Montag, 1. Mai 2017

Lohn der Arbeit

Fragt sich, wie lange wir den Mai noch als Wonne-Monat betrachten können. Im letzten Jahr reisten wir erst Mitte Mai an und heizten bis in den Juni hinein. Heuer scheint es zunächst nicht besser zu sein. Die Katalanen aus der Partner-Gemeinde sind zum turnusmäßigen Gegenbesuch da. In weiser Voraussicht wird in erster Linie im großen Stil getafelt und mit dem Bus zu diversen Museen gefahren. Hoffentlich haben die Gäste Winter-Klamotten an. 10 Grad beim Aufstehen - da klingt primavera in seiner Übersetzung wie Hohn.

Also die emotionalen Zugbrücken hoch, und über den 1.Mai nachgedacht:
Als Kind aus einer Familie, die über Generationen hinweg nie mit Händen und Körperkraft schuften musste, hatte ich erst spät Zugang zur sogenannten Arbeiter-Klasse. Noch heute bin ich dem zivilen Ersatzdienst und meiner Lehre als Buchhändler dankbar.

In der Großküche des Rotkreuz-Krankenhauses fand ich schnell heraus, dass der leicht debile Gleichaltrige, der mehr als zehn Stunden täglich Schwerstarbeit mit Kartoffelkörbe Schleppen und Kohle-Keller Ausfegen verrichtete, weniger Geld bekam als ich an Sold.

Mein Antritt als Lehrling erfolgte im Bücher-Lager. Ich kam am ersten Tag im Anzug und hatte damit bei denen in den grauen Kitteln schon fast verschissen. Aber ich machte an Boden gut, weil ich mich in der Kantine zu denen setzte, mit denen ich stapelte und deren Lebensläufe ich nach und nach verinnerlichte. Als die drei Monate im Bücher-Lager vorbei waren, gehörte ich zu den Weißkitteln im Vordergebäude. Und die Graukittel meinten, dass ich nun wohl bei den anderen sitzen wolle. Das tat ich nicht, womit ich bei den Weißkitteln aneckte.

Das war übrigens mein einziger Protest. Politisch scheiterte ich bei den rigiden Schwestern mit einem Streik, bei dem ich alleine blieb, weil die anderen Ersatzdienst-Leistenden erworbene Privilegien nicht verlieren wollten.

Beim Versuch im Verlag einen gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsrat zu etablieren schafften es meine mitstreitenden Lehrlinge und ich zumindest in den SPIEGEL und in die SZ. Als ich die Lehre abgeschlossen hatte, war ich zwar Gewerkschafts-Mitglied, aber der Verlag hatte immer noch keine Vertretung der Arbeitnehmer.

In der Gewerkschaft erkannte ich ziemlich bald, dass sich die Genossen so verschraubt und ihren Worten so selbstverliebt lauschend  ausdrückten, dass die Basis sie nie und nimmer würde verstehen können. "Handel, Banken und Versicherungen" (HBV) schon der Name der Gewerkschaft kommt mir heute wie Hohn vor. Immerhin erstritt ich in meiner Gruppe eine deutliche Anhebung der Ausbildungs-Beihilfe. Ausgebildet wurde jedoch nur wenig, dafür billige Arbeitskraft um so mehr ausgebeutet.

Da ich weder ein Bakunin noch ein Lenin war - wie sollte ich auch bei einem Juristen als Vater - wählte ich den Weg des leicht verdienten Geldes als Worte-Jongleur. In der totalen Verkenntnis von Tatsachen tröstete ich mich mit den Worten des Österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky: "Es ist das Schicksal eines jeden Revolutsionärs im Alter mit Kragen und Krawatte herum zu laufen."



All das Blutvergießen samt Demagogie hat die Situation der Arbeiter-Klasse nicht wesentlich verändert: Mindestlohn, Mini-Jobs etc. sorgen immer noch dafür, dass die dermaßen "Abgehängten" schnell wieder Opfer von drastischen Parolen sowie Versprechungen werden und Demokratien in Gefahr bringen. Wählt eure eigenen Henker!

Eine Mai-Andacht zum Ersten sollte das in aller Demut bewusst machen. Vor allem in einer Zeit, in der Roboter auf dem Vormarsch sind. Robot heißt übrigens auf Russisch arbeite!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen