Mittwoch, 14. September 2022

Reizüberflutung


Was malen wir nur heute?
Gegen die vielfältigen Eindrücke
aus den Spielkonsolen
hat es ein Großvater mit
seinen Bild-Ideen extrem schwer
Je entwickelter das menschliche Hirn desto grenzenloser die Phantasie. Wenn der Herbst kommt und die Nächte immer länger werden, muss ich meinem reizüberfluteten Leben mit ständigen Albträumen Tribut zahlen. In ihnen herrscht jedoch nicht ein "Gott de Gemetzels". Es sind auf die Spitze getriebene Alltags-Situationen eines längst vergangenen Lebens.

Gestern ist meine Enkel eingeschult worden, und ich mache mir Sorgen, wie es ihm einmal mit seiner Vorstellungskraft ergehen wird. Er ist ja jetzt schon mit derart vielen virtuellen Reizen belastet, wie sie frühere Generationen ein Leben lang in Realität nicht zu verarbeiten hatten.

In den Augen meines Schwiegersohnes bringe ich mich als Opa nicht genug ein. Aber wie soll das gehen, wenn die Dinge, die noch bei meinen Kindern zu deren Unterhaltung gut funktionierten, meinen einzigen Enkel im Handumdrehen langweilen? Ich komme einfach nicht an gegen die Flut von Phantasie-Spielzeugen und all der Spannung, die ihm die vielfältigen Erlebnisse in seinen Computer-Konsolen anbieten. Die haben ja längst dem Fernsehen den Rang abgelaufen.
Das hat auch gar nichts damit zu tun, dass er ein Einzelkind ist, denn vor einigen Tagen war die Familie seines Spielkameraden für ein paar Nächte hier zu Besuch. Ich in deren Alter hätte diesen mittelalterlichen  Spielplatz mit seine engen Gassen, den verwunschenen Häusern und den schönen Plätzen als unbegrenzten Abenteuer-Spielplatz genutzt. Aber meine Mutter war auch nicht so ängstlich wie offenbar heute alle Mütter, deren Vorstellungswelt von horrösen Schilderungen in den Nachrichten gefüttert wird. Also saßen die beiden bei herrlichstem Wetter oft lieber dicht vor einem kleinen Multifunktions-Computer und schauten sich im Esszimmer Comics an.

Durch meine vielen Reisen war ich bestimmt kein prägender Vater, aber daheim, hatte ich zumindest bis zu deren Einschulung  in Dreisamkeit sehr intensive Momente mit meinen Kindern. Gemeinsames Malen oder spannende Geschichten von meinen Reisen waren da die Hits, und ich überprüfte regelmäßig, was davon hängen geblieben war. Prägend war da vielleicht leider oder glücklicher Weise, dass mein Sohn seinen ersten richtigen Computer schon im Alter von zehn bekam und meine Tochter in ihren musischen Begabungen sehr zeitig unterstütz wurde. 

Aber zurück zu meinem Enkel: Natürlich hat mich der Vorwurf meines Schwiegersohns betroffen gemacht. Vielleicht scheitere ich als Opa ja daran, dass ich grundsätzlich möchte, dass aus der spielerischen Zweisamkeit ein bildender Nutzen entspringt?

Mein Enkel hat wunderschönes schwarzes Haar, dass ihm beim Essen stets vor dem Mund hängt. Auch kaut er darauf herum, wenn er unter Strom steht, was beinahe im Wachzustand die Regel ist.
Es entspann sich also folgender Dialog:
"Wenn du dann  in der Schule bist, solltest du ein Stirnband tragen wie Klein Adlerauge, damit du besser gucken kannst."
"Wer ist denn Klein Adlerauge?"
Hätte ich ihm jetzt den gesamten Disney-Kosmos erklärt, wäre ich bei dem, der ganze Galaxien mit seinen Superhelden auf diversen Konsolen durchreist vermutlich sofort gescheitert.
"Das ist eine Comic-Figur, die ich gemocht habe, als ich in deinem Alter war. Ein kleiner Indianer-Junge, der viele Abenteuer in der Prärie erlebt. Soll ich dir mal zeigen, wie der aussieht?"
Auweia! Hätte ich nicht sagen müssen: Native American oder indigener Häuptlingssohn? Aber dann wäre es mit der Neugier vermutlich da auch schon wieder vorbei gewesen.
"Wollen wir ihn gemeinsam zeichnen und malen?"

Wer ist denn dieser Klein Adlerauge?
Mickymaus? Donald Duck? Tick,Trick und Trak?
Angesichts des elektronischen Daten-Universums
im Kinderzimmer kommt sich der
Blogger vor wie der debile Franz Gans bei 
seiner Oma Duck: Entsprechend sieht das
erste Gemeinschaftswerk Enkel/Opa dann auch aus
Da war er wieder - der Opa-Ehrgeiz, dem Enkel den Unterschied zwischen Zeichnen und Malen zu vermitteln. Ich stellte einen rückseitig bereits für Skizzen verwendete Mal-Karton und Wachskreide zur Verfügung. 
"Ich zeichne dir vor, wie er in etwa aussieht, und du malst dann die passenden Farben -wie du sie dir vorstellst - dazu."

Es war spannend, welche Farben er auswählte, und als er schnell begriffen hatte, dass man die richtig zugeordnet und mit einer anderen auch noch mit dem Finger zu einer anderen mischen und verschmieren kann, war er Feuer und Flamme. Allerdings erlosch beides schnell, als er merkte, dass so ein flächiges Bild eine gewisse Weile viel Aufmerksamkeit bindet. Als hätte eigentlich er mir einen Teil seiner kostbaren Zeit geopfert, fragte er seine Mutter ungeduldig:

"Mami darf ich jetzt wieder Computer spielen?"

Immerhin entstand so ein erstes gemeinsames Enkel-Opa-Werk, das vor allem beim Opa die Hoffnung weckt, dass dem - sobald der Enkel Geduld und Beharrungsvermögen aus der Schule mitbringt -weitere folgen könnten...
Sein Erstlingswerk unter Opa-Beteiligung lehnt jetzt am Spiegel im Gästezimmer.

Das sagt die übrigens die Wissenschaft zum Begriff  Reizüberflutung:
Das ist in umgangssprachlichem Gebrauch eine Metapher für einen angenommenen Zustand des Körpers, in dem dieser durch die Sinne so viele Reize gleichzeitig aufnimmt, dass sie nicht mehr verarbeitet werden können und beim Betroffenen zu einer psychischen Überforderung führen.



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