Sonntag, 17. August 2014

Ein so weit kurzer Weg

Gestern humpelte der ewig junge und fitte Severino, unser ehemaliger Rosenzüchter aus Sanremo, an Krücken über die Piazza, um nach seinen Ferien-Appartements zu gucken. Auch nach den beiden kürzlich eingesetzten, künstlichen Kniegelenken, glaubt keiner, dass er bereits einiges über 70 ist. Aber er brachte die Urangst aller Burggeister zur Sprache: Was wird hier auf der Burg aus dir, wenn du nicht mehr richtig laufen kannst?Seit wir auf die Burg gezogen sind, beschäftigt uns diese Frage natürlich auch zunehmend. Zwar sind es nur etwa dreihundert Schritte vom Parkplatz zur Piazza hinauf, aber je nach Tagesform werden die von Jahr zu Jahr beschwerlicher, wenn sie sich auch noch nicht "vermehren" oder bereits zu längeren Pausen nötigen...Immerhin bin ich im Frühjahr mit einem gewaltigen Muskelriss verspätete angereist und habe seither schmerzhaft Stufen, Unebenheiten und veränderte Steigungen bemerkt, die ich früher gar nicht wahr genommen hatte.Die hier oben Geborenen können wir dabei für uns nicht als Maßstab nehmen. Sie haben sich eine ökonomische Gangart angewöhnt, die ich bei vielen Menschen in den Bergen beobachten konnte. An der Ausgezehrtheit der Männer allein kann es auch nicht liegen, denn die meisten Witwen lassen es sich wie Ina oder Marina recht gut schmecken und legen ganz schön Gewicht auf ihre Garten-Arbeit.

Ich habe den Verdacht, dass sie alle über das Bergauf und  Bergab gar nicht groß nachdenken. Sie haben keine Ahnung wie viele Schritte es rauf oder runter sind, weil ihnen ihr Leben hier oben diese diversen Gänge schon immer abverlangt hat. Solche Fahrstuhl-Weichlinge wie ich einer geworden bin, können sie nur müde belächeln.
Die "Zweitbeste" und ich gehen zweimal pro Woche unsere Frisch-Vorräte einkaufen. Mit diversen Fläschchen sind das dann rund 20
Kilo für mich und etwa die Hälfte für meine Frau, die nach oben geschleppt werden müssen. - Nicht immer trösten wir uns damit, dass uns das auf Dauer einen Rest Fitness bewahrt. Manchmal kommen wir ganz schön ins Schnaufen und nähern uns dem Zustand, in dem wir unser Jahrzehnte langes Wohlleben verfluchen könnten. Aber dann nehmen wir einen hoch geschleppten Schluck auf der Piazza oder auf der Terrasse, und sehen uns vorerst noch jedesmal nachhaltig belohnt.
Noch haben wir ja die Option, dass wir nicht in einem Stück nach oben stieren, sondern am Treppenabsatz oder vor der Steigung eine Verschnaufpause einlegen - wenn keiner guckt...
Kurioser Weise haben wir neulich festgestellt, dass das Runtergehen meist länger dauert. Wir gehen ja immer an Markttagen, an denen die Burggeister generell lebhafter sind. Das führt dazu, dass wir bereits am Ausgang von der Piazza von der Seelenfängerin  in ein Verhör über die beabsichtigten Einkäufe verstrickt werden. Wir haben uns angewöhnt, ihr Absichten über den Erwerb von Obst und Gemüse zu verschweigen, weil sie sonst sofort losgeht, um ihre Erträge mit uns zu teilen.
Auf halbem Wege lauert unser Burgnarr Camillo, weil er auf eine Mitfahrgelegenheit spekuliert. Leider schwört er - wie in den Burgbriefen bereits berichtet - auf eine Zahnhygiene mit spitzen Chill-Schoten, Knoblauch und Grappa, was ihm auf der Rangliste der Beifahrer keinen Vorzugsplatz einräumt. Selbst wenn wir heil an ihm vorbei sind, ist bestimmt Giovanna mit ihrem Falco unterwegs oder sitzt vor ihrem Haus am Einstieg zur Treppe. Ja, und dann kann am Parkplatz ja keiner einfach so kommentarlos in sein Auto steigen, wenn andere auch dabei sind, ins Tal zu fahren. Eine halbe Stunde hat letztlich der Weg zu unserem Auto gedauert. Wir haben deshalb die letzten Köstlichkeiten im Angelo di Pane von Oneglia verpasst. Spätestens ab 11 Uhr ist der kleine Laden immer komplett leer geräumt. Da hilft dann auch mein von den Damen hinter dem Tresen stets heiter bejubelter Sonderstatus als Babo Natale nichts. Bis Weihnachten ist ja meist noch lang hin

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