Dienstag, 9. Juli 2013

Il Signore

Nicht nur weil sich unsere Häuser hoch über dem Talkessel  an diesen steilen Felsgrad klammern, scheint die höhere Warte für die Betrachtungsweise der Burggeister  so passend.
Ein Borgo, der gerade mal zwei Fußballfelder groß ist und über drei Kirchen oder Kapellen (eigentlich vier) verfügt, muss manifestiert im Glauben sein.

Vergangenen Donnerstag also hatten wir Burg-Bewohner auf  der unteren Piazza mal wieder eines unserer spontanen Dorffeste. Wenn die Zweitbeste und unsere Freundin Petronella in Partylaune sind, gibt es eben kein Halten. Es sind ja neue, permanente Residenten hinzu gezogen, und die sollten sich eben auch mal kennen lernen. Der Jubel war umso größer, weil erstmalig in all den Jahren die Italiener bei so einer Zusammenkunft in einer Überzahl drei zu eins waren, was zusätzlich gefeiert wurde wie der Halbfinal-Sieg der Squadra über Merkel-Deutschland bei der vergangenen Fußball-Europameisterschaft.

Natürlich bogen sich wieder die Tische unter selbst gemachten Spezialitäten, selber ausgebauten Bio-Weinen in Rot und Weiß sowie Prosecco bis zum Abwinken. Auch ich hatte Grund, ein wenig stolz zu sein, denn meine spaghetti con pesto speciale erhielten durchweg ein „Daumen hoch“. La notte magica dauerte von sechs bis Mitternacht. Die eigentliche Sensation war jedoch, dass unsere Seelensammlerin Electra bis zum Schluss durchhielt. Normaler Weise nippt sie nur schüchtern an einem Gläschen und ist gleich wieder verschwunden. Diesmal trotzte sie der babylonischen Sprachverwirrung und stimmte zu später Stunde sogar mit Ada ligurische Volkslieder an. Was war nur in sie gefahren?

Die Antwort kam kurz bevor sich die Gesellschaft auflöste: Seit einigen Wochen ist die mittelalterliche Santa Anna an der oberen Piazza voll eingerüstet, damit ihre maroden Mauern stilecht wieder aufgerüstet werden. Wenn sie restauriert ist, wird das Ensemble oben wohl einer der schönsten Dorfplätze von Ligurien sein: weitläufig umstellt von Einzelhäusern nach Osten und von einer bunten Häuserreihe nach Westen; – eben wenn!

Denn natürlich fehlt es wieder an Geld. Also steht Electra auf, bekreuzigt sich und bekennt, dass für das Dach der Kirche noch Geld benötigt werde. Und wo wir doch alle gerade so nett beieinander säßen, wäre es doch angebracht, dass alle ihren Teil dazu beitrügen

Savonarola hätte seine Freude an ihr gehabt. Großartig, wie sie es geschafft hat, mit ihrer inquisitorischen Stimme die Runde im Alter von 16 bis 80 in Ehrfurcht erstarren zu lassen.
Die Spenden sind ihr also sicher, weil sie es auch mit Geschick und deutlichem Fingerzeig immer wieder schafft, il Signore mit einzubeziehen.

Diese Geste, mit dem Zeigefinger in den Himmel zu zeigen, um von I h m zu reden, haben sich mittlerweile auch alle anderen, älteren Dorfbewohner bei ihr abgeschaut. Neulich kam der bald 80jährige Falco mit seinem Hund an der Leine und einem Skistock in der Hand von einer ausgedehnten und steilen Runde oberhalb des Dorfes über die Piazza zurück:
„Mann, Du siehst aber fit aus“, sage ich.
Er: „Ach weißt du Obelix? Jetzt brauche ich schon einen Stock, weil mein Gleichgewichtssinn nicht mehr so gut ist. Ach und die Knie tun mir weh. Und schau, wie dick mein Hund geworden ist, weil ich nur noch eine Stunde mit ihm unterwegs bin. Ich denke (kurzer Fingerzeig zum Himmel), il signore hat bereits ein Auge auf mich geworfen...“


Ja, auch das Jammern findet hier beinahe auf Augenhöhe mit dem Allerhöchsten statt.

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