Dienstag, 16. Juli 2013

Keinen Bock?

Wer erleben darf, wie sich ein Konzept seines Lebens realisiert, der sollte daraus zweierlei lernen:
Erstens, dass so viel Glück zu haben, ein Privileg ist und zweitens, dass das eigene, erfolgreiche Konzept für andere auch zur Belastung werden kann.

Durch meinen Schwager hatten die Zweitbeste und ich in den 1970ern den höchstmöglichen Einstieg in die Italienische Gesellschaft. Mit den Brüdern Paolo und Michele, Söhne eines Stahlmagnaten, der auch als Vater ein Despot war, machten wir Party, fuhren gemeinsam in den Urlaub und teilten - so gut es ging - Freud und Leid. Dann wurde geheiratet, und es kamen die Kinder, derenthalben man sich eine wenig aus den Augen verlor.

Anlässlich einer Reportage über ihre Heimatstadt sahen wir uns dann wieder. Es waren die 1980er und die Zeit terroristischer Entführungen. Beide fuhren nun in gepanzerten Limousinen und hatten eine entsicherte Automatik unterm Sitz. Einfach in eine Bar gehen, ging nicht mehr. Da mussten schon die Pantere Grigi  (Italiens GSG9) in der Nähe sein.

Paolo hatte sich schon immer die Frage gestellt, wieso einer, dessen Vater einen Stahl-Konzern besitzt, deshalb in seine Fußstapfen treten müsse. Michele ging es nicht anders. Dabei waren Paolo, der Ältere, der die Technologie leitete und Michele, der die kaufmännische Seite regelte, wider Willen auch noch erfolgreich.

Alt wurden beide nicht. Kaum war der immer trauriger werdende Paolo in seinen Vierzigern angelangt, raffte ihn Kehlkopfkrebs dahin, und der scheinbar immer heitere Michele jagte sich eine Kugel durch den Kopf. Das Konzept des Vaters war nicht aufgegangen.

Es muss an der Hitze gelegen haben, dass mir das gestern justament durch den Kopf schoss (?!), als eine sechsköpfige Familie ihre Utensilien für einen langen Urlaub auf der Burg über die Piazza zu ihrem wunderschönen, angemieteten Ferienhaus schleppte. Nach der zweiten Runde verkündete der Älteste – so um die zwölf:
„Ich habe keinen Bock auf das hier.“
Sein Vater reagierte erstaunlich entspannt – jedenfalls gemessen an meinen Reaktionen in solchen Situationen damals:
„Dann setzt du Dich jetzt hier an den Brunnen und schaust dich um. Das ist doch alles ganz spannend hier!“
Der Knabe ließ sowohl durch Körpersprache als auch durchs Minenspiel erkennen, wie ätzend er die alten Gemäuer fand. Ist vielleicht auch schwierig, fantasiebegabt zu sein, wenn man beim Dungeons-and-Dragons am Computer ganz andere Burg-Spannung gewohnt ist. – Wir werden sehen, ob das Ferien-Konzept des Vaters am Ende aufgegangen ist...

Mein Sohn war im gleichen Alter, meine Tochter bereits frühreife 14 als wir vor genau zwanzig Jahren in Bellissimi oberhalb von Dolcedo – zwei Täler weiter westlich unsere Liebe zu Ligurien entdeckt hatten. Obwohl Bellissimi nicht annähernd so romantisch war wie unser Borgo, waren beide von Anfang an Feuer und Flamme für diese Wehrdörfer. Diese Begeisterung unserer Kinder war auch die Triebfeder als wir sieben Jahre später das Haus hier an der Piazza gekauft haben und dann einrichten mussten. Was haben die Kids geschleppt und sogar den Möbelwagen von Deutschland hin und her gefahren. Seither ist es für sie immer ein Fest, wenn sie es schaffen, auf die Burg zu kommen. Aber nun – im richtigen Leben angekommen – hindert sie die sehr eng gewordene Berufswelt, das auszuleben, und Enkel wird es vermutlich auch nicht mehr geben...


So ist das mit Konzepten. Man muss den Augenblick leben und dankbar sein. Wenn der Boanl kommt (Kurzform für Boandlkramer – so heißt der Tod auf Bayrisch), dann bleibt eh nur diese letzte Erkenntnis von allen Konzepten: Omni mecum porto – alles Meinige trage ich bei mir. Der Boanl lässt nämlich „keinen Bock“ nicht gelten!

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