Sonntag, 31. August 2014

Alles eine Frage der Perspektive

Morgen - so sagen die Meteorologen - ist Herbst-Anfang. Vielleicht sollten sich die Wetterfrösche wieder daran gewöhnen, dem kalendarischen den Vorzug zu geben. Denn hier steht die erste Septemberwoche, voll im Zeichen des Sommers. Die Vorhersage sieht Temperaturen vor, wie sie der gesamte August und auch der Juli nur teilweise bereit gehalten haben.

Unseren Gastgebern, aber auch den Deutschen im Schluss-Spurt der Ferien kommt das gerade recht, denn traditionell ist ja dieses Wochenende der Höhepunkt der Ferragosto-Riten. Was bedeutet, dass der Italiener per se und seine europäischen Epigonen im dolce far niente sich in eingeölte Sardinen verwandeln und  nur dann zufrieden sind, wenn sie alsbald Hüfte an Hüfte mit wildfremden, triefenden Mitmenschen auf lettini unter Sonnenschirmen zu horrenden Mietpreisen schwitzen. Nicht ohne sich zuvor noch bei den wenigen Parkplätzen auf Goldpreis-Niveau abzocken zu lassen...

Gerade noch mit den Bildern von den Vertriebenen und Ausgebombten in Syrien, im Gaza sowie dem Irak beschäftigt, wo Menschen unfreiwillig solche Enge ertragen müssen, denkt sich unsereiner - privilegiert und vielleicht auch ein wenig hochnäsige - gut, dass uns dieser Zwang am Strand erspart bleibt...

Pustekuchen! Just an diesem denkwürdigen Tag ruft Alborello an, - der Socio, der sich um mein Fischerboot kümmert, das bald genauso betagt ist wie ich,. Nach dreimonatiger Beschaffung von winzig kleinen Ersatzteilen wäre jetzt endlich die Probefahrt zur Reparatur-Abnahme möglich. Zum Boot zu kommen, ist da ja noch leicht, denn wir dürfen für kurze Zeit auf der Mole parken. Aber eine kurze Zeit ist für die "Zweitbeste" ja immer noch zu lang. Sie geht lieber durch die Marktstände der anstehenden Sagra di San Lorenzo und vergisst die Zeit. - Was ja nicht so schlimm wäre, wenn sie ihr Handy dabei hätte.

Jedenfalls muss ich meinen gesicherten Parkplatz verlassen, ehe die Carabinieri mir und dem geduldigen Hafenmeister Ärger machen. Weit und breit kein regulärer Parkplatz in Sicht. Ich rufe die "Zweitbeste" an, lande auf der Mailbox und drehe eine Runde um den alten Ortskern. Da ahne ich noch nicht, dass das eine Never Ending Story werden sollte.

Es ist heiß. Alborello, und ich hatten auf dem Meer gerade noch darüber schwadroniert, wie angenehm der Nachtschlaf in diesem August gewesen sein, und was doch die Feriengäste für ein Pech mit dem Wetter gehabt hätten. Früher als sonst seien aber dadurch jetzt schon die Fische da. Vier Lampuge und neun Naselli habe er am frühen Morgen gefangen. 

Ich wäre jetzt schon froh, wenn ich nur einen ganz klitzeklitze kleinen Parkplatz ergattern könnte. Bei der neunten Runde und nach dem zwanzigsten vergeblichen Anruf wird mir langsam klar: Die Königin des Vergessens hat ihr Handy nicht dabei und wohl obendrein mit irgendeiner zufällig getroffenen Bekannten die Zeit verratscht.

Ganz hinten - fast schon in der Nachbargemeinde - ergattere ich nach beinahe zwei Stunden an einem staubigen Bauzaun einen gebührenpflichtigen Parkplatz und mache mich in der Gluthitze des August-Nachmittags auf zu unserer Lieblingsbar (offseason versteht sich!). Ich finde sie zunächst nicht. Im Herbst stehen am Strand ein paar Schirme, aber die Terrasse ist voll belegt. Jetzt sitze ich dort allein. Die "Zweitbeste" ist nicht da. Irgendwo da vorne müsste eigentlich das Meer sein, wenn man es sähe. Aber das geht bei voll besetzten Fünfer-Reihen unter aufgespannten Sonnenschirmen rund um die Bucht nicht.

Ich habe noch Alborellos Mitgefühl mit den armen Feriengästen im Ohr: Wann sollte man sie mehr bedauern? Bei schlechtem Wetter oder im tausendfach geteilten Hochsommer?

Es ist alles eine Frage der Betrachtungsweise oder gar der Perspektive. 

Heute bei unserem Stamm-Restaurant am alten Hafen von Oneglia weht durch die Arkaden eine angenehme Brise, und es flanieren vor allem junge Paare mit Kleinkindern, die in der Hitze vielleicht quengelig würden. Die Atmosphäre ist heiter und entspannt  - wie in einem italienischen Film der fünfziger Jahre. Beim Servieren ist so wenig los, das wir unseren Stamm-Ober sofort vermissen. Einen mehrsprachigen Bullen vom Typ Türsteher, den wir für das Urbild eines Italo-Machos gehalten haben...

Vom Padrone hören wir, dass er sich bis Dezember abgemeldet habe: Wegen eines humanitären Freiwilligen-Einsatzes in Afghanistan. Der dort nämlich Gebürtige hilft,  am Hindukusch Zerstörtes wieder aufzubauen.  

Wir werden ihn beim nächsten Mal mit ganz anderen Augen aus einer vollkommen neuen Perspektive betrachten. Ist eben alles eine Frage der Perspektive...

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