Freitag, 18. September 2020

Divergenzen

Das Substantiv Divergenz meint das „Auseinandergehen, Abweichen, Auseinanderstreben“ von bestehenden Differenzen...

Was macht einen Menschen zum Unmenschen? Und was bringt letzteren so oft an die Macht? Ist die Divergenz des Seins in diesem Fall vielleicht auch nur menschlich allzu menschlich?

Vorgestern war mal wieder so ein Tag auf der Burg, der so divergent war, dass einem regelrecht die Spucke weg blieb: In Nachrichten-Foren las ich über die Rumzickerei vor allem von "Christlich-Sozialen" und "Grünen" innerhalb der EU um das Schicksal der Migranten im Lesbos-Lager Moria nach dem Brand, der wohl Brandstiftung war. In Österreich konnten 84 Flüchtlinge gerade noch vor dem Erstickungs-Tod in einem türkischen Laster ohne Frachtraum-Belüftung gerettet werden. Zwischen rechtsextrem gepolten Polizisten in NRW werden in einem eigenen Netzwerk mit Chat-Room Ansichten und Bilder geteilt, die das Image vom "Freund und Helfer" erheblich infrage stellen.

Aber es gibt ja auch noch die Divergenz zwischen Mensch und Tier. Die quälerischen internationalen Transporte für lebend Schlachtvieh haben nach dem Rückgang wegen Corona unverdrossen wieder Fahrt aufgenommen. Dafür soll das "Schreddern" von männlichen Küken wohl ab nächstem Jahr verboten sein. Während das "Kindeswohl" durch mannigfaltig dokumentierten Missbrauch nach wie vor gefährdet ist, weil die Gesetze für die künftige Strafsache immer noch zu lasch sind, verbessert sich aber immerhin die Kontrolle in der privaten Haustier-Haltung.

Kein Zweifel: Wir Menschen, die das selbst nicht können und sich weigern beim Verzehr eines Schnitzels an die Kulleraugen des Kälbchens zu denken, brauchen vor allem andere Menschen. die schlachten, - aber auch seelisch unversehrt schlachten können... Ein früherer Geschäftspartner, der in eine Bauern-Dynastie eingeheiratet hatte, nahm seine Kinder - sobald sie laufen konnten - rigoros zur Hausschlachtung mit, sonst gab es weder Wurst noch Schinken aufs Brot...

Unsere nun meist verstorbenen älteren Ureinwohner auf der Burg hatten, als wir hierher zogen, noch ein eher archaisches Verhältnis zu den Tieren, mit denen sie lebten. Damals gab es im Borgo noch streunende oder gar herrenlose Hunde, die wild mit einer unüberschaubaren Katzen-Schar herum tobten. Unkontrollierte Würfe wurden zwecks Geburtenkontrolle in der oberen Viehtränke ersäuft, die es mangels Vieh heute auch längst nicht mehr gibt. Singvögel wurden abgeballert und landeten auf dem Grillspieß.
Was hätten die Leute damals über die Geschichte gestaunt, die Gigi, der Neffe meiner besten Freundin und Jung-Unternehmer aus Berlin und seine brasilianische Verlobte uns am Abend des selben Tages hier auf der Piazza erzählt haben.

Diese von mir gemalte Idylle aus dem Jahr 2002
sieht gestellt aus, war aber Realität auf den Felsen-Stufen vor unserer Haustür
Claus Deutelmoser: "Allein unter Katzen" Oil on Canvas














Demnach hatten sie bei der Adoption eines Welpen aus dem vom Tierschutz geretteten Wurf einer  rumänischen Straßen-Hündin ähnliche Befragungen, Beratungen und Nachweise im Tierheim zu erbringen, als ginge es um ein Baby. Sogar eine Tier-Psychologin wurde vermittelt.

Die "Vorschul"-Erziehung von Dino erfolgt gemäß der Berufe der Beiden per Video-Überwachung und Live-Austausch mit den anderen, die ein Tier aus diesem Wurf adoptiert haben. Schöne, neue Tierwelt: Wann immer der mittlerweile sechs Monate alte Lausbub glaubt, allein und unbeobachtet etwas Verbotenes tun zu können, stürmen Herrchen und Frauchen zur Unterlassung mahnend hinzu. Von den anderen "Adoptiv-Eltern wird  auch schon mal ein Hundehaufen auf dem Sofa oder ein zerfetzter Hausschuh gepostet oder unglaubliches Staunen über den Geruch von Junghund-Furzen geäußert.

Wo er hinkommt, ist Dino der Star.
Auf unserer Piazza begann wohl sein
"Walk of Fame"
Sitz! und Platz! Das kann er schon!
Foto: Cici Carbone

Ja, und dann die schönste Divergenz: Für Tage flatterte hier ein einsamer Star über die Dächer, der ganz offensichtlich eine Meise hatte. Auf dem Dach der Musikprofessoren keckerte er wie eine der vielen Elstern rund um den Borgo, am  Kamin des verwaisten Nachbarhauses  täuschte er uns mit dem Gesang der Merle - allerdings aus voller, in der Morgensonne entlarvend schillernder Brust. Vermutlich hat er sich noch voller Appetit über die nun immer dicker werdenden aber erschöpften Arbeiterinnen des Wildbienen-Volkes als Wegzehr hergemacht. Heute im Morgengrauen spielte er dann noch fast die Tonleiter der Nachtigallen. Dann gab es jedoch zweimal das Geräusch, als schütte einer hier in den Gassen hunderte kleiner Glasfläschchen in einen Behälter. Dann war es totenstill! 

Ich hätte nur zu gerne mit erlebt, wie unser Star von einem Schwarm seiner so lärmenden Artgenosseen auf dem Weg nach Rom  (? dem bekanntesten Winterquartier für europäische Stare) "abgeholt" wurde...

http://stare.info/video/various-voice-mimicries-by-starlings/

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