Donnerstag, 23. Mai 2019

Die Flucht ins Irreale

Seit einiger Zeit treibt mich die Überlegung um, dass je realer eine Bedreohung der Menschheit desto bereitwilliger ihre Flucht ins Irreale, ins Metaphysische, ins Absurde.

Nur ein paar Beispiele:

Dantes "Göttliche Komödie": Geschrieben kapitelweise begonnen zu einer Zeit etwa zwischen 1303 und 1305, aber nur partiell erhalten, sowie vollendet kurz vor seinem Tode 1327. Kernthema: Das "Inferno". Was nicht von ungefähr kommt, weil das Basis-Werk der Italienischen Sprache in einer regelrechten Karikatur jener Zeitgeschichte stattfand - des Dauer-Krieges zwischen Ghibellinen und Guelfen (Kaiser- und Papst-Anhänger).
Seine intellektuelle  Zeitlosigkeit erwarb das Epos aber durch geschichtlich und sprachlich belegbare Fakten:

Hier zitiere ich der Einfachheit halber Wikipedia:

In diesem Jahrhundert prägten Naturkatastrophen, Epidemien, Kriege und politische Umbrüche viele Weltgegenden. Neben den Folgen einer drastischen Klimaverschlechterung kosteten große Pestwellen zahlreiche Menschenleben. Ausgehend von Zentralasien verbreitete sich die Seuche entlang der im vorherigen Jahrhundert etablierten transkontinentalen Handelsrouten. Die mongolischen Reiche, die sich im vorherigen Jahrhundert über weite Teile Asiens erstreckten, brachen zum großen Teil zusammen. Jedoch war dieses Jahrhundert nicht nur krisenbeladen. Zahlreiche Regionen erlebten zumindest zeitweise eine wirtschaftliche Blüte, kulturelle Entfaltung und technischen Fortschritt. In China wurde die mongolische Yuan-Dynastie durch die chinesische Ming-Dynastie abgelöst. 

Da sind kurioser Weise ohne viel Phantasie doch Parallelen zum heutigen Zustand der Welt im einst verheißungsvollen 21. Jahrhundert zu erkennen.
Und sie dreht sich immer noch:

Dann das 16. Jahrhundert, in dem nicht wenige Wirtschaftswissenschaftler durch die Zins-Freigabe und das explodierende Bankenwesen den Startschuss zum Turbo-Kapitalismus sehen. Auf der einen Seite Ablasshandel, Aberglauben, Hexenwahn und auf der anderen Reformation, Verlockungen der gerade entdeckten neuen Welt. Die Renaissance der schönen Künste und die architektonische Pracht-Entfaltung von Klerus und Oligarchen täuschen nicht darüber hinweg, dass der Großteil jeglichen Volkes sich abgehängt fühlte und gegen die Unterdrücker erstmals sozialpolitisch rebellierte.
In diesem Jahr besonders gefeiertes Universal-Genie
Quelle: Stadtbibliothek Graz

Denkerische Antipoden sind Leonardo und Galilei: akzeptierter und gefeierter Phantast ersterer, unbeugsamer Wissenschaftler der andere.
Der katholischen Kirche gehen erstmals die dogmatischen Argumente aus. Die Reformation zieht dann nach der Jahrhundertwende die blutige Schleppe des 30jährigen Krieges hinter sich her. 
Das ist der Boden für futuristische Denkmodelle- auch in der Politik. Niccoló Machiavelli macht sein denkwürdiges Herrscher-Konzept an Cesare Borgia fest: Il Principe. Nicht phantastisch genug, als könne es heute nicht unterm Kopfkissen aktueller Potentaten liegen!


Jules Verne
Quelle Wikipedia
Dass den Irrungen und Wirrungen des 19. Jahrhunderts ein Jules Verne der existierenden Welt  mit seinen romantischen Science-Fiction-Vorläufern seine Leser aus der Spießigkeit des obrigkeitshörigen Bürgertums heraus helfen wollte, ist da mein letztes Beispiel: Kapitän Nemo und seine Nautilus als Herrscher einer Unterwasser-Welt; die Vorstellung, die Erde in 80 Tagen zu umrunden und die Fahrt zum Mond. Alles ist machbar und wird im 20. Jahrhundert schneller Realität als die Menschheit dies verkraften kann.

Jeder wissenschaftliche Denkansatz wird nun bis zur Verwirklichung umgesetzt. die Atombombe, das interstellare Denken, die digitalen Dimensionen. Stanislaw Lem, der polnischen Philosoph und Science-Fiction-Autor beschreibt in einer seiner Erzählungen aus dem vergangenen Jahrhundert die vernichtende  Schwarm-Intelligenz von Computern in Insekten-Größe. Etwas über zehn Jahre nach seinem Tod ist dies bereits Realität - ihr Einsatz denkbar.
Stanislaw Lem
Quelle Wikipedia


Was machen nun all die Menschen, die nicht mithalten können? Die ehe sie ihr Smartphone oder Tablet bedienen können, ohne ihre Technologie nur annähernd zu verstehen, von der KI bedroht werden? Sie flüchten sich in Vampir-Geschichten, historisierende Fantasy oder gleich in Welten, in denen der "Warp-Antrieb" die Grenzen der Lichtgeschwindigkeit außer Kraft setzt...

Ach wie gut, dass es die Streaming-Dienste gibt.

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