Samstag, 6. September 2014

Francobolli

Als sich Ende der 1960er abzeichnete, dass aus der Urlaubsbekanntschaft meiner kleineren Schwester ein Schwager werden würde, der für nachhaltige "italienische Momente" in unserer Familie sorgen sollte, beeilte ich mich zu den italienischen Gesten, die ich ihm bereits abgeguckt hatte, auch ein paar Brocken der Sprache zu lernen.

Damals hießen die dritten TV-Programme der ARD noch Studienkanäle. Neben "Cordialmente da Italia" gab es auch einen Sprachkurs mit einer hinreißenden donna matura, die den Sexappeal der unvergessenen Schauspielerin Anna Magnani ausstrahlte . Es ist anzunehmen, dass meine spätpubertären Sinne eher durch sie angeregt wurden, als durch die Sätze, die sie via Flimmerkiste beibrachte.

Einer ist dennoch wegen seiner Unsinnigkeit in meinem Gedächtnis geblieben:
"Il gatto di signor Borgo ha mangiato il francobollo della signora Bianca."
Was immer den Kater von Herrn Borgo dazu gebracht hatte, die Briefmarke von Frau Bianca zu fressen - keiner konnte damals ahnen, dass Briefmarken dereinst in ein vorfossiles Stadium übergehen würden.

In Zeiten von e-mails, SMS, Twitter und sonstigen Kommunikations-Methoden befinden sich Briefmarken eindeutig auf dem Rückzug; gerade im "telefoninosierten" Italien. Da Postämter immer rarer werden, gibt es nur wenige Verkaufsstellen und noch weniger Käufer...

Nur eine kleine deutsche Frau in einem abgelegenen Wehrdorf  besteht noch hartnäckig darauf, frankierte Postkarten und Briefe in alle Welt zu verschicken:

Der kluge Leser wird es erraten haben, es handelt sich dabei um die "Zweitbeste Ehefrau von allen", die immer fleißiger an ihrem Ruf als "ungekrönte Königin des Vergessens" arbeitet. Ich liebe zwar ihren Traditionalismus, aber manchmal geht sie mir damit ganz schön auf den Zeiger und strapaziert meine Langmut. Was ich einfach nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass diese Frau, die noch vor ein paar Jahren mit Computer-Programmen, die ich nie verstanden habe, Finanzbuchhaltung, Löhne, Gehälter und Abschlüsse unserer Firma bearbeiten konnte, zu einer derartigen Elektronik-Verweigerin werden konnte. Selbst ihr mit Strass geschmücktes Uralt-Handy wird bereits von einschlägigen Museen als begehrenswertes Sammlerstück beäugt.

Letzte Woche jedenfalls trieb sie das Thema Briefmarke auf die Spitze. Weil sie sich darüber aufgeregt hatte, dass die Damen hinter dem Schalter immer so langsam sind, ist sie dazu übergegangen Briefmarken auf Vorrat zu kaufen...

Und plötzlich war dieser verschwunden. Sie ließ mich hautnah an diesem Drama teilhaben. Anfangs machte ich mir sogar die Mühe, auch darüber nachzudenken, wo sie sie verwahrt haben könnte. Wir haben nicht weniger als zwei Dutzend Möglichkeiten in Erwägung gezogen, Schließlich riet ich ihr, ihre Tasche, die sich schon mehrfach als Bermuda-Dreieck für Unauffindbares erwiesen hatte, gänzlich umzustülpen. Was sie natürlich verweigerte, weil es Tage gedauert hätte, sie wieder einzuräumen...

Gestern bin ich dann - während sie im Postamt einen neuen Vorrat kaufte - auf die Idee gekommen, mit geschlossenen Augen ihr postalisches Verhalten des in Frage kommenden Zeitraums  zu rekapitulieren:
Einen wichtigen, frankierten Brief hatte ich im Tal  persönlich eingeworfen, dann erinnerte ich mich, dass sie mindestens dreimal mit einem Packen Briefe über die Piazza zu unserem Dorf-Briefkasten gegangen war. Auch hatte sie später noch zwei Postkarten mit Geburtstagsgrüßen eingeworfen.

Dann kam sie von der Post mit den Marken in der Hand zurück und verstaute sie mit mir als Zeugen - eigentlich wie immer - in ihrer Brieftasche.
Frage: Wie viele Briefmarken kaufst du eigentlich immer?
Antwort: Immer für einen 10-Euro-Schein.
Frage: Könnte es dann nicht sein, dass du den letzten Vorrat nicht verlegt, sondern verbraucht hast?

Ich zählte ihr noch einmal die Stationen auf, die ich aus dem Gedächtnis rekapituliert hatte, und freute mich über das Leuchten der Erkenntnis in ihren Augen. Dann sprang sie aus dem Auto und steuerte erneut auf das Postamt zu.

Frage: Was ist denn nun schon wieder?
Antwort: Ich muss noch mehr Marken kaufen. Ich weiß doch, dass du in deinem doofen Blog gleich wieder Gemeinheiten über meine Vergesslichkeit schreiben wirst. Da muss ich meinen Freundinnen doch schreiben, dass sie das bloß nicht glauben sollen....

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen