Dienstag, 29. September 2020

Rausrede-Rhetorik

 Die Rhetorik ist die Kunst der Rede. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen „rhētorikḗ“ und bedeutet übersetzt „Redekunst“

Gestern habe ich etwas lustiges gelesen, das ich nicht auf Anhieb verstand: Da hat eine Linguistik-Professorin aus Texas die Rhetorik von Donald Trump seit seinem Wahlkampf 2015 in vielen Reden analysiert. Sie kam zu dem Ergebnis, das sein Redestil nicht nur von hoher Intelligenz und Bildung zeugt, sondern dass er auch ein hohes Maß an dialektischer Überzeugungskraft offenbart. Seine Rhetorik fände ihr Vorbild bei den alten Griechen wie Aristoteles und beeindrucke durch sophistische, raffinierte Tricks und Techniken in der Modulation. Wollte die Dame sich etwa auf diese Weise als Wahlkämpferin für Trump betätigen?

Dann war mir auf einmal klar, dass eine wissenschaftliche Analyse ja frei von Bewertungen allein auf Erkenntnissen und empirisch Ergebnissen beruhen müsse. Jenifer Mercieca hat also nichts weiter getan, als den rhetorischen Erfolg von Trumps Reden wissenschaftlich zu erklären. Also unabhängig von deren Wahrheitsgehalt, moralischen Ansprüchen, Diskriminierungen  und Anstandsregeln deren Effektivität beschrieben. So demaskiert  sie - ohne Partei zu ergreifen - sein eigentliches Ziel: Die verbale Zerstörung anderen Denkens und die Animation niederer, manipulierbarer Instinkte.
Das geschah wohl  angesichts des Erscheinungsdatums ihres Buches ("Demagogue for President - The Rhetorical Genius of Donald Trump") bewusst vor den ersten TV-Debatten der Kandidaten Ob die rotnäckigen Zuseher den Worthülsen des amtierenden Präsidentn nun eher nicht auf dem Leim gehen, ist jedoch nach der erlebten Euphorie selbst in den Pandemie-Monaten mehr als fraglich.

Im Alltag ist doch auch jeder von uns Normalos, darauf angewiesen, mit mehr oder weniger rhetorischen Mitteln etwas zu erreichen. Wer gut reden kann, überdeckt leicht Defizite seines Handels. Ein gutes Beispiel ist der Ministerpräsident Bayerns während seiners vorpreschenden und dann letztlich doch recht mauen Pandemie-Managements.

Kindermund tut Wahres kund: Im Vorschulalter war mein Sohn ungemein wissbegierig und ehrgeizig darauf bedacht, seine Ziele zu erreichen. Wenn wir Eltern aus Bequemlichkeit oder weil wir tatsächlich Wichtigeres zu tun hatten, ihm umständlich erklärten, wieso und weshalb das, was er vorhatte, nicht ging, schnitt er uns die Rede ab, indem er mit schriller Stimme rief:"Ausreden-Erfinder! Ausreden-Erfinder!" 

Wem die rhetorischen und "schriftstellerischen" Mittel fehlen, der hat heute durch SMS und Tweets eine gute Möglichkeit sich eventuell Einflussnahme zu verschaffen. Es ist ja einerseits schon so leicht, nur durch Umstellung oder Verschlucken eines Wortes beim Reden zu manipulieren. Noch einfacher ist es andererseits jedoch durch  simple Streichung  bei Texten (Emser Depesche) oder Verwendung von Hörensagen in Propaganda-Tweets Kriege ausbrechen zu lassen (Berg Karabach)...

Und glaubt bloß nicht, das sei in Zeiten der blitzschnellen Kommunikation durch soziale Medien und Internet leichter geworden, richtig oder falsch zu entlarven. Das Kinderspiel "Wahr oder unwahr?" erfährt nämlich täglich neue und erschreckendere Dimensionen. 

Hier mal gezielte Fakenews von mir:

Wegen Corona:
Ligurische Großbank stützt deutschen Blogger

Heute teilte ich meinen Kindern in München via telegram mit, dass ich mich wegen Corona mit der Idee beschäftige, für den Rest meines Lebens auf der Burg in Ligurien zu bleiben. Ich hätte es mit meiner italienischen Rhetorik tatsächlich geschafft, dass mich im Notfall eine ligurische Groß-Bank stützen würde...





Lange habe ich es mir allerdings nicht verkneifen können. Dann schickte ich dieses Foto hinterher:

Diese Bank steht in Riva Ligure - einem malerischen Fischer- und Bade-Ort
zwischen Imperia und Sanremo

Sonntag, 27. September 2020

Wie die mit mir spricht!

Grabesstille herrscht nun auf der Burg. Kaum noch Vögelchen, die zwitschern, und auch die Bienchen im Kamin gegenüber summen nur noch erschöpft und leise. Wer mobil genug ist, entflieht den plötzlich herrschenden kühleren Temperaturen hier oben und genießt die Sonnenstrahlen an den leer gefegten Stränden. Luft- und Wassertemperatur halten sich die Waage. Für Strandläufer beginnt jetzt die schönste Zeit.

Für mich ist das Anlass zur Rückbesinnung. Ich gedenke zwar nicht in frommer Weise - so doch in stiller Anerkennung - den verstorbenen Burggeistern, die mein Leben und somit auch meinen Blog so bereichert haben. Kein Burggeist ist ein Gespenst geworden. Da hat unsere eifrige Seelen-Sammlerin noch für gesorgt. Seit sie ins Asilo verbannt wurde, ist ohnehin nur die "Strega" von der oberen Piazza mit Corona verstorben. Bange wird mir Exilanten bei dem Gedanken, ob ich hier noch rauskomme oder demnächst selbst als Gespenst durch die Gassen spuke: Als Spirito dello Pazzo Tedesco gewissermaßen...

Gute Ansätze habe ich jetzt schon - als  noch Lebender . Zum Beispiel wenn ich auf der von Professor Musicus Piero gestifteten Bank quasi allein im Dorf vor mich hin sinniere, oder - sollte ich ehrlicher Weise sagen - döse:

Dabei passiert dann schon mal so etwas:

Ich war gerade nachmittags am Wegsacken, da wurde ich heftig mehrfach von hinten in die Schulter gepiekst. Ich döste weiter, da geht die Piekserei von neuem los. Ich griff hinter mich und hielt die Spitze eines Palmblattes zwischen den Fingern. Duselig raunte ich unwirsch:
"Mach das noch mal, und ich reiß dir das Blatt aus!"
"Das ist ja mal wieder sowas von typisch für deine Verantwortungslosigkeit!", antwortet da Mama Yucca zu meiner Überraschung richtig giftig.

Aus Trümmern empor
zum Licht:
Mama Yucca und ihre
zwei Jüngsten
Ich nenne sie Mama Yucca, seit sie sich - wie Leser früherer Posts sich vielleicht erinnern - aus einem abgebrochenen Stumpf zu einer über drei Meter hohen und schönen Mehrfach-Mutter-Palme empor gereckt hat.

"Wir müssen jetzt einmal ernsthaft über die Wohnverhältnisse hier reden, die du mir und den Kleinen zumutest. Die Großen haben ja jetzt ihre eigenen Aufgaben, und zu denen, die hinunter an den Fuß der Burgmauer ausgewandert sind, fehlt mir ein unterstützender Kontakt.  Wir brauchen daher endlich deine Fürsorge. Es reicht nicht mehr allein, dass uns Il Professore so nett betreut, gießt und düngt, wenn ihr fort seid."

Aus  meinem wirren Hirn kramte ich die Erinnerung hervor,  wie ich sie damals halbherzig in eine große Pflanz-Schale gesteckt hatte, die zu 60 Prozent aus Bauschutt von der Renovierung unseres Hauses und zu vierzig aus alter Muttererde verwelkter Blumentöpfe gefüllt war. Aus diesem Konglomerat schöpfte sie mit großem Überlebenswillen nicht nur Kraft für sich, sondern generierte auch ihre enorme Fruchtbarkeit, sich im Sinne der weltweiten Yucca-Verschwörung zu vermehren. Und  ich war also quasi ihr Agent und Handlanger gewesen.

Die zwei "Großen", von denen sie sprach, haben an der Piazza ebenfalls Jobs als Türsteher eingenommen. Sie sind zwar nicht zurück geblieben, "hinken" aber doch ziemlich hinter ihrer Super-Mama her. Wobei einer dabei auch noch ein äußerst sittenwidriges, zu enges Verhältnis mit einem Aprikosen-Bäumchen eingegangen ist, während sein Bruder stoisch und unermüdlich unsere alte Eingangstreppe bewacht, die keiner mehr benützt. Deren Schwesterchen - wie von ihrer Mutter oben angedeutet - wurden von einem hessischen Ehepaar adoptiert und in deren Gärtchen unterhalb der Burgmauer verpflanzt. Dort sind sie derart fruchtbare Beziehungen eingegangen, dass kaum noch Platz zum Sonnenbaden ist. Mir schwante also Böses:

Aus dieser Mesalliance
könnten  vielleicht dereinst
Aprikatteln erwachsen

"Wie lang willst du uns Dreien eigentlich noch zumuten," unterbrach sie meine Reminiszenzen, "unter derart beengten Verhältnissen dahin zu vegetieren? Wenn du nicht bald dafür sorgst, dass wir in einen angemessenen, größeren Kübel umziehen können, dann kannst du was erleben!" 

Wie redet, die denn mit mir? Dachte ich so für mich. Die soll doch froh sein, dass ich ihre beiden Sprosse nicht schon längst zur Adoption frei gegeben und abgeschnitten habe.

Aber dann hielt ich feige doch meine Klappe, weil ich mich wieder daran erinnerte, was ich selbst über die "sechste Kolonne" der weltweiten Yucca-Verschwörung hier auf diesem Blog geschrieben habe.

Wenn uns Corona dereinst längst dahin gerafft hat, obsiegt dieses eigentümliche Lilien-Gewächs, (das wir vom Fernweh geplagt sentimental "Palme" nennen) um wohl endgültig die Weltherrschaft an sich zu reißen...

Leise rückte ich da auf der Bank außer Reichweite ihrer pieksenden Blätter. Daran weiter zu dösen, war aber nicht mehr zu denken...

Doofer Türsteher-Job:
etwas bewachen müssen, wo es gar nichts
mehr zu bewachen gibt

Und unter der
Burgmauer
bereits auf dem
Weg ins Tal
Aus einem Stumpf wurden zehn
mannshohe Exemplare!
Gut, dass Yuccas keine Mauern
hoch klettern können...


Donnerstag, 24. September 2020

Übern Zaun schaun!

Macht Corona uns wieder zu national politischen  Eigenbrötlern, die den europäischen Gedanken vervespern? Bei guter Nachbarschaft sollte es doch möglich sein, über den Zaun zu schauen, um zu sehen, was dort so gut sprießt und was man bei sich im Garten besser nicht weiter gießt...

Hätten wir mit unserem Haus auf der Burg nach all der Zeit die Residenza beantragt, wären wir neben kleinen Steuervergünstigungen nach europäischem Recht wohl auch am vergangenen Sonntag berechtigt gewesen, bei den Italienischen Regional-Wahlen unsere Stimmen abzugeben. Wir fühlen uns zwar einigermaßen dazu gehörig, aber wir wissen, dass wir nur akzeptiert sind. Also halten wir uns aus allgemeinen politischen Diskussionen hier im Sprengel raus. Aber wir diskutieren heftig mit unseren Freunden. Die sind ja in etwa alle so alt wie wir und haben die vielen Parallelen im Werdegang unserer beiden Republiken nach dem Krieg zum Teil genauso hautnah erlebt:

Das waren noch Zeiten, als es in der Politik Italiens
einfach nur um die Wahl zwischen
Spaghetti-Kommunismus oder Democrazia Cristiana ging
Das Verkraften der Kriegsschuld, den Neo-Kapitalismus, das Wirtschaftswunder, den Terror von Baader-Meinhof und den Brigate Rosse, das Schwinden des politischen Einflusses der Kirchen und letztlich das Aufkeimen des Neo-Faschismus. Allerdings ernte ich häufig ungläubiges Staunen mit meiner Ansicht, dass die Italiener viel politischer sind als die Deutschen. Wieso? Weil sie sich viel weniger gefallen lassen. Mit ihrem Votum sorgten sie dadurch allerdings für meist instabile kurzlebige Regierungs-bündnisse.  Parteien müssen sich deswegen immerzu neu erfinden und umbenennen, ohne allerdings entscheidende Richtungsänderungen zu vollziehen. Das Volk erzwingt auf diese Weise mit den Stimmzetteln kuriose Koalitionen oder  Regierungen, in denen es von Beginn an rumort. 65 davon hat es seit dem Zweiten Weltkrieg bis zu Corona gegeben.
Der  sprichwörtliche "Tanz am offenen Grab" ist den Italienern so vertraut wie die seit den 1960ern angeblich kriselnde Wirtschaft, die aber im vergangenen Jahr immerhin noch auf Platz 8 der Weltrangliste rangierte. Die von der Bewegung "Cinque Stelle" mit breiter Zustimmung angetriebene Steuer-Reform und die Verkleinerung der Parlamente könnte den Italienern schlagartig die Sorgen nach Corona erleichtern. Kein Volk der Welt zahlt so säumig Steuern und lässt sich von derart vielen, oft faulen, absurd privilegierten Parlamentariern mit Weltrekord verdächtigen Abgeordneten-Gehältern gängeln...

Deshalb kam der Regional-Wahl 2020 in der neuerlichen Bedrohung durch die Pandemie auch eine richtungsweisende Bedeutung zu. Wer hat "mit" Corona am effektivsten regiert?

https://www.corriere.it/elezioni/risultati-regionali-2020/

Wie kann Lösch-Wasser mit Feuer
regieren? Giuseppe Conte und
Luigi di Maio von den "Cinque Stelle"
Quelle: Il Messaggero
Als neutraler Beobachter verzichte ich natürlich auf einen Kommentar. Aber als überzeugter Europäer bin ich zunächst einmal beruhigt, dass der geschickt "moderierende", keiner Partei zugehörige Ministerpräsident Giuseppe Conte mit seiner kuriosen Koalition durch die Regional-Wahl in seinem "Corona-Krisen-Management" bestätigt wurde.

Giovanni Toti 52
Dass Ligurien trotz der Nähe zu Frankreich relativ wenig von dem Virus betroffen war, schrieben hier die Wähler allerdings dem amtierenden Präsidenten Giovanni Toti zugute. Den ehemaligen Star-TV-Journalisten von der Partei Forza Italia sehen viele Experten als kommenden Herausforderer von Conti. Auch weil er dem Lega-Boss Salvini so gerne die Leviten liest...

Dienstag, 22. September 2020

Von der Freiheit, die wir uns nehmen

Im Zusammenhang mit den Beschränkungen, die die Pandemie eindämmen sollen, gehen ja allenthalben viele auf die Barrikaden, weil sie sich nicht durch Verordnungen gängeln lassen wollen. Sie ignorieren die horrenden Fallzahlen und halten sie sogar für das Instrument einer Verschwörung. Vermutlich sind solche Irrungen und Wirrungen darauf zurück zu führen, dass diese Zweifler im näheren Umfeld niemanden hatten, der ernsthaft betroffen war.

Hier in unserer italienischen Nachbarschaft kannte vor vier Monaten beinahe jeder ernsthaft Betroffene. Ja, selbst auf der Burg gab es eine uns bekannte Dame, die mit Corona verstarb. Die ins Altersheim verbannte Seelen-Sammlerin hingegen - bekannt aus früheren Posts samt ihrer nicht so geliebten Schwester im gleichen Asilo - hatten sich über 80jährig auch den Virus eingefangen, ihn jedoch überlebt.

So geht Disziplin auf
Ligurisch: Der von 
einem Dutzend Gängen,
Weinen und Grappa
erschöpfte Blogger
nach einem 
Pranzo di Domenica.
Bis zum Tisch und
vom Tisch weg an die
Kasse herrscht
bis vor die Tür
Masken-Pflicht
Foto: Uli Kreh
Trotz unserer Zurückhaltung bei engen Kontakten können wir sagen, dass die Ligurer ihre Lektion aus dem Frühjahr offenbar gelernt haben. Selbst bei der nachbarschaftlichen Stehparty auf unserer Piazza wurde auf den entsprechenden Abstand geachtet. Obwohl mir da mit deutlich über 30 Personen ohne Masken schon ein wenig mulmig war. Aber die niedrigen Fallzahlen in unmittelbarer Nähe zu den Hotspots an der Cote d'Azur sind ein Beweis für diese hiesige, uns immer wieder erstaunende Disziplin.
Während andernorts in Europa die Fallzahlen innerhalb von 24 Stunden in die Tausende gehen, gab es in Ligurien vom 2. bis zum 20. September lediglich 1205 neu registrierte Covid-Infektionen.
https://www.google.com/searchq=corona+fallzahlen+italien&oq=corona+fall&aqs=chrome.2.69i57j35i39l2j69i59j0l4.11962j0j15&sourceid=chrome&ie=UTF-8
Dagegen ist die Lage in unserer Münchner Heimat ja schon wieder so krass, dass Meetings mit Maske im Feien auf fünf Personen beschränkt sind. Was sogar auch für Familien-Feste gelten soll.

War die Freiheit, die sich die Europäer  während der Ferienzeit wieder nehmen durften, wirklich angebracht? Dabei ist gar nicht allein die Reise-Freiheit gemeint, sondern vor allem auch die heimatliche Freizeit-Sucht nach der langen Isolation.  

Die Freien Demokraten in Deutschland forderten ja auf ihrem gerade zu ende gegangenen Parteitag ultimativ, dass es nicht zu einem weiteren Lockdown kommen dürfe. Sind solche Forderungen bei der Bedeutungslosigkeit der FDP nicht bloßes Getöse? Aber was wäre denn die Alternative? Dass sich jeder Anstecken muss, bis viele immun genug sind, um zu überleben? Wirtschaftet die "freie" Marktwirtschaft einfach weiter, während das Virus - zynisch betrachtet - einerseits für eine "Belebung" des Arbeitsmarktes und andererseits für freie Plätze in der Pflege sorgt?

Leute kommt zur Besinnung! So lange es noch  keinen Impfstoff gibt, müssen wir uns alle mit Abstand die Freiheit nehmen, solidarisch zusammen zu halten!

Selbst bestimmte Freiheit muss ja nicht gruppendynamisch sein
Quelle: hab-mehr-vom-leben.de


Montag, 21. September 2020

Wo ist bloß die Zeit geblieben!

 Als ich im Französisch-Unterricht Auszüge aus  "A l'ombre des jeunes filles en fleur" übersetzen musste, hätte ich fast schon meine pubertäre Lust am Schreiben verloren. "Im Schatten junger Mädchenblüte" erschien 1918  als zweiter Band  von Marcel Prousts siebenteiligen Roman-Epos "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (A la recherche du temps perdu). Mein frankophiler Vater hatte glücklicher Weise die Deutsche Übersetzung im Bücherschrank, und so begann daher  leider auch  bereits meine Karriere als literarischer Anleihen-Vertreter. 

Marcel Proust 1871 - 1922

Ich verstand auch in der Übersetzung, die ich für die Hausarbeit "kanibalisierte" nicht die Bohne. Diese überbordend zu Papier gebrachte Seelen- und Gefühlspein erreichte mich einfach nicht. Mit den "Leiden des jungen Werther" von J.W.v.G. ging es mir übrigens genauso, um meine deutsch-französische Gerechtigkeit im Unverständnis zu gestehen.

Hätte nicht 1984 der geniale Volker Schlöndorf - als ich mich längst textlich mit meinem Mangel an Intellekt abgefunden hatte -  "Eine Liebe von Swann" (Band 1)  filmisch umgesetzt,  Proust wäre mir ein Rätsel geblieben. Jetzt in meinem Alter, das Proust ja um zwei Jahrzehnte verfehlt hat, könnte ich ihm besser folgen. Und wissend um seinen Lebenslauf  auch als sich nicht outen könnender Homosexueller, erkenne ich, weshalb ich ihn nicht verstehen konnte. Weil er eben in einer der schlimmsten Epochen der Weltgeschichte über die Suche nach der verlorenen Zeit seine Gefühle literarisch verarbeiten musste. Ich hingegen habe bis Corona wie die Made im Speck der 70 Jahre Freiheit  als Schreiberling mehr oder weniger vor mich hin gedödelt.

Dieses verflixte 2020 hat mich eigentlich erstmals wirklich existenziell dazu veranlasst, mir all die Fragen über die Zeit zu stellen, die Marcel Proust ja quasi von der Geschichte aufgezwungen bekam:
Hast du die zur Verfügung stehende Zeit immer gut genug genutzt? Wer hat dir am meisten Zeit gestohlen? Wo - außer im Sport - hast du wirklich wertvolle Zeit verloren? Wer alles und was blieb bei deiner Hast auf der Strecke? Und so weiter...

"And so it goes" beendete Kurt Vonnegut,  der Sarkast der amerikanischen Postmoderne gerne die Kapitel seiner Bücher, und der war sogar aktiv traumatisiert durch den Krieg (Slaughtehouse Five...).

Der pandemische Feind, wenn wir den denn besiegten, ist so perfide, dass er wohl kaum noch lyrische Impulse auslöst. Es gab ja bislang nur Science Fiction, die sich den Viren-Horror ausmalte. Und das es Romanciers geben könnte, die mit einigem Abstand dann Herzens-Handlungen  über Covid 19 in den Computer tippen, werde ich wohl nicht mehr erleben. Was bleibt, sind die Auswirkungen des letzen Halbjahres, aus dem offenbar nichts gelernt wurde:

Am Samstag, schrieben sie, hätte das Oktoberfest beginnen sollen. Deshalb wurden sogar Verordnungen und Verbote erlassen, die Party-People daran hindern sollen, auf der verwaisten Theresien-Wiese private Sauforgien zu veranstalten. Der Straßen-Karneval in den Hochburgen wurde auch schon abgesagt.

"Alles zu seiner Zeit!" möchte ich den nicht Verstehenden zurufen, aber dann fällt mir ein, dass ja hier der Bock als Gärtner schreibt. Denn "aus beruflichen Gründen" gab es mehrere Jahre bei denen ich fast jeden Tag auf der "Wies'n" war und wichtige Zeit aber auch Geld dort im Rausch vertan habe. Und waren wir im kompletten Großfamilien-Verbund  nicht alljährlich beim "Tanz der Marktweiber" am Faschingsdienstag auf dem Münchner Viktualienmarkt?

Und dann stoße ich doch endlich auf eine verlorene Zeit, die ich wirklich so vermissen werde, dass mir beim Schreiben, die Tränen kommen. Denn mit meinem Enkel ging ich in den vergangenen Jahren lieber auf die eher überschaubare "Auer Dult": Steckerl-Fisch essen, Ketten-Karussell fahren und Kuriosa an den Antik-Bunden kaufen... Das Oktoberfest entwickelte eben Potenzial bedroht und daher bedrohlich zu werden - in einem Ausmaß, der mich un den Kleinen bangen ließ. Was die Terror-Gefahr nicht schaffte, erledigt nun die unsichtbare Bedrohung durch einen Virus, der auch Enkel von seinen Großeltern fern hält.

Das Karussell des Lebens macht jedenfalls keine Pausen,
in denen man aus- und zusteigen kann - so lange es sich nicht im Kreis dreht

Ja, das ist verlorene Zeit, die fehlt! Zum Beispiel das halbe Jahr, indem der Kleine sich nur am Telefon von einem "Nuschelchen"   zu einer gut verständlichen Plauder-Tasche entwickelt hat, habe ich leibhaftig verpasst. Übrigens  war das anders herum ein positives Ergebnis der im Lockdown so intensiv geprüften Eltern-Kind-Beziehung durch Homeoffice und Kurzarbeit. Für ihn also keine verlorene Zeit, sondern eine, die ihm später vielleicht einmal zugute kommt.

Wir - das alte Paar mit dem an Erlebnissen so reich gelebten Leben - haben hier in der selbst gewählten Isolation als Risiko-Viren-Empfänger auf der Burg hingegen nichts verpasst, was wir nicht versäumen wollten. Ganz im Gegenteil ist unsere Zeit hier verlustfrei trotz ultimativen Nichtstuns derart an uns vorbei gerast, dass wir uns täglich erstaunt die Augen reiben und uns fragen:

Wo ist bloß die Zeit geblieben?

Schlag nach bei Proust!

Freitag, 18. September 2020

Divergenzen

Das Substantiv Divergenz meint das „Auseinandergehen, Abweichen, Auseinanderstreben“ von bestehenden Differenzen...

Was macht einen Menschen zum Unmenschen? Und was bringt letzteren so oft an die Macht? Ist die Divergenz des Seins in diesem Fall vielleicht auch nur menschlich allzu menschlich?

Vorgestern war mal wieder so ein Tag auf der Burg, der so divergent war, dass einem regelrecht die Spucke weg blieb: In Nachrichten-Foren las ich über die Rumzickerei vor allem von "Christlich-Sozialen" und "Grünen" innerhalb der EU um das Schicksal der Migranten im Lesbos-Lager Moria nach dem Brand, der wohl Brandstiftung war. In Österreich konnten 84 Flüchtlinge gerade noch vor dem Erstickungs-Tod in einem türkischen Laster ohne Frachtraum-Belüftung gerettet werden. Zwischen rechtsextrem gepolten Polizisten in NRW werden in einem eigenen Netzwerk mit Chat-Room Ansichten und Bilder geteilt, die das Image vom "Freund und Helfer" erheblich infrage stellen.

Aber es gibt ja auch noch die Divergenz zwischen Mensch und Tier. Die quälerischen internationalen Transporte für lebend Schlachtvieh haben nach dem Rückgang wegen Corona unverdrossen wieder Fahrt aufgenommen. Dafür soll das "Schreddern" von männlichen Küken wohl ab nächstem Jahr verboten sein. Während das "Kindeswohl" durch mannigfaltig dokumentierten Missbrauch nach wie vor gefährdet ist, weil die Gesetze für die künftige Strafsache immer noch zu lasch sind, verbessert sich aber immerhin die Kontrolle in der privaten Haustier-Haltung.

Kein Zweifel: Wir Menschen, die das selbst nicht können und sich weigern beim Verzehr eines Schnitzels an die Kulleraugen des Kälbchens zu denken, brauchen vor allem andere Menschen. die schlachten, - aber auch seelisch unversehrt schlachten können... Ein früherer Geschäftspartner, der in eine Bauern-Dynastie eingeheiratet hatte, nahm seine Kinder - sobald sie laufen konnten - rigoros zur Hausschlachtung mit, sonst gab es weder Wurst noch Schinken aufs Brot...

Unsere nun meist verstorbenen älteren Ureinwohner auf der Burg hatten, als wir hierher zogen, noch ein eher archaisches Verhältnis zu den Tieren, mit denen sie lebten. Damals gab es im Borgo noch streunende oder gar herrenlose Hunde, die wild mit einer unüberschaubaren Katzen-Schar herum tobten. Unkontrollierte Würfe wurden zwecks Geburtenkontrolle in der oberen Viehtränke ersäuft, die es mangels Vieh heute auch längst nicht mehr gibt. Singvögel wurden abgeballert und landeten auf dem Grillspieß.
Was hätten die Leute damals über die Geschichte gestaunt, die Gigi, der Neffe meiner besten Freundin und Jung-Unternehmer aus Berlin und seine brasilianische Verlobte uns am Abend des selben Tages hier auf der Piazza erzählt haben.

Diese von mir gemalte Idylle aus dem Jahr 2002
sieht gestellt aus, war aber Realität auf den Felsen-Stufen vor unserer Haustür
Claus Deutelmoser: "Allein unter Katzen" Oil on Canvas














Demnach hatten sie bei der Adoption eines Welpen aus dem vom Tierschutz geretteten Wurf einer  rumänischen Straßen-Hündin ähnliche Befragungen, Beratungen und Nachweise im Tierheim zu erbringen, als ginge es um ein Baby. Sogar eine Tier-Psychologin wurde vermittelt.

Die "Vorschul"-Erziehung von Dino erfolgt gemäß der Berufe der Beiden per Video-Überwachung und Live-Austausch mit den anderen, die ein Tier aus diesem Wurf adoptiert haben. Schöne, neue Tierwelt: Wann immer der mittlerweile sechs Monate alte Lausbub glaubt, allein und unbeobachtet etwas Verbotenes tun zu können, stürmen Herrchen und Frauchen zur Unterlassung mahnend hinzu. Von den anderen "Adoptiv-Eltern wird  auch schon mal ein Hundehaufen auf dem Sofa oder ein zerfetzter Hausschuh gepostet oder unglaubliches Staunen über den Geruch von Junghund-Furzen geäußert.

Wo er hinkommt, ist Dino der Star.
Auf unserer Piazza begann wohl sein
"Walk of Fame"
Sitz! und Platz! Das kann er schon!
Foto: Cici Carbone

Ja, und dann die schönste Divergenz: Für Tage flatterte hier ein einsamer Star über die Dächer, der ganz offensichtlich eine Meise hatte. Auf dem Dach der Musikprofessoren keckerte er wie eine der vielen Elstern rund um den Borgo, am  Kamin des verwaisten Nachbarhauses  täuschte er uns mit dem Gesang der Merle - allerdings aus voller, in der Morgensonne entlarvend schillernder Brust. Vermutlich hat er sich noch voller Appetit über die nun immer dicker werdenden aber erschöpften Arbeiterinnen des Wildbienen-Volkes als Wegzehr hergemacht. Heute im Morgengrauen spielte er dann noch fast die Tonleiter der Nachtigallen. Dann gab es jedoch zweimal das Geräusch, als schütte einer hier in den Gassen hunderte kleiner Glasfläschchen in einen Behälter. Dann war es totenstill! 

Ich hätte nur zu gerne mit erlebt, wie unser Star von einem Schwarm seiner so lärmenden Artgenosseen auf dem Weg nach Rom  (? dem bekanntesten Winterquartier für europäische Stare) "abgeholt" wurde...

http://stare.info/video/various-voice-mimicries-by-starlings/

Mittwoch, 16. September 2020

Kein Klima für Wandel

Vor ein paar Jahren noch warb eine der deutschen Schurken-Banken, die nur mit unseren Steuergeldern gerettet werden konnte, in ihrem Spot mit der Frage:

Wollen wir wirklich so weitermachen wie bisher? 

Sie machte so weiter, und fährt jetzt wieder beträchtliche Gewinne ein und schüttet absurde Boni aus.

Mitten in der größten Gefahr durch die Corona-Krise glaubten ein paar Gutmenschen: Die sei jetzt auch das Signal für einen grundsätzlichen Wandel! Zumal die Chancen ja nicht schlecht standen durch den verminderten CO2-Ausstoß in folge der reduzierten Fliegerei und des beinahe erlahmten Straßen- und Güter-Verkehrs.
"Weniger bringt mehr!", hätte die nachhaltige  Erkenntnis lauten können. Aber die brächte ja bei den bevorstehenden Wahljahren unterm Strich keine Stimmen. Die aber garantieren eben letztlich, doch so weitermachen zu können wie bisher. So kam es nach den Ferien bedingten Erleichterungen auch wieder verstärkt zur Erkenntnis:
Unterm Strich zähl ich!"

Eine Werbeaussage, die sich vor allem der mächtigste Leugner des Klima-Wandels in seinem Lügen-Wahlkampf ungeniert zu eigen macht. Da können Experten ihm noch so oft von todernsten Signalen ins Ohr flüstern.

Selbst von der Burg aus sind die nicht nur durch die weltweite Vernetzung wahrzunehmen. Denn wir leben zwar in diesem Zauberberg-Kokon, sind aber vom Klima her ja mitunter heftig exponiert.
Doch noch nie haben sich die diversen Wetterberichte, die wir heute für unsere Region  aufrufen können, so schwer getan mit  ihren Vorhersagen. Und noch nie haben sie sich auch so häufig quasi kollektiv geirrt.

Wild, aber noch gut zu lesen:
Die Wolken über unserer Terrasse
im Jahr 2007
Foto: "Wolken-Anne" Claus Deutelmoser

In den ersten Jahren auf der Burg war ich durch meine Ausflüge aufs Meer ein regelrechter Wind-Leser. Ich brauchte nur morgens auf die Terrasse zu gehen und konnte dann in den Wolken lesen, wie das Wetter werden würde. Heuer ballten sich häufig riesige Wolken-Berge über dem Borgo, und dann aber fielen nur ein paar Tropfen. Gewitter, weit weniger heftig als sonst, bauten sich massig im Apenin auf, regneten sich dort ab und kamen nur in Ausläufern zu uns. Immerhin war damit unsere Wasser-Versorgung trotz der Trockenheit gesichert. Noch nie mussten die Musik-Professoren und meine "Fürsorgliche" unsere zur Garten-Landschaft  mutierte Piazza derart intensiv wässern. Kein Wunder, dass bei solchen auch für Insekten Ideal-Bedingungen unsere "Haus-Schwalbe" dreimal gebrütet hat (18 flügge gewordenen Jung-Schwalben konnten wir zählen) und immer noch in ihrem Nest hockt, obwohl sie eigentlich längst schon weiter nach Süden hätte ziehen sollen.

Drei Tage hatten wir gerade Sturm aus wechselnden Richtungen, der jede Feuchtigkeit und jeden Wolken-Ansatz einfach fort blies. Bei Temperaturen, die immer noch knapp unter 30 Grad liegen, ist das oberflächlich betrachtet ganz angenehm, aber auch nicht ungefährlich. Da fängt man sich gewissermaßen in Windeseile eine Erkältung ein.

Auch die Wind-Ordnung ist durcheinander: Der Grecale aus Nordosten war hier früher der Schlechtwetter-Wind. Deshalb hat unser Haus an seiner Ost-Fassade nur ein kleines Giebelfenster.
Der Wind aus Norden, der "Tramontana", sorgte immer zwischendurch  für Abkühlung, und wenn aus Südwesten der "Libeccio" übers Meer strich, brachte er - wie alte Romane dies beschrieben - die Seelen eigentümlich in Wallungen. Nun ist das nur noch selten so, wie es sein sollte. Zur Zeit ist es einfach unmöglich, verlässlich eine anhaltende Windrichtung und ihren Einfluss zu bestimmen.

Die konstante Luftfeuchtigkeit zwischen 50 und 70 Prozent verhindert aber offenbar, dass im Talkessel  im ausgehenden Sommer - wie gerade in anderen Teilen der Welt -  die alljährlichen Waldbrände entfacht wurden.  Bislang kamen die Feuer-Flieger noch nicht zum Einsatz. Es gab nur Kontrollflüge.

Dieser Text hier - fällt mir gerade auf - könnte fast eine Parabel sein: Ob meteorologisch, politisch oder geologisch - noch ist wohl leider kein nachhaltiges Klima für einen Wandel zu erwarten. Hoffen wir, dass der Herbst in jedweder Deutung nicht allzu heiß wird.

Möge uns der heiße Herbst verschonen
Foto: pinterest



Montag, 14. September 2020

Unter dem Astronauten-Hain

Gut. Ich gebe es zu. Diese Überschrift ist schon wieder ein wenig geklaut. Wer ein Fan der sogenannten Rabbit-Pentalogie ist, wird das vermutlich als ähnlich unverbesserlicher Fan von John Updike sofort erkannt haben.

Ob meine jüngeren Leser den amerikanischen Literaten noch kennen, ist zu bezweifeln, denn seine Art zu schreiben war vom Lyriker, über den Journalisten zum Essayisten bis hin zu seinen so unterschiedlichen Romanen derart breitbandig, dass er in kein Lehr-Schema passt. Wer wissen will, wie sich die Vereinigten Staaten nach der McCarthy-Ära gehäutet haben, erhält mit der "Rabbit-Saga", wie ich sie nenne, ein ideales Abbild der 60er und 70er Jahre fernab des von mir so gehassten Creative Writings. Der 1971 veröffentlichte zweite Band der Roman-Reihe "Rabbit Redux" bekam den ausnahmsweise treffenden deutschen Titel "Unter dem Astronautenmond". Er beschreibt bissig, mitunter satirisch die Diskrepanz zwischen der intellektuellen Rückständigkeit auf dem weiten Land und der erfolgreichen Landung auf dem Mond. Genug dazu! Selber lesen macht schlauer.

Was das mit der Burg zu tun hat? Ich bekam den Flashback hier in einer Kurve kurz bevor unsere Zickzack-Straße ins Tal hinunter an den beiden Firmen für die Herstellung eingemachter, italienischer Spezialitäten für den Export vorbei führt. Ich schaute während der Fahrt hinauf, und da sah ich jemanden im Raumanzug mit geschlossenem Visier Wolken voller Gift versprühen. Wenn das Gift gegen die heimtückischen Oliven-Fliegen so harmlos ist, wieso hat er sich dann gleich einen Raum-Anzug angezogen? Und wieso - in unmittelbarer Nähe zur Nahrungsmittel-Produktion - hingen  an den Rändern des Oliven-Hains, der ja bis ins Tal hinunter reicht, keine hinweise auf diese "Zona avvelata", wie das gesetzlich beim Versprühen von Gift vorgeschrieben ist?

CD-Gimp-Paint-Collage
 Und schon kam es zu der Updike-Assoziation: Weil es hier unten nahe der "Ölverarbeitungs-Industrie" eben aus guten Gründen anders zugeht, wie oben rund um den Mond, den unsere Burg in diesem Vergleich darstellt.
Unser Nachbar versorgt uns hier mit seinem Öl quasi als Freizeit-Frantoio. Soll heißen: Die Bäume gehören ihm, er pflückt die Oliven selbst, legt sie zum Teil klassisch ein und gibt den Rest seiner Ernte mehr oder weniger für den Eigenbedarf zum Pressen.
Er gibt uns zu einem Preis, den unsere Schweizer Freundin betriebswirtschaftlich verwerflich findet, soviel davon ab, wie auch wir für unseren Eigenbedarf hier und in München brauchen. Die Bäume, die die "Helvetia" mit ihrem Lebensgefährten bewirtschaftet wurden vor der vergangenen Ernte von den bösen Insekten regelrecht heimgesucht. Weil sie wegen ihrer Bio-Philosophie nicht spritzen, mussten sie einen erheblich verminderten Ernte-Ertrag hin nehmen. Für ihr angestrebtes Qualitäts-Extravergine waren sie deshalb gezwungen, reichlich andere ungespritzte Oliven von Nachbarn hinzu zu kaufen. Der betriebswirtschaftlich relevante Preis stieg daher in Regionen, die sich nur die wohlwollenden Teilzeit-Residenten hier oben leisten wollen.

Unten im Tal - auf der Erde gewissermaßen - muss es hingegen erbarmungsloser zugehen. Wer sein Öl im Supermarkt an den Verbraucher bringen will, kann sich Ernte-Ausfälle einfach nicht leisten, und beim Verschneiden mit Granulat aus Nordafrika oder minderwertigen Oliven aus anderen Teilen der Welt muss der Produzent hart an die Grenzen der EU-Verordnungen gehen, damit er noch extravergine aufs Etikett schreiben darf.
Es ist traurige Gewissheit, dass beim Olivenöl mittlerweile mehr gepanscht und gefälscht wird als beim Wein, und der Etiketten-Schwindel ist an der Tagesordnung. Misstrauen ist auch allemal bei "exklusiven"  Vermittlern in Deutschland angesagt. Wer da Öle zu unter 20 Euro pro Liter anbietet, will dabei ja auch noch seinen (Ver?)Schnitt gemacht haben.

Freitag, 11. September 2020

Pasta al Padrino in moda mia

Lesen macht dick. Zumindest wenn einer so gestrickt ist wie ich. Bei Mario Puzo und Andrea Camilleri läuft mir beim bloßen Lesen oft schon das Wasser im Munde zusammen.

Als im ersten Band von "Der Pate" Capo Peter Clemenza die Jungs des Corleone-Clans wegen des Banden-Kriegs "auf die Matratzen schickt" bekocht er sie im Versteck simpel, sättigend aber auch enorm wohlschmeckend. Woher ich das weiß? Weil ich ein guter Nachschmecker bin, der obendrein phantasiebegabt genug ist, aus dem Gelesenen und dem im Film Gesehenen selber etwas zu komponieren.

Vor 50 Jahren haben mein Schwager und ich beeindruckt von der Lektüre zum ersten Mal in San Vicenzo an der toskanischen Küste das gekocht, was ich hier heute als meine Weiterentwicklung vorstelle:


Die Pasta des Paten auf meine Art
 

In der literarischen Vorlage werden Polpette al Sugo an die Teigwaren gegeben. Das ist dem amerikanischen Gaumen mittlerweile so vertraut, dass eigene Supermarkt-Regale mit Produkten in Dosen oder für die Mikrowelle als Fertig-Gerichte gefüllt werden. Schrecklich!

Meine Interpretation ist etwas ausgefallener, aber die halbe Stunde, die die frische Zubereitung erfordert, lohnt sich da allemal. Hier auf der Burg bekomme ich die Zutaten ja oft geschenkt, aber auch in Deutschland gibt es mittlerweile ja so viele italienische Alimentari, dass die Beschaffung von Original-Zutaten kaum ein Problem ist. Vorweg sei aber gesagt, dass mein Rezept auch mit Tomaten-Mark, griechischen oder türkischen Paprikaschoten und zerbröseltem Brät von Thüringer oder Nürnberger Bratwürsten funktioniert. Man hört dann allerdings beim Essen nicht virtuell wie von selbst die Leitmelodie vom Paten. Da kann man aber heute mit dem Internet nachhelfen...

https://www.youtube.com/watch?v=qEhci1YYF3o


Hier die Zutaten für "Moda mia"
Für vier Personen als "Primo":

12 kleine, spitze aber nicht scharfe Paprikaschoten
12 "Nester" Tagliatelle einer guten Marke, wenn
frisch gemachte nicht zu bekommen sind
600g Salsiccia Siciliana im feinen Darm am Stück in Schnecken-Form
2 mittelgroße überreife und durch Abbrühen gehäutete Tomaten
je 1 Espresso-Löffel voll frischem Thymian, Oregano und Majoran
2 große Zehen frischen Knoblauchs
4 mittelgroße, frische Peperoncini (auch Thai-Chilli passt)
2 gehäufte Teelöffel braunen Melasse-Zuckers
Salz nach Belieben

Zubereitung:

Die Paprikaschoten fein vom Strunk aus mit einem spitzen Tourniermesser vom Gehäuse und den weißen Ansätzen befreien.
Die frische Salsiccia-Schnecke vorher für eine Stunde ins Gefrierfach stellen. Sie lässt sich so besser teilen, ohne dass sie dann auseinander fällt . Die angefrostete Wurst in Finger lange Stücke oder direkt individuell auf Länge der Schoten zerteilen.. Die Schoten so vorsichtig damit stopfen, dass sie gut mit Druck ausgefüllt sind. So zerplatzen sie nicht beim Schmoren.
Nur zwei Esslöffel bestes Olivenöl zum Anbraten auf niedriger Flamme in einer Pfanne mit hohem Bord und Deckel. Und von Anfang an den Deckel drauf. Dadurch ergibt sich der köstliche typische Brat-Saft als Grundlage für die Geschmeidigkeit
Nach der Hälfte der etwa 45 Minuten Garzeit die gepellten, in Würfel geschnittenen Tomaten mit allen Kräutern, dem Knoblauch den zerhackten Peperoncini, eventuell übrig gebliebener Wurst und zwei weiteren Esslöffeln Öl dazugeben.
10 Minuten vor dem Servieren der Pasta das kochende Wasser für die Tagliatelle kräftig salzen und die Nester oder die Frisch-Ware hinein geben. 
Achtung: Frisch gemachte Tagliatelle haben nur eine Garzeit von drei bis vier Minuten. Die in "Nestern" angebotenen Fertigprodukte können in einem flachen Topf von Wasser bedeckt nach Anweisung so vorsichtig gegart werden, dass sie dann mit einer Loch-Kelle unversehrt herausgehoben und so auf vorgewärmten Tellern zur "Gourmet"-Variante mit den Schoten sternförmig dazwischen optisch eleganter angerichtet werden.
Natürlich bevorzuge ich die Mafia-Art mit der in der Pfanne unter gehobenen Pasta. Das ganze mitten  auf den Tisch, und jeder nimmt sich selbst! Besonderen Pfiff bekommt die Mahlzeit, wenn man statt des üblichen Parmesan oder Grana Padano mal Pecorino stagionato drüber hobelt...

Buon Appetito!









Mittwoch, 9. September 2020

Wie und wie viel kann ein Auge trinken...

CD-paint-collage

... , und was haben die Wimpern mit dessen Fassungsvermögen zu tun?

Mein Vater war ein absolut universal gebildeter Mensch, und für einen Volljuristen schrieb er auch ganz passable Texte, die nicht gleich an Schriftsätze erinnerten. Leider hatte er sein Abi im zweiten Anlauf in einer Zeit gemacht, in der man Zitate noch frei aus dem humanistisch eingepaukten Kopf hervor holen konnte. - Nicht so wie ich, der für die meisten heeren Floskeln Wikipedia bemühen muss.

Auf unseren Reisen durch Gegenden, durch die in unserer Kindheit  - vor allem im Osten - sonst noch niemand kam oder in historischen Landschaften ging einem das ziemlich auf die Nerven. Es gab zudem immer Streit, wie viel von den Ferien am Meer oder im Hochgebirge verbracht werden sollten. Als militanter Nichtschwimmer waren ihm die Berge natürlich immer lieber. Vielleicht hat er deshalb - wann immer ein Blick auf ein Meer zu erhaschen war, um uns Kinder zu ärgern, laut "Thalatta, Thalatta" gerufen. Erstmals tatsächlich als wir bei einer Türkei-Reise aus Zentral-Anatolien kommend oberhalb von Trapezunt - wie in Anabasis beschrieben - endlich aufs Schwarze Meer blickten...

Dem ganzen folgte aufgrund seiner altgriechischen Bildung sogleich ein ellenlanger Exkurs über Xenophons "Reisebericht" vom "Heer der 10 000" im Jahre 401 v. Chr. Nach dem Sermon hätten wir Geschwister uns am liebsten in den damals vom Tourismus  noch völlig verschonten Fluten ersäuft. Anabasis wurde - wieder daheim - als Taschenbuch angeschafft - und wurde Pflicht-Lektüre. Da ich mit Abstand jünger war als meine beiden Schwestern traf es mich erst auf dem Gymnasium - und brachte mir gleich eine mündliche Eins in Griechischer Geschichte ein. Ich hatte Anabasis da noch gar nicht gelesen, mir aber die Schilderungen meines Vaters gut gemerkt, weil er ja gerne mal alles abfragte.

Thalatta, thalatta!
Das Meer, das Meer!

Den wahren Gehirn-Klops in meinen Synapsen verursachte er aber durch seine immer wieder laut ausbrechende Begeisterung im Anblick spektakulärer Hochgebirgs-Panoramen. Als Fünfjähriger musste ich schon auf den Piz Cerva und über Morteratsch- und Diavolezza-Gletscher Stiefeln. Da war er gnadenlos. Ein Wunder, dass ich da für meinen späteren Werdegang nicht traumatisiert war, als ich die dann auf Ski befuhr.

Aber sein Zitat hallt auch heute noch angesichts unseres hiesigen Rundum-Blicks von der Terrasse vor allem im Herbstlicht innerlich nach:

Trink o Auge, was die Wimper hält...

Wer hat's erfunden, beziehungsweise gedichtet? Natürlich ein Schweizer! Nämlich Gottfried Keller. Lange Jahre bis zu meiner Ausbildung als Buchhändler dachte ich, mein Vater hätte aus Gregor von Rezzoris einzigartigem Persiflagen-Band "Mit fremden Federn" zitiert. Aber dann stieß ich neugierig geworden doch noch auf die Fortsetzung diese Spruches am Ende von Kellers "Abendlied":

... von dem goldnen Überfluss der Welt! 

Gottfried Keller
1819 - 1890
Bilder: Wikipedia
War das wirklich denkbar, dass der von mir so geschätzte, Freiheits-Schriftsteller. Politker und Maler, der die Schule genauso verkackt hatte wie ich, einen derartigen Schwulst gedichtet hat?

Immerhin Theodor Storm, der auch nicht ganz gefeit davor war, seine Dichtung über die Deiche treten zu lassen, schrieb 1879 einen begeisterten Kommentar an seinen Schweizer Kollegen. Vielleicht entsprang zuviel dramatisches Gefühl ja damals dem Zeitgeist? Aber war es nicht auch damals in natura schon so, dass das Auge eher vor Ergriffenheit weinte, und die Wimpern die Tränen nicht aufhalten konnten?

Da gäbe ich doch letztlich lieber den präzisen, heute noch erstaunlich gültigen Landschaftsbeschreibungen des Xenophon den Vorzug. Natürlich in Übersetzung.

Der Autor vor 67 Jahren
beim Abstieg von der Diavolezza
im Oberengadin


Montag, 7. September 2020

Bin ja selbst schuld!

 Zum Post "Nom de Plume" Obelix schickte mir heute eine Leserin dieses Bild zum Thema "Gürtel unterm Bauch tragen":



Passion

 

Foto: Claus Deutelmoser









Regelmäßige Leser meiner Posts wundern sich ja vielleicht nicht mehr, dass ich - der eingefleischte Agnostiker - mich so für den inbrünstigen Glauben anderer begeistern kann. Vielleicht ist da ja auch ein Portiönchen Neid dabei, aber vor allem ist es Faszination wie "nicht Wissen" mit soviel Zuversicht praktiziert werden kann. Es ist doch so verlockend und gleichzeitig beruhigend, zu glauben, es könne eine höhere Macht geben, die alles gut werden lässt...

Wie fahren ja nicht mehr so oft hinunter ins Tal wie früher. Wenn, dann meist vormittags, aber nie genau zur selben Zeit. Dabei treffen wir auf halber Strecke zum nächsten Ort bei der engen Kurve des Torrente immer wieder das selbe Paar. Ob Mutter und Tochter, oder eine ältliche Betreuerin der alten Dame bleibt im Bereich der Spekulation. Die eine ist vielleicht schon 80, die andere auch schon grauhaarig. Aber wir kennen das Ziel der Wanderung, weil wir schon manchmal genau im richtigen Moment dort vorbei fuhren. Es ist ein kleiner Altar, ein Heiligen-Häuschen oder wie man in Bayern sagt: ein Marterl. Von Vandalen und der Zeit ist es erheblich mitgenommen. Ob da den Unfallopfern der Kurve oder des Sturzbaches gedacht oder um Schutz für Verkehrsteilnehmer gebetet wird? Wir wissen es nicht!

Mal stehen die beiden rastend oder andächtig davor, mal sind sie noch auf dem Hinweg, und ganz selten befinden sie sich schon wieder auf dem Rückweg. Mittlerweile sind wir uns im Vorbeifahren schon so vertraut, dass gegenseitig gewunken wird. Alles in allem legen die Damen hin und zurück so wohl täglich an die zwei Kilometer zurück. Wenn es dem Glauben geschuldet ist, dient es ganz sicher aber auch der Gesundheit der "Pilgerinnen". Und so dicht ist der Verkehr hier oben ja kaum, dass nicht Zeit für diesen Genuss-Tunnel aus knorrigen Steineichen, Akazien und herrlich silbrig grün glitzernden Oliven-Bäumen wäre. Und dann sind da auch immer wieder  diese wie in belaubte Bilder-Rahmen gefassten Durchblicke  auf die im Licht geborenen Dörfer auf der anderen Talseite...

Da ist die Passion nie ein Leidensweg sondern eher eine liebe Leidenschaft.

Donnerstag, 3. September 2020

Ohne Inhalt und doch voll da!

Wie kann die Leichtigkeit des Seins unerträglich sein?
Digitallay Your's Art Project
Claus Deutelmoser 1988


Menschen, die jeder Jahreszeit etwas abgewinnen können, sind zu beneiden. Ich verliere mit dem schwindenden Tageslicht als Sanguiniker von jeher an Lebensmut. Im Herbst neigt meine Seele dazu, das baumeln Lassen während des Frühlings und des Sommers zu bedauern. Das war eigentlich schon immer so. Als Schüler fragte ich mich, wenn die großen Ferien vorbei waren, ob ich im Sommer die schönen Tagen gut genug genutzt hätte. Als junger Mann, in den ersten Jahren als Autor und Journalist, musste ich mich schon lange bevor der erste Schnee fiel, intensivst mit dem bevorstehenden Winter beschäftigen. Das war so obskur, dass ich in Irland während ich auf dem Shannon schipperte, an einem Buch über große Ski-Sportler schrieb oder in einer einsamen Bucht an der korsischen Westküste bei großer Hitze eine Übersicht zu den Neuheiten der nächsten Ski-Saison verfasste. Ein paar Jahre später mit den zusätzlichen, weltweiten Reise-Reportagen geriet mein innerer Kompass vollkommen ins Trudeln. Der richtete sich erst wider halbwegs richtig aus, als ich nicht mehr arbeitete und hier auf die Burg zog. Der Entzug von Tageslicht verstärkte allenfalls die Leere in meiner Brust. Die in meinem Kopf jedoch, die ich nach Ansicht der Gurus bei der Meditation zur "spirituellen Genesung" erreichen sollte, gelang mir nie. Wieso ließ sich mein Kopf selbst in der Kontemplation nicht von immerfort kreisenden Gedanken befreien? In einem Buch entdeckte ich warum. - Auch weshalb ich ein passabler  Schreiberling, aber nie ein Literat werden würde...

Mitte der 1980er las ich den Roman des Tschechen Milan Kundera: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Auch im Rückblick ist das in seinem Pariser Exil verfasste Meisterwerk aus dem Jahr 1984 immer noch eines meiner Lieblings-Bücher, obwohl es so tragisch endet.
Denn das Leben ist eben nicht unerträglich leicht - vor allem wenn man wie ich zu jener Fraktion gehört, die in den schönsten Momenten immerzu daran denken muss, was zur Strafe für die Leichtigkeit des Seins gleich hinter der nächsten Ecke lauert...

Meine Mutter hat sich beim Tod meines Vaters den Spruch ausdrucken lassen, der Konfuzius zugeschrieben wird. In meinen Augen ist der zum Kitsch überstrapaziert worden  - wie Picassos "Mädchen mit  Taube" aus seiner blauen Periode:
"Schöne Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber, sondern dankbar dass sie gewesen..."

Eigentlich logisch, aber ich mag ihn trotzdem nicht, weil die megastarke und immer aktive Wuchtbrumme, die meine Mutter war, fortan die Sinnlosigkeit ihres noch 17 Jahre andauernden Lebens tatenlos beklagte. Sie war eben 10 Jahre jünger gewesen als ihr Mann. Damals dachte ich, herzlos wie Kinder mitunter sind, dass sie bei normaler Lebenserwartung mit dem Leben ohne Mann hätte rechnen und sich arrangieren müssen. 

Jetzt hilft Abbitte nichts mehr, aber es ist nicht zu spät, meinen ollen Herbst-Blues durch entsprechende Erkenntnis mit Sequenzen in Dur zu entkrampfen. Milan Kundera ist jetzt 91 Jahre alt. Seine Folge-Romane haben bis auf  den letzen (Das Fest der Bedeutungslosigkeit) kurze Titel, die sich unermüdlich mit den "Aggregatszuständen des Lebens" beschäftigen: Die Unsterblichkeit, Die Langsamkeit , Die Identität, Die Unwissenheit

Milan Kundera Jahrgang 1929
schreibt überwiegend in
Französisch.
Quelle: abbanews.eu

Wäre ich nicht so ein fauler Schreiber, ich lehnte mich an ihn an und würde meine Herbststimmung so betiteln:

"Das leichtfertige Leben in vollkommener Leere."

Dazu das passende Video als Erinnerung an ein Leben in Zeiten des durch Corona bedingten Lockdowns:

https://www.youtube.com/watch?v=uqb8uFLArV4


Mittwoch, 2. September 2020

Vom Bio-Glück

Kinderkopf große Tomaten so wohlschmeckend, dass einem sofort der
österreichische Ausdruck Paradeiser in den Sinn kommt. Dass die
Eier gelegentlich etwas kleiner ausfallen, ist der Hitze geschuldet.
Alles ist dafür aber absolut bio frisch





Der knorrige, bärenstarke  Lebensgefährte der "holden Helvetia" (wie wir die uns mittlerweile ans Herz gewachsene Schweizer Nachbarin nennen) isst nur, was er selbst gepflanzt  oder heran wachsen gesehen hat. Unter seinem Ansporn hat sich die ehemalige Top-Managerin in das Urbild einer unerschütterlichen Landfrau verwandelt. Mit Latzhose, Arbeitsstiefeln, T-Shirt und hoch gebundenen Haren lässt sie ungeahnte Kräfte spielen.

Wir profitieren davon in einer Weise, die man nur als vollkommenes Bio-Glück bezeichnen kann. Wir müssen nichts schleppen und bekommen feinste Ware günstig frisch vom Feld oder aus dem Hühnerstall.

Die "Holde Helvetia"
ist eine Bank für
beste Bio-Qualität
zum fairen Preis

Hinzu kommt geschenkt alles, was die zahlenmäßig immer kleiner werdende Nachbarschaft bei gleich bleibenden Ernte-Erträgen aus ihren Gärten nicht mehr selbst verzehren oder einmachen kann. Dadurch sind wir mehr denn je zu Teilzeit-Vegetariern geworden, die nur noch gelegentlich auf Fleisch oder Fisch zurück greifen. Das sind dann Produkte, die wir auch ohne schlechtes Gourmet-Gewissen  auf Vorrat einfrieren.

Auf dem Blog giallozaffarano.it habe
ich dieses Variante gefunden: Mit Penne
rigate und Hackfleich. Da kommt
die obligatorische Aubergine
optisch einfach zu kurz. Lustig:
Irgendwie beziehen sich die meisten
bei ihren Rezepten auf Montalbano.
Adelina wäre geschockt...



Auf unsere alten Tage ist durch diese veränderte Ernährungslage aber auch unsere Kreativität beim Kochen wieder verstärkt gefragt. Mit ein wenig Eigenlob können wir von uns sagen, dass wir ohne Rezepte Anderer, dabei in neue Dimensionen vorstoßen.
Allerdings gibt es nun literarische Anregungen. Fast unisono haben wir wieder mit dem Lesen angefangen. Vor allem nachdem wir lauter Laden neue, ungelesene Bücher von Andrea Camilleris verfressenem Comissario Salvo Montalbano im Bücherregal entdeckt haben. 

Der unorthodoxe Ermittler aus Sizilien wärmt zwar nur Vorgekochtes seiner Zugehfrau Adelina auf, aber die Beschreibungen dieser Casareccia-Spezialitäten lassen einem beim Lesen derart das Wasser im Munde zusammenlaufen, dass sofort der Herd ruft.
Vor ein paar Tagen musste ich mich unbedingt an Montalbanos Leibspeise, die "Pasta 'ncasciata" wagen, ohne allerdings die klassischen Zutaten im Haus zu haben. Was heraus kam, war dennoch so wohlschmeckend, dass die "fürsorglichste Ehefrau von allen" zweimal Nachschlag verlangt hat. Sie meinte, ich solle das für einen Post fotografieren, aber ich war optisch mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden.
 - Weil ich natürlich die "Luxus-Variante" in einer gläsernen Backform gewählt hatte, bei der die Auberginen in feinen Scheiben außen herum gelegt werden. Das deckte leider die Schwächen unseres Primitiv-Ofens gnadenlos auf.

Ich verspreche also bei meinem Hummer-Logo feierlich, dass ich es noch einmal versuche und dann auch verrate, was ich an Änderungen und besserer Optik eingebracht habe.