Sonntag, 23. Juli 2023

Mitleid in Mitleidenschaft

 Selbst so in Mitleidenschaft gezogen, bin ich doch überrascht, dass mein Mitleid für meinen Bettnachbarn Jon doch größer ist, als die Besorgnis, wie es mit mir in den nächsten Tagen weiter geht.

Was das über meinen Gemütszustand  aussagt, versuche ich noch zu ergründen.

Jon ist ein sportlicher Mittfünfziger, dessen zwei bildhübsche Töchter ihn im Wechsel mit ihrer Mutter täglich besuchen und zusätzlich versorgen. Ihn im Rollstuhl aus der Enge unseres Zimmers herauszufahren, dafür reicht die Personaldecke der Pflege nicht,

Jon hat am linken Oberarm ein flächiged Tatoo im Maori-Style, und  wenn man sich die Mädchen genauer ansieht, ranken sich an ihnen filigrane, farbige  Märchenmotive unter den Sommerblusen.

Obwohl  wir täglich öfter miteinander reden,  sparen wir aus, was uns widerfahren ist. Demnach hat es Jon viel schlimmer erwischt als mich, denn er ist schon seit über einem Monat hier, ohne dass sich wohl etwas gebessert hätte.

Er beklagt sich nicht, aber ich höre ihn stöhnen, wenn er nachts den Spannmechanismus seiner Orthesen nachjustiert. 


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