Donnerstag, 13. Juni 2019

Hingabe

Natürlich werde ich mir heute - in dem Jahr, in dem ja die Errungenschaften der Emanzipation gefeiert werden - unter meiner weiblichen Leserschaft heftige Proteste einhandeln. Denn ich behaupte aus lebenslangen Beobachtungen heraus, dass Frauen grundsätzlich das Gen für Hegen und Pflegen in sich tragen.

Auf der Piazza unter dem Fenster von meinem Arbeitszimmer erhalte ich da mindestens zweimal wöchentlich ein demonstratives Beispiel, das mich in dieser eindeutigen Macho-Ansicht bestärkt.

Wir haben es gut getroffen mit dem gegenüber wohnenden Musik-Professoren-Paar. Sie lieben die Piazza genauso wie wir und sind in unserer Abwesenheit Garant, das alles so schön weiter wächst und blüht, wie wir das gemeinsam gestaltet haben. Beide sind exakt in unserem Alter, und dass wir Kunstgeschmack und politische Einstellung teilen, macht die Nachbarschaft umso leichter.

Wenn Piero sich mit seiner Karl-Valentin-Figur und seinen schlechten Augen (die hoffentlich nach der Operation am Samstag besser werden) zu den Pflanzen beugt, könnte er Modell für den Biedermeier-Maler Carl Spitzweg gestanden haben. Das ist ein wahrhaft ruhiger kontemplativer Anblick.

Seine wirbelnde Marcella ist vom Temperament her das krasse Gegenteil. Sie bezieht alles  und jeden in ihr fürsorgliches Herz ein. Sie ähnelt sehr meiner Frau - nur ist sie tatsächlich noch kleiner. Eine zierliche Miniatur aus feinstem Porzellan, an der das Alter von ihr geschickt ausgeblendet wird. Das haben die Italienerinnen einfach drauf. Haare bis zum Po, Schuhe mit hohen Absätzen - selbst auf der Piazza.

"Hingabe" Aquarell mit Paint-Programm
Seit ich weiß, was sie aus diesem zierlichen Körper beim Singen für einen Stimmumfang generiert, traue ich ihr als Fan nahezu alles zu. Ganz zu allerletzt ist die eremitierte Gesangslehrerin  aber ein "Frauchen". Ich weiß und höre, dass sie gerne mit Klang-Schalen oder entsprechender Musik meditiert, aber auf der Piazza werde ich nicht aus ihr schlau. Mindestens zweimal pro Woche höre ich in meinem leichten Schlaf  früh morgens ein permanentes: Sch! sch! sch! Schrapp!!!

Dann weiß ich, Marcella ist wieder voller Hingabe am Fegen der geradezu klinisch sauberen Piazza. Sie ist so vertieft, dass sie nicht hört, dass ich hinter ihr das Fenster öffne. Aber ansprechen tue ich sie nicht, weil ich ja nicht weiß, ob das Fegen eine Vertiefung der Gedanken im Zen ist. So werde ich notgedrungen zum stillen Voyeur ihres transzendentalen Outfits: Abgeschnittene Jeans, die ihre Pobacken hochschnallen, die durch Absätze verlängerten Barbie-Beine und die stets nach vorne gebeugte Haltung obwohl Besen und Kehrschaufel beide ausreichend lange Stiele haben, um sie aufrecht zu benutzen...

Als Piero die Szene betrat, zog ich mich diskret zurück, aber ich hörte sie reden. Als ich nach einer Weile wieder auf die Piazza hinunter schaute, hatte sie etwas längere Hotpants an und fegte exakt den gleichen Abschnitt, den sie zuvor schon lupenrein behandelt hatte...

Damit ich dieser männlichen Perspektive etwas entgegen setze:
Gestern begannen auf dem Kai des alten Hafens die Aufbauarbeiten für die "Fiera San Giovanni". Ein Dreifach-Zelt ganz am Anfang stellt gefühlte tausend technischer Kleinteile aus. Kein Mann ging da einfach so vorbei. Jeder blieb stehen und studierte das Angebot versonnen.

Ich fragte meine Frau, ob sie jemals den Wunsch verspürt hätte, einen Bulldozer zu steuern oder einen Kran zu führen.
Sie sagte nur:
Geh in den Schatten!

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