Donnerstag, 24. September 2020

Übern Zaun schaun!

Macht Corona uns wieder zu national politischen  Eigenbrötlern, die den europäischen Gedanken vervespern? Bei guter Nachbarschaft sollte es doch möglich sein, über den Zaun zu schauen, um zu sehen, was dort so gut sprießt und was man bei sich im Garten besser nicht weiter gießt...

Hätten wir mit unserem Haus auf der Burg nach all der Zeit die Residenza beantragt, wären wir neben kleinen Steuervergünstigungen nach europäischem Recht wohl auch am vergangenen Sonntag berechtigt gewesen, bei den Italienischen Regional-Wahlen unsere Stimmen abzugeben. Wir fühlen uns zwar einigermaßen dazu gehörig, aber wir wissen, dass wir nur akzeptiert sind. Also halten wir uns aus allgemeinen politischen Diskussionen hier im Sprengel raus. Aber wir diskutieren heftig mit unseren Freunden. Die sind ja in etwa alle so alt wie wir und haben die vielen Parallelen im Werdegang unserer beiden Republiken nach dem Krieg zum Teil genauso hautnah erlebt:

Das waren noch Zeiten, als es in der Politik Italiens
einfach nur um die Wahl zwischen
Spaghetti-Kommunismus oder Democrazia Cristiana ging
Das Verkraften der Kriegsschuld, den Neo-Kapitalismus, das Wirtschaftswunder, den Terror von Baader-Meinhof und den Brigate Rosse, das Schwinden des politischen Einflusses der Kirchen und letztlich das Aufkeimen des Neo-Faschismus. Allerdings ernte ich häufig ungläubiges Staunen mit meiner Ansicht, dass die Italiener viel politischer sind als die Deutschen. Wieso? Weil sie sich viel weniger gefallen lassen. Mit ihrem Votum sorgten sie dadurch allerdings für meist instabile kurzlebige Regierungs-bündnisse.  Parteien müssen sich deswegen immerzu neu erfinden und umbenennen, ohne allerdings entscheidende Richtungsänderungen zu vollziehen. Das Volk erzwingt auf diese Weise mit den Stimmzetteln kuriose Koalitionen oder  Regierungen, in denen es von Beginn an rumort. 65 davon hat es seit dem Zweiten Weltkrieg bis zu Corona gegeben.
Der  sprichwörtliche "Tanz am offenen Grab" ist den Italienern so vertraut wie die seit den 1960ern angeblich kriselnde Wirtschaft, die aber im vergangenen Jahr immerhin noch auf Platz 8 der Weltrangliste rangierte. Die von der Bewegung "Cinque Stelle" mit breiter Zustimmung angetriebene Steuer-Reform und die Verkleinerung der Parlamente könnte den Italienern schlagartig die Sorgen nach Corona erleichtern. Kein Volk der Welt zahlt so säumig Steuern und lässt sich von derart vielen, oft faulen, absurd privilegierten Parlamentariern mit Weltrekord verdächtigen Abgeordneten-Gehältern gängeln...

Deshalb kam der Regional-Wahl 2020 in der neuerlichen Bedrohung durch die Pandemie auch eine richtungsweisende Bedeutung zu. Wer hat "mit" Corona am effektivsten regiert?

https://www.corriere.it/elezioni/risultati-regionali-2020/

Wie kann Lösch-Wasser mit Feuer
regieren? Giuseppe Conte und
Luigi di Maio von den "Cinque Stelle"
Quelle: Il Messaggero
Als neutraler Beobachter verzichte ich natürlich auf einen Kommentar. Aber als überzeugter Europäer bin ich zunächst einmal beruhigt, dass der geschickt "moderierende", keiner Partei zugehörige Ministerpräsident Giuseppe Conte mit seiner kuriosen Koalition durch die Regional-Wahl in seinem "Corona-Krisen-Management" bestätigt wurde.

Giovanni Toti 52
Dass Ligurien trotz der Nähe zu Frankreich relativ wenig von dem Virus betroffen war, schrieben hier die Wähler allerdings dem amtierenden Präsidenten Giovanni Toti zugute. Den ehemaligen Star-TV-Journalisten von der Partei Forza Italia sehen viele Experten als kommenden Herausforderer von Conti. Auch weil er dem Lega-Boss Salvini so gerne die Leviten liest...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen