Sonntag, 30. Juni 2019

Vielem fehlt der Frühling

Die Menschen haben den Winter vor der Motorisierung und anderen technologischen Errungenschaften nie besonders geliebt. Es sei denn, sie hätten sich ewiges Eis und Schnee als Lebensraum gewählt. Für die Inuit, Tschuktschen, Samojeden und Jakuten war unsere Einteilung in Jahreszeiten nicht gegeben. Sie leben entweder in Dunkelheit oder dann Monate in denen die Sonne nie untergeht.

Obwohl das Jahr, nach dem wir heute leben, eindeutig im kalendarischen wie im meteorologischen Winter beginnt, ist in der Welt des Westens seit langer Zeit der Frühling (aus dem Mittelhochdeutschen vrüelinc  abgeschliffen) die erste Jahreszeit. Das italienische Primavera unterstreicht das. Ebenso das französische Printemps, das quasi für "Primetime" steht 

An der Hinterwand unseres Hirns ist die Zirbeldrüse verankert, die uns in der Dunkelheit einigermaßen mit dem Stimmungs-Hormon Melatonin als Rhythmusgeber versorgt. Wenn die Tage wieder länger werden, die Sonne häufiger scheint und die Temperatur kontinuierlich steigt, versetzt sie uns in eine gewisse Euphorie. Die Annahme, dass dann auch mehr Kinder gezeugt würden, ist aber falsch, da steht statistisch weiter der Herbst an erster Stelle.
Mit freundlicher Genehmigung der Interpreten des "dritten Auges" für
Einsicht, Nachsicht, Umsicht und Rücksicht

Was macht aber ein durch "Sommerzeit" und Ausbleiben des typischen Frühlings, also dessen Fehlen mit uns?
In den zwei Jahrzehnten hier auf der Burg haben wir gelernt, mit den Bauern und der Wichtigkeit der Jahreszeiten für sie zu leben. Als die Hitzewelle hier noch im Juni kam und Mitte September bereits abklang, hat sich keiner gesorgt. Aber seit es die ausufernden Winter wieder gibt, bleibt dem Frühling (wie auch bei uns) keine Zeit mehr zur Entfaltung.

Mir geht der dritte Nicht-Frühling in Folge auch aufs Gemüt. Diese Jahreszeit war stets mein Katalysator zum Durchstarten.  Direkt nach dem ewigen Auf und Ab eines Aprilwetters mit Heizkosten bis weit in den Mai, herrscht hier seit gut drei Wochen diese Hitzewelle, in der es auch  zu keinerlei Gewitter kommt. Noch ist das Ausbleiben des Regens kein Drama, aber es wird eines, wenn es nicht bald wieder regnet.

Verzweifeltes Warten auf unseren
kalorienarmen Nachmittags-Snack:
Von wegen Frigitelle auf die Schnelle...
Kirschen aus den Gärten der Nachbarn gab es seit der zweiten Mai-Woche. die ersten waren klein und knubbelig, die letzten waren prall und groß, aber allen mangelte es an dem sonst so intensiven Geschmack. 
"Die Schweizer Garde", unsere Zentral-Versorgerin mit Gemüse und Feldfrüchten musste fast vier Wochen länger warten, bis sich die ersten  Ernte-Erfolge einstellten. Es ist verrückt, aber als Laie habe ich den Eindruck, dass sich manche Pflanzen mit hohem Chlorophyl-Anteil schon auf den Turbo-Frühling eingestellt haben; vor allem die Lauchzwiebeln und Blattsalate.
Der Violette aus Albenga -
wie auch der Schwarze
von dort - so köstlich
und preiswert wie selten
Die unterirdisch wachsenden Kartoffeln und die hiesigen Spargelsorten sind von fabelhafter Qualität, und die Gurken schmecken so, dass man die Condomverschweißten aus Holland glatt in die Tonne hauen könnte..

Aber was wird mit den Spät-Entwicklern wie Oliven und Wein. Der Wein auf unserer Terrasse war immer ein Indiz, wie der Jahrgang nach der Lese unter unserem Borgo werden könnte. Nun kümmert er der Zeit hinterher. Fredo der Frantoio moniert, dass seine Oliven noch zu klein für die Jahreszeit sind.

Vorgestern - also Ende Juni !!! - haben wir zum ersten Mal Erdbeeren gehabt, die schmeckten, was der Anlass für diesen Post ist.

Ich weiß nicht, ob das der Klimawandel ist, aber ich hoffe, die Pflanzen sind künftig in der Lage ihre biologisch Uhr entsprechend umzustellen - sonst Gnade uns das viel verehrte höhere Wesen!...
Wann stehen sie - auf natürlichem Weg geerntet - mir mal wieder vereint so stramm Modell?
Claus Deutelmoser: Vor dem Kochen - Oil on Canvas
Hier noch ein kleiner Hinweis, darauf, dass es wohl auch schon früher mal keinen Frühling gegeben haben könnte: Das Gedicht eines ligurischen Bauern vor 217 Jahren nach einem Hitzschlag verfasst, und von mir in einem ähnlichen Zustand sehr, sehr schlecht übersetzt.

Wenn's Frühling finster wird


Sind die Hügel zu früh gelb vom Ginster
Bleibt der Frühling nach Ostern finster.
Petrus macht's und finster grinst er!
Aber fehlt das Frühjahr hint' und vorn,
Sprießt kein Halm und schon gar kein Korn!
Da bangt das ganze Ligurland!
Papardacci tanzen außer Rand und Band.
Und das Wasser wird bald knapper als knapp,
Denn so sehr brennt nun die Sonn' herab.

Das Wort zum sonntäglichen Monats-Ende. Au weia ist das heiß hier!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen