Freitag, 2. Juli 2021

Flüchtige Gedanken

Wer wie ich eigentlich nicht mehr etwas wirklich Wichtiges zu tun hat, wird mitunter zum Spielball sich vermischender Gedanken. Als ich gestern zum xten mal ein Bild von einem umgekippten Schlauchboot vor Lampedusa sah und über die Zahl neuerlich ertrunkener Flüchtlinge las, verknüpfte sich das mit einem seltenen Naturerlebnis bei der Herfahrt. Entlang des Raccordo Autostradale zwischen Tortona und Alexandria beobachtete ich gleiche mehrere Vogelschwärme in Wolken-Formationen, wie sie sonst nur von Staren bekannt sind. Diese Vögelchen jedoch waren winzig; kaum größer als Schmetterlinge.

Es gibt Wintergoldhähnchen und
Sommergoldhähnchen. Letztere haben
zur Unterscheidung einen orangen Punker-Schopf
Quelle: wikipedia

Später lernte ich anhand von Flugbilder im Internet, dass es sich um den sehr seltenen Zug von Wintergoldhähnchen gehandelt haben muss. Mit nur knapp über acht Zentimeter Körperlänge und unter sechs Gramm Gewicht ist es das kleinste Vögelchen Europas. Überwiegend im Osten Europas beheimatet macht es sich mitunter in solchen Schwärmen auf, um im Westen und Süden des Kontinents nach neuen Lebensräumen zu suchen. Als Gründe führt die Ornithologie Nahrungsmangel oder Überpopulation auf. Lebensumstände also!

Das war also die Verknüpfung zu dem roten Schlauchboot und den Menschen, die ihrer Heimat auf gefährlichen Wegen verlassen, um dann letztlich für das vage Zeil eines besseren Lebens jämmerlich zu ersaufen. Im Gegensatz zu den Wintergoldhähnchen vermeiden Menschen ein Schwarm-Verhalten auf der Flucht jedoch lieber. Dabei zeigen die jüngsten Ausbrüche bei Ceuta, dass man so Schutzzäune und Wachpersonal viel einfacher überwinden kann...

Jeden Tag zeigen die Nachrichten
solche  Bilder, aber neue Denk-Ansätze
rufen die leider nicht hervor
Quelle: t-online

Natürlich muss man die Wut der Griechen, der Italiener und der Spanier über ihre von Flüchtlingslagern überbordenden Ferien-Paradiese verstehen. Aber ist das die Schuld jener die fliehen, oder doch eher die völlig verkommene Migrations-Ethik der reichen Staaten. Müsste die Welt eigentlich nicht dankbar sein, dass diese "Völkerwanderung" nicht wie einst in der Geschichte mit der Waffe in der Hand und dem Willen gewaltsamer Unterwerfung erfolgt?

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind derzeit mehr als 80 Millionen Menschen  gleichzeitig in den verschiedensten Regionen unserer Erde auf dem oft tödlichen Weg, sich eine neue Heimat zu suchen. Da sind natürlich auch jede Menge Wirtschaftsflüchtlinge unterwegs, an denen wir satten Weltbürger gerne unsere Abneigung festmachen. Aber ist ein Motiv für Flucht nicht letztlich gleichgültig?

Fragen wir uns doch einmal selbst, was wirklich passieren müsste, damit wir unsere Heimat überhaupt für eine ungewisse Zukunft in der Fremde verlassen würden? Sind denn nur Hunger, kriegerische Gewalt, politische Verfolgung und Unterdrückung statthafte Motive. Zählt der Traum, dass es einem mit den Seinen andernorts besser gehen könnte, denn gar nicht? Wieso werden denn sonst so viele Minderjährige oft gar allein auf diese Routen des Todes geschickt? Noch nicht einmal  Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oder die Aussicht auf Sammelstellen in primitivster Ausstattung hält die Flüchtenden ab.

Ich gestatte mir trotz dieses Wissens gerne einmal, unaussprechliche Gedanken auszusprechen, die mir bei Fahrten durch die halb verlassen Dörfer hier im ligurischen Hinterland immer in den Sinn kommen. Viele Häuser stehen seit Jahren leer und sind dem Verfall ausgesetzt. Gleichzeitig können viele Faschen aus Altersgründen oder Mangel an ruralem Nachwuchs sowie willigen Arbeitskräften nicht mehr bewirtschaftet werden. Dieser Tage hat hier im Borgo ein albanisches Duo einen zauberhaft verwilderten Garten wieder auf Vordermann gebracht, während offenbar für die Pflege unserer Gassen kein Geld mehr da ist. Überall wachsen schon dicke Grasbüschel aus dem Pflaster.  Die Gemeinde hat seit Jahren einen sehr geschätzten schwarzindischen Priester. Ein Miteinander im Glauben ginge wohl doch. 

In die Nachrichten kommen sie nur,
wenn sie hier wie im Stahnsdorfer
Asylanten-Heim (Brandenburg) gegen
Corona-Auflagen protestieren...
Quelle: maz-online.de
Kann nicht irgendein schlauer Wirtschafts-Soziologe mal ein Konzept entwickeln, das Migranten vorbehaltlos mit Selbstwert durch erlaubte, bezahlte und sinnvolle Arbeit individuell integriert? Nicht nur die G7-Staaten hätten die Ressourcen dazu, und könnten dabei andererseits die Kosten für das unwürdige Wegsperren der Migranten in Lagern kompensieren....




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