Dienstag, 4. Juni 2019

Sajit kocht

Wenn ich mich in meinen Schwiegersohn hinein versetze, wird mir erst wieder bewusst, was nicht nur wir- seine Familie -, sondern seine neue Welt insgesamt ihm alles abverlangen.

Mit meinem Sarkasmus war ich vielleicht kein idealer Starthelfer, aber er deckte zumindest seinen Humor und seinen Behauptungswillen auf. Als er zum ersten Mal mit meiner Tochter, die sein  Kind erwartete, auf die Burg kam, wussten wir eigentlich nichts über ihn. Außer, dass er aus Nepal stammt und sein Studium der Elektrotechnik an einer bayrischen Universität abgebrochen hatte, um Koch zu werden.
Als er im Dunklen ihr Gepäck über die Piazza schleppte, rief ich von der Seite:
"Bist du der Sherpa, den wir für hier oben bestellt haben?"
Und er antwortete: "Ja, Master! Soll ich noch etwas hochschleppen?"
Ich konnte nicht anders, als ihn sofort in die Arme zu schließen: ein bildschöner, junger Mann, ein fragiler Modell-Athlet. Wenn es für Schwiegersöhne so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gäbe, dann war sie das.

Inzwischen sind über vier Jahre vergangen, unser Enkel ist im Kindergarten, und unsere Tochter arbeitet wieder. Sajit kocht.

Innerhalb kürzester Zeit hat er sich in München mit seinen Crossover-Kreationen einen Namen gemacht, aber er scheint noch immer nicht an seinem Ziel angelangt zu sein.

Langjährige Leser meiner Blogs haben sich vielleicht gewundert, wieso ich kaum noch Rezepte von mir poste. Das hat einen einfachen Grund. Sajit greift manche meiner Ideen auf und macht sie im Handumdrehen durch feine Veränderungen nicht nur besser - er hebt sie quasi in den Gourmet-Himmel. Was soll ich da noch sagen - außer, dass zu viele Köche einfach den Brei verderben...

Am vergangenen Wochenende wollten Nachbarn unbedingt eine Fleisch-Orgie vom Grill. Sajit war für das vergangene Halbjahr der Meat-Master im angesagtesten Steak-House von München. Nun weiß er auch alles über Fleisch. Er liest es regelrecht und wendet Tricks an, von denen ich bislang nichts wusste. Unsere Quelle hier in Ligurien ist zwar nicht schlecht, aber an die Produkte seiner Lieferanten kommt dieser Metzger-Betrieb nicht heran. Obwohl wir vorbestellt hatten, um es maturieren zu lassen...

Deshalb blieben mir vor allem zwei kleine Dinge in ihrer Einfachheit in Erinnerung:

Ein Carpaccio aus Cuore-di-Bue-Tomaten beträufelt mit einem Pesto, bei dem die Blätter nach dem Fermentieren noch sichtbar waren. Dann hatte er das mit Burrata (das ist der abschöpfbare Schaum, der bei der Herstellung von Mozzarella ensteht) betupft und mit frisch gerösteten Pinien-Kernen bestreut. Mit unserem unverschnittenen Öl vom Nachbarn eine perfekte Komposition!

Sein Bohnen-Salat zum Fleisch war auch so eine Simplizität:
Die breiten Bohnen in kleine Karos geschnitten und mit weißer Zwiebel etwas länger bis zur Knackigkeit blanchiert. Dann das ganze zu weich gerösteten Speck-Würfeln in die Pfanne gegeben. Kurz mit Zitronen-Saft in unserem Extra Vergine geschwenkt. Lauwarm (tiepido) serviert mit frischem Peperoncino geschärft. Bombe! - Selbst kalt noch einen Tag später ein von mir schnell verputzter Genuss.

Mancher mag jetzt denken: Da ist der Kerl bei denen im Urlaub und steht wieder ständig am Herd.
Antwort: Er ist einfach nicht abzuhalten.
Wenn es einen Beleg für die Leidenschaft beim Tun bräuchte, dann wäre das Sajit.
Sobald er ein Angebot sieht, das seine Koch-Phantasien anregt, dann schlägt er zu. So kam er für uns viereinhalb Personen einmal gleichzeitig mit einem halben Zicklein und einem 3-Kilo-Branzino zurück. Der Laden-Preis des mediterranen Kult-Fisches, der so groß nicht aus der Zucht kommt, betrug selbst im Vergleich zum EK beim Münchner Fisch-Importeur seines Vertrauens gerade mal 30 Prozent.

Das Zicklein-Curry war nur eine der Speisen, die vorrangig sein gelegentliches Gaumen-Heimweh besänftigen sollte. Sajit muss mehrmals am Tag essen. Er ist ein außergewöhnlicher "Verbrenner" und dabei doch so schlank. Beneidenswert!
 Der Branzino ergab penibel zerlegt und kalt gestellt sechs nahezu von Gräten befreite, große Steaks. Die briet er am Tag darauf derart gekonnt auf der Haut, gerade so, als sei der Fisch erst eben in die Pfanne gehüpft. Eine Qualität der Fisch-Zubereitung wie wir sie in 20 Jahren hier selbst unten am Meer noch nie aufgetischt  bekommen haben

Da ist es doch kein Wunder, dass ich den Kampf um den Herd, um ihn zu entlasten, längst aufgegeben habe.

Leider vergisst er aber, dass die Küche  unserer mittelalterliche Bruchbude an kalten Tagen schlecht zu entlüften ist. Vorgestern ist die kleine Familie abgereist und heil in München angekommen.

Der Geruch des Zicklein-Currys wird uns noch ein paar Tage auf allen Stockwerken an sie erinnern...


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