Mittwoch, 2. Juli 2014

Geisterhäuser

Seit gestern hat Italien die EU-Ratspräsidentschaft. Was natürlich zum Schwadronieren über die wirtschaftliche Befindlichkeit der Stiefel-Bewohner einlädt; sowohl von außen als auch von innen. Manche erwarten von Matteo Renzi Wunder-Dinge, andere bezeichnen ihn sogar schon als Berlusconi in Westentaschen-Format. Wie immer geht es dabei eher um Emotionen als um Fakten. Wobei die Fakten-Lage Italiens ja wirklich haarsträubend ist, aber das berechtigt andere "Muster-Europäer" nun wirklich nicht, das mit Klischees und Vorurteilen zu kommentieren.

Egozentrisch denkende Volkscharaktere wie den spanischen, den griechischen und eben auch den italienischen von den Segnungen eines geeinten Europas zu überzeugen, bedarf  keiner erhobenen Zeigefinger, sondern vielleicht eher einer Ermutigung, sich auf traditionelle Stärken zu besinnen und dies dann auch hoffnungsfroh zu loben. Genau das tut Renzi, sonst bekäme er nämlich seine Reformen nicht gebacken.

Italien verfügt im Volk - wie kein anderes in Europa - über stille Reserven, die dem Staat vorenthalten werden. Da ist zum einen die nach wie vor grassierende Schludrigkeit beim Erheben und Entrichten verschiedenster Steuern. Zum anderen die Schwarzarbeit unter dem Deckmäntelchen der Nachbarschaftshilfe, die ja hier quasi einen historischen Ursprung hat. Da ist es dann klar, dass die, denen Steuern und Sozialabgaben mit dem Lohn oder Gehalt abgezogen werden, sich immer mehr als Außenseiter einer in erheblichem Wohlstand lebenden Gesellschaft fühlen. Dass das deutsche Steuersystem auch erhebliche Lücken hat, wissen wir ja spätestens seit den jüngsten Promi-Schwarzgeld-Affären. Dennoch stünde Italien mit diesem weit vor allen anderen europäischen Nationen und müsste nicht einen Staatshaushalt hinnehmen, der derart drastisch höher ist als sein Brutto-Sozial-Produkt.

Der Pro-Kopf-Besitz an privatem Wohnungs- und Haus-Eigentum ist wesentlich höher als bei uns, und er hat auch nichts mit einer möglicher Weise bald platzenden Spekulationsblase zu tun, das durch zu hoch finanzierte, neue Immobilien entstehen könnte. Nach den Schleuder-Veräußerungen der 60er und 70er Jahre haben die meisten Italiener längst erkannt, dass Bestandsimmobilien wertbeständiger sind als jedes andere Investment. 

Jeder übrig gebliebene (schwarz verdiente?) Euro scheint derzeit zumindest hier auf der Burg in den Ausbau, die Modernisierung und die Werterhöhung geerbter, seit jeher bestehender und immer noch geisterhafter Gemäuer investiert zu werden, obwohl die Miet-Nachfrage bei Ferienwohnungen heuer äußerst mau läuft. Aber man macht das eben nicht, weil  wie vor zwei Jahrzehnten auf  eine neue Welle wohlhabender Romantiker von nördlich der Alpen als Käufer gesetzt wird. Jetzt soll der Besitz im eigenen Land bleiben. - Die letzten Käufer hier oben, waren allesamt Italiener.

Ich versuche es mal mit einem Beispiel: 
Vor ein paar Jahren verstarb in der Nachbar-Gasse keine dreißig Meter von uns entfernt ein altes Paar das wir ebenso wenig wahrgenommen hatten, wie die Eingangstür zu ihrem Haus, an der wir zigmal vorbei gegangen waren. So unscheinbar war ihr Leben.

Als die Erben, aus einer norditalienischen Großstadt kamen, um ihren Besitz, von dem sie ebenfalls nichts wussten, zu inspizieren, wurden die Zweitbeste und ich eingeladen, mit zu gucken. Es war ein überraschendes wenn nicht gar gespenstisches Erlebnis: Eine Film-Kulisse des Novo cento erwartete uns. In einem Zimmer neben der Eingangstür saßen auf einer Couch zwei Kinder - Junge und Mädchen - als lebensgroße Puppen; angestaubt wie der Rest des  sich hinter dem Flur  riesig erweiternden Hauses. Nach dem fünften, komplett eingerichteten Zimmer und der zweiten Küche und dem zweiten Bad habe ich dann aufgehört staunend mit zu zählen Erst auf der zwanzig Meter breiten Terrasse mit komplettem, unverstelltem Meerblick kam ich wieder zu mir und meinte halblaut, dass sich das Anwesen wohl in kürzester Zeit zum Höchstpreis verkaufen ließe...

Die jungen Leute hatten jedoch keine Euro-Zeichen in ihren Pupillen, sondern meinten nur lapidar, dass sie niemals verkaufen würden. Später erfuhr ich, dass besonders zu diesem Haus, das so unscheinbar wirkte, auch noch - wie bei den hundertjährigen Geschwistern und anderen Alteingesessenen hier oben - umfangreicher Land-Besitz gehöre. Seit ihrem Besuch wurde tatsächlich nicht verkauft, aber an dem Haus auch nichts mehr gemacht.Die Erben ließen sich aber auch im Bewusstsein ihrer stillen Reserven hier nicht mehr blicken.

Solche Geisterhäuser gibt es in unserem Borgo mittlerweile einige. Auch zwei auf der Ostseite unserer Piazza, in denen einst Magazine gewesen sein sollen. Die Ringe zum Anbinden der gewaltigen Transport-Ochsen sind ja heute noch zu sehen. 

Kürzlich kam erstmals die Besitzerin des einen und bat die Zweitbeste, doch mit hinein zu gehen - weil sie sich wohl allein nicht traute. Einer unserer verstorbenen Ruinen-Baumeister hatte uns einst berichtet, dass es in beiden mal einen übergreifenden, öligen Brand gegeben hätte, der es unmöglich mache, die Sandsteinmauern innen zu verputzen oder gar zu streichen. Es müssten unter erheblicher Einbuße von Quadratmetern neue Wände davor gesetzt werden... Die Dame aus Imperia hofft dennoch, zu verkaufen und schielt dabei auf die remissa unserer Nachbarin Edna, die seit zwei Jahren den direkt an unser Haus grenzenden, ehemaligen Speicher als Appartement ausbauen lässt: Immer mal wieder von unterschiedlichen Arbeitern aus Nordafrika, die mitten im Bauabschnitt wieder verschwinden...

Es sind aber tatsächlich die Omas dieses Landes, die bereits erkannt haben, dass es ihren Enkeln erstmals schlechter geht als deren Eltern. Die greifen nun - wie eine betagte Volkswirtin es gestern ausdrückte - auf diese stillen Reserven zurück, damit die Enkel-Generation einst zumindest mietfrei wohnen könne. Bei Quadratmeter-Preisen bis zu 8000 Euro im überlaufenen Imperia zum Beispiel ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Euro-Generation erkennt, dass es schicker ist, in geräumigen Gratis-Gemäuern aus der Vergangenheit zu leben, als sich überteuert in die dem Meer nahen, neuen Mini-Appartements zu quetschen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen