Donnerstag, 3. September 2020

Ohne Inhalt und doch voll da!

Wie kann die Leichtigkeit des Seins unerträglich sein?
Digitallay Your's Art Project
Claus Deutelmoser 1988


Menschen, die jeder Jahreszeit etwas abgewinnen können, sind zu beneiden. Ich verliere mit dem schwindenden Tageslicht als Sanguiniker von jeher an Lebensmut. Im Herbst neigt meine Seele dazu, das baumeln Lassen während des Frühlings und des Sommers zu bedauern. Das war eigentlich schon immer so. Als Schüler fragte ich mich, wenn die großen Ferien vorbei waren, ob ich im Sommer die schönen Tagen gut genug genutzt hätte. Als junger Mann, in den ersten Jahren als Autor und Journalist, musste ich mich schon lange bevor der erste Schnee fiel, intensivst mit dem bevorstehenden Winter beschäftigen. Das war so obskur, dass ich in Irland während ich auf dem Shannon schipperte, an einem Buch über große Ski-Sportler schrieb oder in einer einsamen Bucht an der korsischen Westküste bei großer Hitze eine Übersicht zu den Neuheiten der nächsten Ski-Saison verfasste. Ein paar Jahre später mit den zusätzlichen, weltweiten Reise-Reportagen geriet mein innerer Kompass vollkommen ins Trudeln. Der richtete sich erst wider halbwegs richtig aus, als ich nicht mehr arbeitete und hier auf die Burg zog. Der Entzug von Tageslicht verstärkte allenfalls die Leere in meiner Brust. Die in meinem Kopf jedoch, die ich nach Ansicht der Gurus bei der Meditation zur "spirituellen Genesung" erreichen sollte, gelang mir nie. Wieso ließ sich mein Kopf selbst in der Kontemplation nicht von immerfort kreisenden Gedanken befreien? In einem Buch entdeckte ich warum. - Auch weshalb ich ein passabler  Schreiberling, aber nie ein Literat werden würde...

Mitte der 1980er las ich den Roman des Tschechen Milan Kundera: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Auch im Rückblick ist das in seinem Pariser Exil verfasste Meisterwerk aus dem Jahr 1984 immer noch eines meiner Lieblings-Bücher, obwohl es so tragisch endet.
Denn das Leben ist eben nicht unerträglich leicht - vor allem wenn man wie ich zu jener Fraktion gehört, die in den schönsten Momenten immerzu daran denken muss, was zur Strafe für die Leichtigkeit des Seins gleich hinter der nächsten Ecke lauert...

Meine Mutter hat sich beim Tod meines Vaters den Spruch ausdrucken lassen, der Konfuzius zugeschrieben wird. In meinen Augen ist der zum Kitsch überstrapaziert worden  - wie Picassos "Mädchen mit  Taube" aus seiner blauen Periode:
"Schöne Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber, sondern dankbar dass sie gewesen..."

Eigentlich logisch, aber ich mag ihn trotzdem nicht, weil die megastarke und immer aktive Wuchtbrumme, die meine Mutter war, fortan die Sinnlosigkeit ihres noch 17 Jahre andauernden Lebens tatenlos beklagte. Sie war eben 10 Jahre jünger gewesen als ihr Mann. Damals dachte ich, herzlos wie Kinder mitunter sind, dass sie bei normaler Lebenserwartung mit dem Leben ohne Mann hätte rechnen und sich arrangieren müssen. 

Jetzt hilft Abbitte nichts mehr, aber es ist nicht zu spät, meinen ollen Herbst-Blues durch entsprechende Erkenntnis mit Sequenzen in Dur zu entkrampfen. Milan Kundera ist jetzt 91 Jahre alt. Seine Folge-Romane haben bis auf  den letzen (Das Fest der Bedeutungslosigkeit) kurze Titel, die sich unermüdlich mit den "Aggregatszuständen des Lebens" beschäftigen: Die Unsterblichkeit, Die Langsamkeit , Die Identität, Die Unwissenheit

Milan Kundera Jahrgang 1929
schreibt überwiegend in
Französisch.
Quelle: abbanews.eu

Wäre ich nicht so ein fauler Schreiber, ich lehnte mich an ihn an und würde meine Herbststimmung so betiteln:

"Das leichtfertige Leben in vollkommener Leere."

Dazu das passende Video als Erinnerung an ein Leben in Zeiten des durch Corona bedingten Lockdowns:

https://www.youtube.com/watch?v=uqb8uFLArV4


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