Montag, 29. September 2014

Cherie

Als ich in den 1970ern noch dachte, ich könne mein Leben als Erzähler bestreiten, habe ich einmal eine Parabel getextet, die sich um den Unterschied zwischen einer Barfrau und einer Bardame drehte: Während Erstere sich mit falschen Verlockungen unter vollem Körper-Einsatz allein dem Umsatz und ihrer Provision widmet, lässt Zweitere persönliche Annäherung nur auf quasi therapeutischer Ebene zu. Was sie aber nichts desto trotz für ihr Klientel verheißungsvoll erscheinen lässt, weil es weiß, dass geheimste Wünsche, Vorstellungen aber auch Sorgen gehört, aber nicht weiter getratscht werden. Die meisten Bardamen haben keine Laufkundschaft - wie Barfrauen, sondern Stammkunden - oft bis über das Alter des Begehrens und der Begehrlichkeit hinaus.

So ganz sicher bin ich mir im Fortschreiten der Jahre nicht, ob meine Theorie von damals generalisiert werden kann. Aber ganz sicher bin ich mir, dass Signora Girasole sich spät berufen dem Stadium einer Solchen nähert. Seit die ehemalige Trägerin buntester Jogging-Anzüge, die ja einiges mit Männern durchgemacht hat,  den Job der Gemeinde-Bardame übernommen hat, wandelt sie sich. Die mehrfache Großmutter kleidet sich nun mit dezenten modischen Accessoires, hübscht sich aber nun so auf, dass sie von der in die Jahre gekommenen männlichen Dorf-Bevölkerung genauso frequentiert wird wie von der weiblichen. Wenn also die Gemeinde mal etwas richtig gemacht hat, dann ist das dieser "Social Club".

Natürlich darf man sich die Bar Girasole nicht als gemütliche Stammkneipe an der Ecke vorstellen. Sie strahlt eher den Charme eines Vereinsheimes aus. Aber die Signora hat es so wohnlich gemacht, wie es eben ging. Wer draußen sitzen will, tut das im Schatten zweier Bäumchen auf dem Parkplatz, aber mit prachtvollem Blick auf das Portal unserer frisch renovierten Kirche. Auch zur Burg hinauf öffnet sich der weite Blick mal aus ganz anderer Perspektive.

Als wir uns dieser Tage mit dem Impresario trafen, der in unserer Abwesenheit die Wetter-Fassaden unserer mittelalterlichen Bruchbude renovieren soll, hatten die "Zweitbeste" und ich mal eine gute Gelegenheit den Bar-Betrieb und die Souveränität der diesen am Laufen haltenden Nachbarin zu beobachten.

So ab vier trudeln die ersten Männer nach der Arbeit ein, während die Alten da schon ihre Stammplätze eingenommen hatten. Einer führt seine wohl bereits leicht demente Mutter an eines der Tischchen und setzt sie wie eine Divan-Puppe in Positur, damit sie zumindest gucken kann. Sie bekommt ein Gläschen Orangen-Saft hingestellt, das sie aber nicht anrührt. Sie und wir sind jedoch die einzigen, die ein Getränk haben. Statt etwas zu bestellen, wird zunächst erstmal ausführlich geratscht. Ein recht alter Mitbürger sitzt eher zusammen gesunken an der Treppe und reagiert gelegentlich mit einem Si oder Kopfschütteln. So ab fünf kommen die ersten Damen zum Kartenspielen. Unsere Nachbarn Ina und Vittorio bleiben zu unserer Überraschung aus, aber die natürlich bestens informierte Signora klärt uns auf. Die Ape von Vittorio ist beim Mechaniker, und Ina hat etwas in der Stadt zu tun. Stattdessen erscheint aber die wie fünfzig aussehende 82jährige Nachbarin von der Piazza Santa Anna mit Gefolge: Enkelin und Urenkelin. Irgendwie sind alle miteinander verwandt, aber so etwas interessiert ja vornehmlich die "Zweitbeste". Ich kann mir das ja in den mit mir verbundenen Familien schon kaum merken.

Deshalb bin ich dankbar, dass ich von den Männern immer tiefer in Diskussionen um Benzin-Preise, deutsche Maut-Vorhaben und anstehende Heizungskosten gezogen werde. Weil wir noch mit dem goldpreisigen Gas heizen, werden wir milde belächelt. Im übrigen weiß fast jeder der Anwesenden bereits bevor Marcellino auf seiner schweren Motoguzzi über den Hof reitet, über das bescheid, was wir so diskret wie möglich halten wollten: Dass er den Zuschlag für die Fassaden-Renovierung erhalten hat.

Einer, den ich noch nicht so oft gesehen habe, sagt dann: "Du bist doch der im Haus der "Francesa"?"
Da geht ein unmittelbarer Ruck durch den Alten an der Treppe. Er richtet sich gerade auf, die Nachmittagssonne erleuchtet sein Gesicht mit dem sehnsuchtsvollen Lächeln und er seufzt: "Ah Cherie!"

Und im Nullkommanix hallt der Parkplatz wider von den vielen Legenden, die über die längst verstorbene, "männermordende" Einheimische immer noch im Umlauf sind. Die Ur-Eigentümerin unseres Hauses, die nur deshalb "La Francesa" genannt wurde, weil sie als Köchin im benachbarten Ausland gearbeitet hatte.

Seit wir hier wohnen, haben wir soviel von ihr gehört, dass wir nachts ihren Geist im Negligee durch das Haus schleichen hören...

Naja - jetzt hat sie ihr Haus bald für ein halbes Jahr wieder für sich ganz allein und kann mit all ihren verstorbenen Liebhabern (hoffentlich lässt sie unsere Bauarbeiter in Ruhe) wieder Karten spielen, bis wir im Frühjahr auf die Burg zurück kommen.

Dieser ist der letzte Brief von der Burg für dieses Jahr. Ab 15. Oktober hagelt es wieder im Münchner Glashaus jede Menge Steine. Bleibt mir gewogen!

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