Mittwoch, 15. Juli 2020

Vom Abenteuer, ein Brot zu backen

Die ersten französischen Worte, die ich kannte, waren "quattre baguettes s'il vous plait". Da war ich kaum länger als die Brotstangen, die ich vom Bäcker holen musste, wenn wir "avec les tantes" an wechselnden Orten in Südfrankreich einige Ferientage verbrachten. Nicht immer waren die Boulangeries um die Ecke, aber es gab sie eben noch recht zahlreich  - auch auf dem Land.

Klare rechtliche Bestimmungen und Preisbindungen haben dem Baguette wohl bis heute seine einheitliche Qualität bewahrt.
Neulich erzählte ich bei einem Openair-Grillabend meines Schwiegersohns, dass der Münchner Feinkost-König Käfer sich im Gourmet-Boom der 1970er täglich über Nacht einen Kleinlaster voller frischer Brotstangen aus Lyon heran karren ließ, weil ein einfaches Baguette auch von seinen Leuten offenbar nicht richtig nach zu backen war. Selbst hier an der Grenze zu Frankreich schmeckt man den Unterschied tatsächlich immer noch, sobald man die überschreitet.

Und dann machte ich einen riesen Fehler:
Ich verkündete, selbst ein Baguette backen zu wollen, sobald ich auf der Burg bin. Ich lud mir von einer französischen Gourmet-Seite das ultimative Original-Rezept samt detailliertem Back-Vorgang herunter und schickte meinem Sohn einen Link.
Ach hätte ich doch geschwiegen, ich wär' in meinem Scheitern allein geblieben. Wo ich doch genau weiß: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt kommt darin um!

Mein Sohn ist ja nicht nur ein Computer-Nerd und ein unterschätzter Singer-Songwriter - er erarbeitet sich auch bei jedem Thema, das ihn ernsthaft interessiert eine Art Guru-Status. Statt der Hefe in meinem Rezept riet er zu selbstgemachten Sauerteig aus dem Beispiel-Video eines amerikanischen Baguette-Bäckers.
Zur Erinnerung: Die Amis sind die, die ihre Burger in schwammigen Semmel-Leichen begraben und ihren Kindern tote Toast-Scheiben bestrichen mit Erdnussbutter und künstlichem Erdbeer-Gelee als Pausen-Brot in die Schule mitgeben...

Aber in meinem Hinterkopf hatte sich eben auch die Geschichte fest gesetzt, dass diejenigen, die beim Goldrush am Yukon verlässlich am reichsten wurden, die waren, die einen gut gefütterten Sauerteig in Portiönchen an die ausgehungerten und meist glücklosen Goldgräber verkauften...

Also schwenkte ich von der traditionellen, frischen Hefe auf meinen angesetzten Sauerteig um. Die von den Franzosen angegebene Arbeitszeit war dadurch schon pulverisiert. Aber der Sauerteig macht bei der Herstellung eines Baguette-Teigs auch mehr zusätzlich Gär- und Knet-Gänge erforderlich. Dann muss der auch noch über Nacht ruhen. Er forderte dann auch noch Zeit zum Beruhigen meiner Frau, die Sauerteig-Geruch nicht ab kann. Was ich ja auch nicht ahnen konnte.

Mein erstes Backen scheiterte nicht einmal auf hohem Niveau, sondern war das absolute Desaster. Das Ergebnis waren zwei Tonnen schwere, nicht aufgegangene innen noch feuchte Brot-Embryos, die nur ein Leichen-Fledderer wie ich, mutig probieren konnte. Inzwischen war die angegebene Produktions-Zeit um 28 Stunden überschritten.

Zweiter Fehler: Mit meinem Scheitern heulte ich mich bei der ''Schweizer Garde" aus. Meine mit Abstand längste Freundin ist ja nicht nur in ihrer Azienda Agricola umtriebig, sondern entwickelt sich auf ihrem Weg zurück zur Natur auch noch zum Fixstern des "bene essere". Aber sie kann eben nicht heraus aus ihrer über 180 Zentimeter Höhe rundum gespannten, Schweizer Haut. Und die verlangt bei Hilfestellung eben nicht nur absolute Präzision - wie die berühmten Uhrwerke aus ihrer Heimat, sondern fordert auch Disziplin. Der lieferte ich mich aus, weil sie mich zur Legitimation ihrer Dominanz ein Pracht-Exemplar eines Sauerteig-Brotes aus eigener Produktion verkosten ließ...

Aufs Gramm genau "impfte" ich Wasser und Mehl mit einer Portion meines Sauerteigs. Die Brühe sah zwar nicht vielversprechend aus, aber sie entwickelte sich über Nacht zu einem vielversprechend aufgegangenen Grundteig. Jetzt sollte es auf der Granit-Platte zum Unterkneten des auf der Elektro-Waage perfekt ausgewogenen Mehls gehen, aber das schob mich schon die "Fürsorglichste von allen" mit den Worten zur Seite: "Das kannst du nicht, das mache ich!"
Da hatte ich mich innerlich schon ausgeklinkt, denn sie knetete, ließ ruhen, faltete eins ums andere Mal und hielt dabei noch sämtliche Zeitvorgaben unserer Freundin ein, die zur Kontrolle auch noch ein paar mal vorbei kam.

Es war inzwischen soviel Zeit vergangen, dass der Teig in Plastik fest verpackt in den Kühlschrank kam. Vermutlich war das der Fehler. Oder es war mein Sauerteig. Oder böse Back-Geister ballerten dazwischen. Jedenfalls der auf die Sekunde und technisch detailliert vorgeschriebene Back-Vorgang erbrachte zwar keine angerösteten Embryos mehr, dafür aber Sechs-Monats-Föten, denen man mit viel Phantasie schon anmerken konnte, dass sie nach neun Monaten Back-Abenteuer eventuell ein prachtvolles Zwillings-Brot ergeben hätten.

Aber seht selbst!

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