Montag, 22. August 2022

Schallmauern

Sich in andere hinein zu versetzten, ist weitgehend ein harmloses Abenteuer - es sein denn, die eigene Phantasie spielt einem dabei Streiche.

14 Tage lang war unser Burg-Berg wie ein Bienenstock. Nun, nachdem der Ferragosto-Trubel versiegt ist und die "Nächte der rollenden Koffer" weniger werden. stört eigentlich nur noch der Hubschrauber mit seinen Kontrollflügen die neue Stille. Da die leichten Regenfälle der vergangenen Tage, die herrschende Trockenheit kaum gemildert haben, wurde wohl die Frequenz der Überwachungsflüge erhöht. Abgesehen von einem unverbesserlichen Nachbarn, der durch das verbotene Verbrennen von Gartenabfällen durch die starke Rauchentwicklung in Richtung Dorfmitte die ganze Nachbarschaft in Panik versetzte, kam es bislang zu keinem der gefürchteten Brände.

Schon die alten Griechen
konnten mit akustischen Phänomenen
umgehen: Wer vom Mittelpunkt
in Ephesus mit normaler Stimme 
rezitierte, wurde bis zu den
 höchsten Rängen deutlich verstanden.
Foto: Claus Deutelmoser
Als die Vielfalt der Urlauber-Stimmen morgens und abends ihren Höhepunkt erreicht hatte, spazierte meine Phantasie ab ins Mittelalter. Ich stellte mir vor, wie es wohl war, als hier niemand zu seinem Vergnügen wohnte, sondern der Borgo die Heimat von Bauern und Landarbeitern war, die unter Aufsicht der Grafen Gandolfo vom Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung  schufteten, um ihr karges Leben zu fristen. Der Gestank in den Gassen muss infernalisch gewesen sein, denn die Riesen-Ochsen für Transport und Pflug waren ja in den Untergeschossen Mitbewohner in den Häusern. Genauso wir Hunde, Katzen, Federvieh und Ratten. Es gab  ja auch noch keine individuellen Wasserleitungen, und die Kanalisation war primitiv. Wehe. die Zisterne am oberen Dorfrand lief trocken. Dann wird die Not schon entsprechend gewesen sein. Unsere Feriengäste der Gegenwart murren ja schon, wenn unten am Aufgang zu den Gassen der mittlerweile mehrsprachige Aufruf zum Wassersparen hängt.

Ja die Gassen! Sie waren damals genauso breit und eng wie heutzutage. Maximal vielleicht drei Meter, meist jedoch auch enger. Wenn alle Fenster im Hochsommer offen standen, war Privatleben so gut wie undenkbar. Zum Streiten musste man wohl in den Keller, und um Geheimnisse zu bewahren, half oft selbst das Liebesgeflüster durch Mauerspalten nichts (Shakespeare: Ein Sommernachtstraum) . Denn die Mauern der Häuser sind zwar mitunter bis zu einem Meter dick, aber unter ihnen sorgt ein Netz aus versteckten Gängen und geborstenen als Fundament gedachten Fels-Sockel für eine erstaunliche Schalldurchlässigkeit.

Mein Büro ist von 70 Zentimeter
dicken Mauern umfasst

Heute mögen ja die einstigen Trockenmauern in der Mehrheit modern verputzt sein, dafür leiten die glatten Oberflächen außen aber jedes Geräusch in der Enge so um, dass es kaum möglich ist, die Herkunft der Gespräche ohne Kenntnis der Personen abzuleiten. Wir haben hier eben recht ulkige Schallmauern.

Wenn ich morgens noch im Bett liege, höre ich beispielsweise die Piazza-Pflege unserer geliebten Professoressa, als fegte sie auf meinem Kopfkissen: Schrapp, schrapp, wusch! Das ist eigentlich ein ganz leises Geräusch, und mein Schlafzimmer liegt im ersten Stock in der Nachbargasse. Die nach Westen offene Piazza wirkt aber offenbar als ein Schall-Gewölbe, wie man sie von früheren Kurpark-Konzerten kennt.

Nicht dass wir Bewohner rund um die Piazza uns daran störten, dass man unsere Gespräche überall im Dorf hören kann. Meine Fürsorgliche und ich brüllen uns ja schon bei intimer Konversation auf der Bank so laut an, dass man meinen könnte, wir stritten. Wenn sich dann noch die Prinzessin der Zinnen temperamentvoll von oben herab am Gespräch beteiligt, sowie Dorf-Lautsprecherin Danna von unterhalb der Treppe ihren Senf dazu gibt, wird in den "Hörgängen" der alten Gemäuer öfter der Schall gebrochen als durch die Flüge der NATO-Jäger, die über unserem Tal gerade gerne mal den Ernstfall proben...

Quelle: de.gofreedownload.net

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