Mittwoch, 3. September 2014

Avanti!!!

Zeit meines Lebens als Wärter meines  privaten Menschenzoos aber auch als Reporter des Unnützen passierte mir immer das selbe, wenn ich mit Menschen zusammen kam, die das Ideal übertrafen. Ich meine jetzt Menschen, die die ohnehin schon nicht glaubhaften Darstellungen in Romanen, Filmen oder im Fernsehen an Güte in der Realität noch übertreffen... Immer dann muss ich nämlich verstohlen mit Tränen kämpfen  Vermutlich aus zweierlei Gründen: Weil mir erstens klar wird, wie weit ich von meinen eigenen Ansprüchen an mich unüberbrückbar entfernt bin. Und zweitens, weil mir auch beim professionellen Nachhaken nicht klar wird, wie es diese mustergültigen Menschen schaffen, dauerhaft so zu sein, wie sie sind.

Unsere Dottoressa hier ist so ein Mensch. Nicht, dass wir permanent bei ihr im Wartezimmer säßen. Ich zum Beispiel war seit dem Infarkt der "Zweitbesten" nicht mehr in ihrer Praxis. Was mich aber zusammen mit anderen Berichten über sie dennoch befähigt, ein Urteil über ihr Gemüt abzugeben. Das unterliegt offenbar keinerlei Schwankungen , obwohl wir erfuhren, was sie zwischenzeitlich hat durchmachen müssen...

Das Kommando "avanti!", das je nach Betonung "vorwärts marsch!", "na los!", "mach schon!" oder wie in ihrem Falle "der Nächste bitte!" bedeuten kann, kommt bei ihr mit einem heiteren Gluckser aus der Kehle. Das zeigt zweierlei: Sie freut sich auf den Nächsten, selbst wenn er oder sie ihre Dienste unbekannter Weise zum erst Mal in Anspruch nähme.  Zweitens - egal wie voll ihr Wartezimmer ist, lässt sie sich nicht stressen. Sogar wenn ihr Schwager, der als Sprechstundenhilfe wirkt, mal wieder mit dem Computer-Programm durcheinander gekommen ist. Sie ist kaum jünger als wir, müsste eigentlich schon deshalb unter Dauerstress leiden, aber schafft es dennoch mit ihrer Empathie alles in allgemeine Sympathie zu verwandeln.

Sie nimmt sich nicht nur Zeit, sondern geht auf den Menschen im Patienten ein, was wir in Deutschland ja eigentlich gar nicht mehr kennen. Gerade haben die niedergelassenen deutschen Ärzte ja ein Milliarden-Paket beansprucht - für ihr "der Nächste bitte!". Da treibt es uns die Schamröte ins Gesicht, wenn wir wissen, was La Dottoressa einmalig  im Jahr dafür bekommt, dass wir in ihrem Patienten-Stamm sind - egal, wie oft wir sie aufsuchen.

Diesen Patienten-Stamm hat sie  bei 1.300 Personen gedeckelt,  aber zum Urlaub kommt sie im Juli-August-September. dennoch nie.
"Da kommen ja meine ganzen deutschen Patienten. Die brauchen mich doch!" Aber nicht nur die. Sie macht natürlich auch Vertretung für ihre italienischen Kollegen, die wie selbstverständlich ihre Praxen Ferragosto dicht machen.

Dann passiert es schon ein, zwei mal, während man bei ihr sitzt, dass sie sich noch am Telefon geduldig Patienten anhört, deren betreuende Ärzte bereits aus dem Urlaub zurück sind. Sie ist in ihrer Ruhe einfach nicht zu erschüttern, obwohl sie sich zwischenzeitlich von lieblich rundlichen 90 Kilo auf 65 reduziert hat.  Ich wäre da nur noch ein Nervenbündel. Sie ist heiter, charmant und mit der kessen Berliner Schnauze auch einmalig witzig. Übrigens hat sie zum Abnehmen einfach nur die Stress-Schokolade nach der Pflege ihres tödlich erkrankten italienischen Ehemanns weg gelassen.

Hätte ich nicht die "Zweitbeste" - ich würde ihr einen Antrag machen. Aber sie würde mich ja ohnehin nicht wollen. Ich bin ja viel zu wenig stressig!

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