Mittwoch, 26. Juni 2019

Über das isolierte Denken

Angesichts des derzeitigen Zustands unserer Welt schrecke ich in jüngster Zeit aus dem Schlaf hoch und frage mich, was denn eigentlich ich zu seiner Verbesserung beigetragen hätte. Ein paar Minuten später, wenn ich dann gänzlich wach bin, schelte ich mich für meine Arroganz, überhaupt davon zu träumen, die Welt zu verbessern.

Welt-Verbesserer: Dieser Begriff ist eigentlich in unserer Generation mit einem hochmütigen Beigeschmack belegt. Selbst wenn wir die Friday-For-Future-Kids insgeheim bestaunen, glauben wir aus unserer geschichtlichen Erfahrung nicht ans dauerhafte Reüssieren. Irgendwo und überall wird immer wieder irgendwelcher Märtyrern gedacht, deren Namen den  nachkommenden Generation längst nichts mehr sagen.

Wer sich interessiert, der wird feststellen, dass es überwiegend  junge Menschen waren, die sich für eine Idee hingaben. Leute meines Alters opfern sich nicht mehr, dabei würde sie die noch verbleibende, meist kurze Lebenserwartung ja geradezu als Opfer prädestinieren. Stattdessen erklimmen verhaltensgestörte Altersgenossen in der Vor-Demenz irgendwelche Machtpositionen von denen aus sie den Weltfrieden wieder und wieder in Gefahr bringen. Sie machen das vermutlich, um sich zu spüren, weil ihnen ansonsten der Spürsinn abhanden gekommen ist.

Was ist das für eine Lebensphase, in der man lieber kontempliert, als auf die Barrikaden zu gehen?
Es ist eine Lebensphase der Angst, eine Endzeit, die einem durch ihre kurze Perspektive schon lähmen kann. In meinem persönlichen Umfeld sind alle Gleichaltrigen hyperaktiv, und sind selbst nach schwersten Operationen nicht klein zu kriegen. Das wirkt auf mich und meine Wehwehchen geradezu einschüchternd, und ich fühle mich abgehängt, weil ich mein Phlegma niemandem vernünftig erläutern kann.

Nicht immer ist der Weg das Ziel und schon gar
nicht der Anfang vom Ende
Claus Deutelmoser: "Einsame Straße"
Aquarell auf Bütte
Wenn ich jetzt sage, ich nütze meine verbleibende Zeit lieber zum intensivieren Nachdenken, als mich Schmerzen und Stress auszusetzen, dann unterstellte ich damit gleichzeitig den Aktiven, sie dächten nicht nach. Das will ich nicht.
Dass das Alleinsein mit den Gedanken durchaus auch ohne Ziel zielführend sein kann, ist eben nur persönlich und schwer zu vermitteln.

Man muss dazu aber nicht gleich sterben. Eines der schönsten Bücher zu diesem Thema ist das Buch das Falco Terzani mit seinem Vater Terziano in Interview-Form erarbeitet hat: "Das Ende ist mein Anfang". - Brillant und authentisch verfilmt mit dem unvergleichlichen Bruno Ganz.

Bei der Vermittlung
von Glauben, machen sie sich
gerne die Hände schmutzig
- die Jesuiten
Claus Deutelmoser:
"Sempre Mani Politi" Acryl auf Karton
Ich wünschte, ich könnte heute noch so meditieren, wie ich es als junger Mann gelernt hatte. Nachdem mich mein Englisch- und Deutsch-Lehrer, ein Jesuiten-Pater, der dem Begriff des Soldaten Gottes sehr nahe kam, aus dem Glauben katapultiert hatte, machte ich von Berufs wegen über Asiatische Kampf-Kunst und meine speziellen Reisen in den Fernen Osten Erfahrungen mit Zen und Yoga. Es funktionierte  - glaube ich - nur weil ich noch so jung war und bis dahin wenig Prägendes erlebt hatte.

Die Voraussetzung für Meditation ist ja, dass man sein Hirn mehr oder weniger von allen Gedanken befreit, um die Leere mit Erleuchtung zu füllen. Ich machte wirklich tolle Erfahrungen in diesen Momenten, die ich ja leider auch mit niemandem teilen konnte. Aber Erleuchtung habe ich leider nicht erlangt. Eher das Gegenteil.

Heute weiß ich über dieses "isolierte Denken", dass es einen auf verführerische Wege leitet, die nicht unbedingt etwas mit Erinnerungen zu tun haben müssen. die aber von einer großen Fülle von unterschiedlichen Erfahrungen während des Denkens torpediert werden. Das kann zum Fluch werden.
Wem die Stunde schlägt, dem bleibt keine Zeit mehr zum Nachdenken
Foto: Claus Deutelmoser

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen