Donnerstag, 18. September 2014

Was die Macht der Liebe mit uns macht

Gestern machte im Web die Geschichte einer Australierin die Runde, die ihrem Goldfisch in einer einzigartigen Operation einen riesigen Tumor entfernen ließ. Der veterinäre Eingriff kostete einen ziemlichen Batzen, aber das war der Liebe der Frau von Downunder zu ihrem Goldfisch eben geschuldet. Danach jedenfalls - so wurde berichtet - habe sich der Geliebte wieder wie ein Fisch im Wasser gefühlt und könne noch auf ein langes Leben hoffen.

Abgesehen davon, dass Liebe ja auch nicht gegen ihre Dauer aufgerechnet werden kann, war das Geld der Australierin gut angelegt. Denn Goldfische oder Koys gehören zusammen mit einigen Papageien-Vögeln als Haustiere zu den "Lifetime Compagnons"; die einen begleiten uns stumm ein Leben lang, die anderen schwätzen uns gar schier endlos die Hucke voll.

Dass aber auch Goldfische kommunizieren können, erlebte ich an meinem Garten-Teich. Eigentlich war der als Biotop derart ausgewogen ausgestattet, dass die bunten Gesellen nicht eigens gefüttert werden mussten. Aber wann immer sie meine Stimme hörten, die Vibration meiner Schritte spürten oder nur meinen Schatten sahen, versammelten sie sich aus allen Regionen des Teiches  zum Schwarm und folgten mir nicht nur, sondern warben mit Kreiseltänzen um meine Aufmerksamkeit. An der Flachwasser-Zone konnte ich mich auf den Bauch legen, dann kamen sie so weit heraus, dass ihre Rücken im Freien waren. Sie verschwanden erst dann wieder ins Tiefe, wenn sie aus meinen Fingern ein Leckerli gezupft hatten.

Als wir das Haus verkauften und der Käufer den Gartenteich wegen seiner Kleinkinder zuschütten wollte, war ich erleichtert, dass unser Umzugsunternehmer für seinen frisch angelegen Teich meine Freunde abfischte. Traurig war ich über die Trennung aber nicht, während ich mir noch heute Vorwürfe mache und mich auch schäme, dass ich das Ableben meines Hundes länger und nachhaltiger betrauerte als den Tod meiner Eltern.

Was mich zum eigentlichen Thema bringt:  Was nämlich die scheinbar nicht steuerbare Macht der Liebe aus uns macht. Wie vielschichtig und gegensätzlich unsere Gefühle sein können. In einer Zeit, in der die Menschheit hilflos zusieht wie zu religiösen Propagandazwecken  fast alltäglich Menschen enthauptet oder Kinder aus ihren Häusern gebombt werden, rührt die Berichterstattung ein vom Tumor befreiten Goldfisch mehr als die aktuellen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer.

Vom Nazi-Horrorschurken Heinrich Himmler, dem wohl eine Seele überhaupt schwerlich nachgesagt werden konnte, wurde eine tiefe gar lähmende Trauer über den Tod seines geliebten Schäferhundes kolportiert. - Was ihn aber nicht daran hinderte, am selbigen Tag Tausende von Juden in die Gaskammern zu schicken.

Solche Widersprüche könnten den Verdacht aufkommen lassen, die Liebe sei immer eine Art Ausnahmezustand und könnte daher auch zur Entschuldigung dienen. Aber dazu hat die Liebe einfach zu unterschiedliche Erscheinungsformen.

Manche verlieren ihren Verstand vor lauter Liebe, andere wiederum ordnen ihre Gefühle einem klaren Kalkül unter. Bei den einen ist die Liebe ein Strohfeuer, bei den anderen hält sie bis über den Tod hinaus.

"Und darum wird nach dem Happyend im Film jewöhnlich abjeblendt", dichtete schon Kurt Tucholsky. Wenn ich die weltweit hohen Scheidungsraten vergegenwärtige, kommen mir die Filmdramen, in denen sich Liebende füreinander aufopfern, oft zweifelhaft vor. Da riskieren sie möglicherweise Kopf und Kragen, nur um nach dem Überleben ein paar Jahre später diesen Partner für eine neue Liebe (?) zu verlassen.

Achtung thematischer Hopser!
Am Dienstag hatten wir das letzte Abendmahl, genauer gesagt das ultima cena in piazza, bevor wir bald wieder in der alten Heimat überwintern. Im Gegensatz zum ultima cena wie es unsere Seelensammlerin gerne sähe (die Jünger in der einen Liebe zu Jesus an der Tafel vereint) saßen mehr als ein Dutzend Vertreter der durchaus irdischen Liebe gut gelaunt bei Speis und Trank: uralte Ehen, junge Ehen, neue Ehen, wilde Ehen, aber leider auch "bessere Hälften", die der Schnitter zurück gelassen hat.

Zur Liebe fähig zu sein, ist essentiell, aber das bewahrt uns weder vor Abgründen, noch schützt das vor Torheit im Alter...

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