Mittwoch, 3. August 2022

Überalterung und Ausverkauf

Die bange Frage: Werden künftige Generationen diese Romantik
genauso wertschätzen, wie wir sie uns einst erkauft haben?
Foto: Claus Deutelmoser


Wer wirklich bei diesen Temperaturen hinauf zum oberen Dorfrand geht, dem fällt auf, dass die Schilder "Vendesi" an immer  mehr schmucken Häusern zu finden sind. "Zu verkaufen" ist wohl eine der Reaktionen auf die verschärften Bestimmungen beim Übertragen von Haus- und Wohnungs-Eigentum auf Verwandte und andere potenzielle Erben.

Wer als Tourist auf die malerische Piazza
kommt, entwickelt schnell schon mal
den Wunsch, hier leben zu wollen

Foto: Claus Deutelmoser

Auch wir hatten in diesem Herbst ja eigentlich vor, das Haus hier unseren Kindern zu überschreiben. Aber dann kam Juliana, die Deutsch-Italienerin vom Nachbardorf, die gerade ziemliche Mühe hatte, für Kunden einen derartigen Vorgang abzuwickeln. Offenbar wird dabei nun ein bauhistorisches Update verlangt, das von Geometri durchgeführt werden muss und Nachweise im Kataster über Eingriffe in die Struktur der Gebäude verlangt. Wehe, wenn da Umbauten aufgespürt oder nicht  ordentlich registrierte Veränderungen entdeckt werden. Dann drohten neben dem ohnehin schon teuren Feststellungsverfahren für die Übertragung (kann bis zu 5000 Euro kosten) auch Rückbauten oder gar Teil-Abriss. Das meint auch Freund Marcello, der das als Commercialista ja wissen müsste. Er rät uns, ganz normal zu vererben, wenn ein Verkauf nicht zur Diskussion stünde. Übrigens hat der Mann meiner besten Freundin, dessen Trauzeuge ich war, gerade den gemeinsamen Palazzo mit Rundumblick von der Terrasse nach langem Zögern ziemlich unter Wert an ein deutsches Ehepaar in etwa gleichem Alter verkauft. Als Mittfünfziger wurden ihnen nun doch die Wege  zur Arbeit zu weit. Sie haben ja auch noch ein Jahrzehnt vor sich, bevor sie an Ruhestand denken könnten...

Eindeutig bestünde in solch historischen Gemäuern wie unserem Borgo derzeit ein Käufer-Markt, denn außerhalb der Großstädte befinden sich die Immobilienpreise aktuell im freien Fall. Aber der Schein trügt hier oben natürlich, denn einen Ausverkauf wird es es auf der Burg trotz der "Vendesi"-Schilder nicht geben. Die Alteingesessenen denken allerdings, sie befänden sich immer noch in einem Kaufrausch von Ausländern wie zur Jahrtausend-Wende. Deshalb beharren die betagten Eigentümer immer noch auf Phantasie-Preisen, die auch nicht berücksichtigen, dass meist noch gewaltige Summen in das Herrichten und Bewahren der historischen Bausubstanz investiert werden müssen. Es gilt nämlich fast für jedes Haus im Angebot die Faustregel: Das, was du beim Kauf bezahlst, musst du zusätzlich auch noch für die Renovierung drauflegen!

Hinter schmucken Fassaden
lauert beim Renovieren
meist massiver Handlungsbedarf.
Das ist dann gar nicht mehr so romantisch
Fotos: Don Bertoldo

Ob nach der derzeitigen Überalterung auf der Burg irgendwann, wie einst, jüngeres Blut nachströmt, hängt sehr davon ab, ob den Nachkommen das Leben in solchen Gemäuern genügend schmackhaft gemacht wurde. Bei den italienischen Eigentümern ist das eher nicht der Fall. Deshalb gibt es auch seit Jahren einen enormen Leerstand, weil manche dann lieber ein Haus gar nicht nutzen, als es zu verkaufen. Sind am Ende keine direkten Erben da, bleiben Häuser oft vernachlässigt zurück.

Sollte die Weltlage weiterhin und auf Dauer so kompliziert bleiben, wird zum Überleben des Dorfes auch der  einst so starke Wunsch vom Kauf von Ferien-Domizilen bei Käufern aus dem Norden ausbleiben. Vor allem dann, wenn eine mögliche neofaschistische Regierung bei den vorgezogenen Wahlen im Oktober mit einer Anti-Europa-Haltung die latente Fremdenfeindlichkeit der ligurischen Landbevölkerung wiederbelebt  Noch mehr aber kommt es darauf an, ob eine neue Generation sich auch noch nach dem Arbeitsleben dafür erwärmen kann, zu bleiben. Also diese im Alter schon etwas mühseligeren Lebensbedingungen auf der Burg weiterhin in Kauf zu nehmen...

Bleiben Energiepreise und Mieten aber weiterhin derart hoch und die die Umwelt-Belastung in Ballungsräumen unverändert, könnte vielleicht für besser verdienende Italiener eine neue Stadtflucht hin aufs Land beginnen. Wir würden uns das wünschen, aber wohl leider nicht mehr erleben. Für Arbeiten im Home-Office zum Bespiel müssten die Download-Geschwindigkeiten des Internets endlich den Versprechungen in den Verträgen entsprechen.

Ich hatte hier oben vor Jahrzehnten als einer der Ersten ISDN, aber so richtig weiter gekommen ist der Standard seither nicht...

 

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