Mittwoch, 24. Juli 2019

Lo Borgo - ein sozialer Gleichmacher

Hier auf der Burg tauschen sich mitunter Leute ausführlich aus, die vermutlich in der Großstadt keine zwei Worte mit einander wechseln würden.

Aus meiner Jugend und als Heranwachsender im Dorf, das bereits vom Großvater als Rückzugsort der Familie auserkoren war, erlebte ich solches nur noch teilweise. Einerseits, weil das Dorf auf meinem Weg zum Erwachsenen zur größten Marktgemeinde der Bundesrepublik heran wuchs, und andererseits, weil es dann doch eine Art zugezogene Oberschicht gab, die nur auf dem Tennisplatz oder der Skipiste durchbrochen wurde. In der Sauna beim ehemaligen Eishockey-Star schwitzten und ratschten dann zum Beispiel an gewissen Tagen nur Leute nackt im Aufguss, die etwas bewegten oder Honoratioren waren.

Wieso ich dabei war, lag an der familiären Herkunft und wohl noch eher an meinem Beruf. Immerhin war das ländliche Umfeld mit der starken touristischen Komponente noch vielmehr sozial gleichmachend als die Großstadt in deren Speckgürtel wir mit wachsender, eigener Familie zogen.

Hier im Borgo mussten wir uns schnell daran gewöhnen, dass jeder mit jedem und jeder über jeden redet. Dazu musste man natürlich die Sprache besser beherrschen, oder zumindest den Mut aufbringen zu radebrechen. Aber gerade dieses Stammeln baute Brücken.

So bekam meine Frau in den Anfangsjahren auf unserer Bank noch jede Menge geduldige Nachhilfe von der ehemaligen Sammlerin buntester Jogging-Anzüge, während ich mich mit den einheimischen Spezialisten durch das Vokabular des Häuslebauens ackerte. Von Anfang an hatte ich mir vorgenommen, nur mit Leuten von hier zu renovieren. Als ich alle nach dem ersten Abschnitt zu einem typischen ligurischen Gelage einlud, scheute ich mich auch nicht, eine kleine Ansprache in meinem Speisekarten-Italienisch zu halten.

Diese Erfahrung hielt jahrelang vor, und erinnerte mich an das Richtfest meiner Eltern in ihrem Dorf. Da waren die Hälfte der Männer am Bau im Winter Skilehrer. Sie hatten sich deshalb auch nicht gescheut meine Mutter, die sie vom Hang kannten, in eine Falle zu locken, bei der sich ein riesiger Kübel kaltes Wasser vom Dachstuhl herunter über sie ergoss.

Das war wohl hier nicht Sitte. Leider sind die meisten Helfer von damals mittlerweile verstorben. Aber mit denen, die von damals noch am Leben sind oder ihren Witwen, ergibt sich immer wieder längerer "Gesprächs-Stoff". Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Witwe des unwirschen Ex-Bürgermeisters quasi eine geliebte Nachbarin geworden ist. Und ohne die Witwe unseres singenden Universal-Handwerkers  ginge bei Trouble mit Behörden und Versorgern gar nichts mehr.

Selbst mein stoischer Agnostizismus wurde mir so nahe am Himmel bald verziehen. Aber eines ist bei aller Nähe auch sicher: Wir werden als Ausländer einigermaßen akzeptiert und durchbrechen hie und mal da die traditionelle, ligurische Reserviertheit, aber selbst als Residenten gehörten wie niemals dazu...


Je näher man sich kommt, desto schmerzhafter,
wenn einer aus den Reihen beim
Cena in Piazza plötzlich fehlt.
Auch das muss ein Teil des
sozialen Lebens im Borgo sein.
Letztendlich ist ja der Tod
der sozialste Gleichmacher von allen...

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