Montag, 3. Juli 2023

U(h)rzeiten

 Wem die Stunde schlägt, dem sei stets angeraten, mit zu zählen. Wir treiben dahin in einem Meer aus Momenten, in dem sich Monate kaum von Minuten unterscheiden. Dadurch wirken diese wie ein einziger in die Länge gezogener Augenblick.

Wenn ich von wir sprechen, meine ich die sechs bis zwölf Leute, die nur in der wärmeren Zeit noch an der Piazza leben, oder jene, die sich dann zu denen gesellen. Leben zieht Leben an.Ich habe aktuell einmal nachgerechnet: Zusammen kommen wir je nach dem auf über 700 Jahre bereits überwiegend gelebten Lebens. Wobei Daniele,  Mitsechziger - der junge Ehemann unserer ehemaligen Gymnasiallehrerin, die in.dieser Woche 80 wird - und die gleichalte, ehemalige Trägerin buntester Jogging-Anzüge den Schnitt ja sogar noch senken.

Aus Frust und Jux haben Daniele und ich im vergangenen Jahr nach der Wahl von Giorgia  Meloni die RLDPC als über den Wolken schwebende Zuflucht ausgerufen -die "Republica Libera della Piazza Castello"...

Ein dummes Unterfangen, weil wir zu fünfzig Prozent Berlusconi-Anhängerinnen hätten akzeptieren müssen. Ob wir jetzt -nachdem der Cavaliere verstorben ist - bessere Chancen haben, nicht in einem Reichsbürger-Millieu zu enden, ist fraglich.

Also beschränkt sich die politische Diskussion lautstark auf die täglichen Auseinandersetzungen an den Kartentischen. Ist auch friedlicher so. Denn wir können die Welt von hier aus ja sowieso nicht mehr ändern. Aber auf unserem "Zauberberg" können wir die Zeit ja trefflich ausblenden. Mehr noch, wir könnten sogar gänzlich wie in Urzeiten auf Uhren verzichtet. Denn pünktlicher als zum Glockenschlag unserer Kirchenuhr müssen wir ja nirgends mehr hin.

Aber da gibt es eben doch noch die Handys. Jeder von uns Alten hat nstürlich eines. Zur Sicherheit hier haben unsere Kids auch meiner Frau vor dem Ortswechsel ihr Steinzeit-Telefonino entzogen und durch ein nicht allzu kompliziertes Smartphone ersetzt. Tatsächlich ist es eine im Format kleinere Version meines Modells. Aber es funktioniert über ein anderes Display. Einer der Gründe für sie, es abzulehnen. Bislang hat die ansonsten so Fürsorgliche nur Nummern gespeichert, die sie wirklich braucht. Aber sie läßt es meist liegen und lernt nur peu a peu mal eine weitere Funktion.

Sie  ignoriert sogar die Zeit auf  dem Display  oder die Timer-Funktion, die ihr gegen das permanente Vergessen  oder beim Kochen helfen könnte. Stattdessen schielt sie auf die winzige Uhr,  die sie vor sechs Jahrzehnten zur Kommunion bekommen hat. Ein Handaufzugs-Model, das es mit der Genauigkeit nicht mehr so drauf hat und gerne mal stehen bleibt.

"Mist", höre ich ihre Stimme dann über die Piazza schallen, wenn ihr deswegen mal wieder etwas angebrannt oder übergekocht ist.

Sehr "uhrsprünglich" ist eben, das Leben hier oben!

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