkrankungen oder nicht mehr aufzuschiebenden Eingriffen die ersten Tage des Wiedersehens. 
Aber wir sind ja der "Zauberberg" und da überwiegt ja bald die Feier-Laune derart, dass keiner mehr zurück denkt, sondern im Hier und Jetzt ankommt. Der Event-Kalender wird so dicht gefüllt, dass es eines gewissen "Sozial-Plans" bedarf, allen und allem gerecht zu werden. 
Höhepunkt wird an Ferragosto auf unserer Piazza ein von einem Burg-Geist arrangiertes Konzert ligurischer Volksmusik werden.
Möglichkeiten zur Erweiterung des "Sozial-Plans":
der wenig begehrte und nicht bezahlte Job
des Guardano Notturno oder...
...heilsbringend die dankbarere
Aufgabe als "Gura del Borgo", die Marcella
leicht allabendlich von den Zinnen
ausüben kann, wenn...
 ...unten ihre Jünger.lauschen
Fotos: Doris Kreh und Mirella