Freitag, 8. August 2014

Ernte-Zeit

Donna Ina ist ein Phänomen. Sie lässt mich einmal mehr darüber nachdenken, wie nicht nur in den vom Krieg erschütterten Regionen des Orients Frauen unterdrückt werden.  Auch im angeblich so emanzipierten und aufgeklärten Alltag des modernen Europas werden Frauen in ihrer Agilität und der Entfaltung eigener Fähigkeiten gebremst. Je mehr Witwen und allein stehende Frauen in meinem "sozialen Umfeld" selbstbewusst die Oberhand gewinnen, desto mehr befürchte ich, dass vielleicht auch ich der "Zweitbesten" in dieser Beziehung nicht der "allerbeste Ehemann von allen" bin, weil ich nach meiner beruflichen Hektik ihrer Lust, etwas zu unternehmen, nur zögerlich folge. Frauen sind offenbar besser geeignet auf der Zielgeraden  eine noch reichere Ernte ihres Lebens einzufahren.

Unsere Nachbarin Ina belegt meine These. Bis ihr Mann vor zwei Jahren kläglich an Krebs starb, war von ihr kaum etwas zu bemerken. Ihre Spaniel-Dame Klara war ein verhuschtes Wesen, das sofort davon rannte, wenn es nur angesehen wurde. Heute holt sich Klara, die wohl die Mangeljahre ausgleichen will nicht nur von selbst Streicheleinheiten ab, sondern nimmt auch mal ein Leckerli an, bevor sie mit ihrem mittlerweile 74.jährigen Frauchen durch den Borgo tobt.

Ina spricht Speis und Trank zu, als gäbe es kein Morgen, und beim nachbarschaftlichen cena in piazza überhäuft sie alle, die sie sich früher wohl nicht anzuschauen getraut hat, mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten ihrer casareccia Kochkunst. Sie nimmt in jeglicher Beziehung anteil am Leben hier oben, obwohl sie unten in der Stadt eigentlich ihren Hauptwohnsitz und ihre Restfamilie hat. Mühelos schlüpft sie von der elegante Städterin in ihre Rolle als Landfrau.
Ganze Tage verbringt sie in ihrem horto und abends geht sie in die Dorf-Bar, um mit den anderen Witwen bei Signora Girasole Karten zu spielen. Sie hat eindeutig ein "grünes Händchen", und wir kommen dadurch in den Genuss bester und frischester Garten-Produkte. Zur Ernte-Zeit hängt beinahe täglich eine Tüte mit Salat, Kohl, Bohnen, Zucchini, Gurken oder Früchten an unserer Haustür. Natürlich versucht die "Zweitbeste" mit kleinen Gegen-Geschenken die banca di favore, die Gefälligkeitsbank, in ausgeglichener Bilanz zu halten, aber das wäre gar nicht nötig. Im urchristlichen Sinne wird hier geteilt, was überreichlich vorhanden ist - sofern die Wildschweine nicht einfallen. In Tränen war die ihr neues Glück permanent ausstrahlende Ina neulich, weil die immer unverschämter werdenden Borstenviecher aus der Schutz-Zone in einer Nacht ihre gesamte Trauben-Ernte weg genascht hatten.

Beim letzten gemeinsamen Abendmahl auf der Piazza saß sie neben mir und meinte, was die "Zweitbeste" und ich doch für ein nettes Paar seien, und in einem Nebensatz, dass sie manchmal tatsächlich ihren marito vermisse. Ja, so sind wir Ehemänner. Wir wirken über den Tod hinaus - auch wenn wir vielleicht nicht die "Allerbesten" waren...

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