Dienstag, 29. Juli 2014

Schnecken-Post

Wer noch nicht mit der Struktur des Borgos rund um die Burg vertraut ist und nicht über einen allzu ausgeprägten Orientierungssinn verfügt, lässt sich durch die Struktur der Gassen schon gelegentlich verwirren. Das gilt für neue Feriengäste, die von ihren Vermietern stets mit unzureichenden Hinweisen versehen werden, aber auch für die Aushilfskräfte der Post.

Da wir in zentraler Lage hausen, sind wir es gewohnt, dass wir an Anreisetagen gerne einmal als Auskunftei bis spät in die Nacht missbraucht werden. Total Erschöpften stehen wir dann meist gerne mit einem Eis für die Kinder und einem Glas Wein für die Erwachsenen zur Seite. Mitunter schauen wir aber auch ganz enspannt zu, wenn welche grußlos unter dem einen Torbogen der Piazza verschwinden - nur um durch einen anderen wieder aufzutauchen. Das Problem ist auch, dass wir ja zwei Plätze übereinander haben und die sie versorgenden Gassen auf unterschiedlicher Höhe verlaufen. Je nachdem, ob einer von oben oder unten kommt, verschieben sich dadurch die spärlichen Koordinaten.

Die Ferienzeit bringt aber leider auch mit sich, dass Graziella, die postina unserer Herzen, mal frei hat. Dann kommen schlecht vorbereitete Aushilfen, die natürlich schnell die Nerven in diesem neuerdings durch neue Hausnummern noch verwirrenderen Dörfchen verlieren. Allein unser Haus, das an zwei Gassen und die Piazza grenzt, verfügt über drei Hausnummern. Was uns persönlich sehr befriedigt, weil sich ja gerade unsere einheimischen Nachbarn derart über deutsche Bürokratie mokieren...

Gestern kam also erstmals anstelle unseres geliebten und topfiten Rotschopfes eine sauertöpfische Aushilfe, die der "Zweibesten" gewissermaßen vorwarf, wieso wir außer dem komplizierten Namen auch noch ein Haus mit drei nummerierten Eingängen hätten. Deshalb gingen wir auch zum Ablachen schnell in die Küche, als sie zum dritten Mal wirr über die Piazza kreuzte. Zur Erinnerung: Graziella macht den Weg fünfmal die Woche bei jedem Wetter, ruft posta! posta! und bundi! durch die Gassen und grüßt jeden, den sie im Haus vermutet beim Namen - selbst wenn sie nichts für den Adressaten hat: Oggi niente Electra! A domani!

Natürlich können wir so einen persönlichen Postservice von den Aushilfen nicht erwarten, aber dass sie den Briefkasten leeren schon. Einmal hatten wir einen, der war zu faul, die Treppen hoch zu gehen und die einzelnen Adressaten in diesem meist taubstummen Dorf heraus zu finden. Er entsorgte die Post gleich bei den Müll-Containern am Fuße des Borgos, bis ihm einer drauf kam, der seine dringende Sendung fand, als er den Müll weg brachte.

Zumindest gestern hat die Neue den Briefkasten wohl nicht geleert, obwohl ich Neuankömmlingen tags zuvor versichert hatte, er werde werktäglich geleert. Wir hören es nämlich scheppern, wenn der rote Kasten aus den Tagen als die italienische Post laufen lernte, geleert wird. Die Piazza ist tatsächlich auch die Post-Ecke. Das Hinweis-Schild auf den öffentlichen Fernsprecher hängt auch immer noch, obwohl keiner mehr gettoni telefonici bei der alimentari eintauschen kann. In der Zeit der telefonini sind sowohl der Lebensmittel-Laden als auch der Fernsprecher verschwunden.

Normalerweise ist die Post, die wir nach dem zwanzig Meter weiten Weg zum Briefkasten pünktlich einwerfen, innerhalb von ein paar Tagen in Deutschland. Bis Graziella wieder fröhlich ihren Dienst versieht, könnte die Ferienpost aber jetzt ein wenig länger brauchen...

Kleiner Epilog:
Während die "Zweitbeste" und ich uns glücklich schätzten, weil wir ja notfalls e-mails  verschicken könnten, starrt meine Frau an mit vorbei an die Hauswand und sagt:

"Nun schau dir mal die Schnecke da oben an! Die hat ja wohl genauso die Orientierung verloren wie die Aushilfe!"
Sprach's und pflückte das fast ausgetrocknete Tier samt ein wenig Farbe von der Wand. 

Da kam mir die zündende Idee. Ich verpasste der Schnecke mit einem Magic Marker das offizielle Leuchtgelb der hiesigen Briefträger und setzte sie gleich beim Briefkasten auf ein Unkraut. Quasi als unterstützende Schnecken-Post.
Heute kam das uniformierte Weichtier aber noch nicht zum Einsatz, weil auch die Aushilfe nicht erschien...

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