Montag, 5. Juni 2017

Spieglein, Spieglein...

Wie nimmt einer sein eigenes Spiegel-Bild wahr? Trump soll angeblich bis zu einhundert Mal täglich seine Erscheinung kontrollieren. Sieht er dann im Spiegel tatsächlich den größten US-Präsidenten aller Zeiten?

In meinem männlichen Bekannten-Kreis lande ich in puncto Attraktivität abgeschlagen im Mittelfeld. In Bezug auf die Eitelkeit rangiere ich aber vermutlich unter den Top Ten.

Meine Beobachtung war, dass besonders schöne Menschen entweder an ihrer Schönheit zweifeln, oder aber sie bis zur Unkenntlichkeit verleugnen. Beruflich hatte ich bei Produktionen mit ein paar weltweit anerkannten Schönheiten zu tun. Eine, die in unserer Nähe wohnte holte ich ab, und wollte es kaum glauben.
"Wer hat die denn gebucht", dachte ich. Ein mausgraues zierliches Etwas im zottelhaarigen Schlabber-Look. Und dann verwandelte sie sich mitten im Schneesturm auf der Zugspitze in einen Skimoden-Schmetterling von tadelloser Schönheit...

Wenn wir hier unsere Zeitungen an der Piazza Dante holen, gehen wir immer ins Ariston. Das ist eine Bar unter den Arkaden. Zwischen zwei Bögen hängt zur Straßenseite hin ein riesiger Spiegel. Meinen Stammplatz wählte ich so, dass ich im äußersten rechten Eck unten jederzeit mein Spiegelbild überprüfen kann.
Meine Frau redet dann sowieso nichts mit mir, weil sie sich gleich in die SZ vertieft. Ich zähle sowieso nichts, weil sie die Stammgästin ist, der die Bedienungen sogar Küsschen zuwerfen, während die mich wohl für eine Art Lebend-Installation à la Duane Kane halten. Was bei eigener Überprüfung auch irgendwie stimmt: Ein Dicker mit komischen Hemden und weißem Bart.

Vor kurzem waren wir im Ariston als die nahe gelegenen Schule gerade Mittagspause hatte. Vier Mädchen und ein Adonis setzen sich rund um einen Tisch im Arkaden-Bogen und starrten sofort in ihre Smartphones, kicherten und tauschten sich aus ohne aufzusehen. Nur eine blieb stehen. Vermutlich weil sie sich im Konkurrenzkampf mit deutlich attraktiveren anderen Mädchen chancenlos wähnte... Also begann sie - unbeachtet von den anderen - ihr - ehrlich gesagt - eher langweiliges Spiegelbild zu betrachten, schnitt Fratzen und versuchte so unnahbar auszusehen wie möglich.

Aber da täuschte sie sich. Auf einmal merkte sie im Spiegel, dass ich sie beobachtete. Einer kurze Beschämung wich der Überraschung, als sie sah dass ich den I-Like-Daumen nachdrücklich nach oben hielt. Dann nach einer kurzen Pause wies ich sie auf mein Spiegelbild hin, das sie auch prompt mit einem Thumb-Up bedachte. Wir lachten beide prustend los. Was sowohl meine Frau als auch ihreTisch-Runde aus d
er Vertiefung riss. In der Annahme, sie hätten etwas versäumt, schauten sie die jeweiligen Lacher an. Aber die behielten ihr "Geheimnis" für sich.
Als die Teenies wieder zurück in Richtung Gymnasium gingen. Zwinkerte die, die mit mir ihr Spiegelbild getauscht hatte, verwegen zu.
Eine 16jährige zwinkert einem 68jährigen zu. Geht doch! We made our day...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen