Montag, 3. Dezember 2012

Avvento Azzurro

Seit die Kinder aus dem Haus sind, würde ich die Vorweihnachtsstimmung eigentlich nicht sonderlich vermissen. Schon gar nicht, wenn ich am 2. Dezember im T-Shirt hier oben auf der Terrasse vom Liegestuhl aus meinen Blick über den angezuckerten Appenin bis hin zu den bereits tief verschneiten See-Alpen schweifen lasse...

Aber egal ob keine Kinder da sind, oder der Borgo auch sonst verwaist ist - jegliches Ignorieren des Adventes aufgrund mangelnder, einschlägiger Stimmung wird mir unmöglich gemacht. Es beginnt mit dem Ankleben eines Weihnachtskalenders ans Esszimmer-Fenster. Das erste Utensil, das die "Zweitbeste aller Ehefrauen" aus einem unerschöpflichen Fundus von Glitzerkram  hervorholt. 

Da wir mehr oder weniger abwechselnd Weihnachten hier oder in München feiern, sind die Kitsch-Arsenale gleichermaßen angeschwollen. Hier verfügen wir sogar über eine einst von mir für die Kids selbst gebastelte und erleuchtete Krippe, die sich neben dem klassischen Stamm-Personal durch mannigfaltiges, aus Holz geschnitztes Getier derart ausgebreitet hat, dass sie kein ärmlicher Stall, sondern mittlerweile eher eine reiche Ranch ist. Dabei bedeutet diese deutsche Krippe schon  "Eulen nach Athen tragen". Denn Ligurien ist berühmt für seine gigantischen Presepi - nicht nur zur Weihnachtszeit. (Zwei Pracht-Exemplare gibt  es unter vielen anderen in SanPaolo auf dem Hügel von Porto Maurizio und in Gazzelli zu bestaunen).

Was im Münchner Neubau als Kelch meist an mir vorbeigeht, verlangt in unserer mittelalterlichen Bruchbude hier  gnadenlose Fron: Das Dekorieren. Die Zweitbeste wirkt ja nur durch ihre Wortgewalt so riesig. In Wahrheit streiten sich die Chronisten, ob sie nun 154 oder 158 cm hoch ist. Egal wie diese Vermessungen ausgehen - sie reichen halt nicht  annähernd, um Girlanden, Lichterketten, Schwebe-Engel und dergleichen Zierrat in unseren hohen Räumen zu befestigen. Da muss ich ran - ob ich will oder nicht.

Spätestens wenn sich am 1. Advent  die ohnehin schon tief stehende Sonne anschickt, hinter der gegenüber liegenden Bergkette zu versinken, wird das schweigsame Mahnen von unten, derart nachhaltig, dass ich freiwillig zur Tat schreite, obwohl ich das Desaster schon von vornherein kenne: Wieder wird eine der fünfzig Glühkerzchen nicht funktionieren und damit die gesamte Kette nicht leuchten lassen. Wieder wird die Girlande aus Kunst-Tannenzweigen, die im übrigen genauso nadelt, als bestünde sie aus echten, nach den vergangenen Weihnachten so zurückgestopft worden sein, dass ich garantiert das falsche Ende zuerst erwische, um sie um die Gardinenstangen zu drapieren.

Seit ich bei solchen Arbeiten immer in die Nähe eines Nerven-Zusammenbruchs gerate, nehme ich mir vor, mich erst einmal in Ruhe hinzusetzen, um mir einen Plan für mein Tun zu machen. Aber das Bedürfnis, das Montieren so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, hindert mich dann doch daran.

Also hier das Drama im Zeitraffer: 
Natürlich fange ich mit der Girlande von der falschen Seite an. Rechthaberisch wie ich bin, habe ich sie aber schon mit Draht fixiert, ehe ich bemerke, dass ich mit ihrem Stecker  auf der anderen Seite nicht annähernd an die nächstgelegene Steckdose komme. Nochmal von vorne anzufangen, kommt gar nicht in Frage. In gefühlten zwei Metern überm Boden, fange ich derart an dieser Anakonda zu zerren, dass die Metallkugel am Ende  der Gardinen-Stange erst auf die Glasplatte des Sidebaords kracht, um dann unerreichbar hinter dem selben zu verschwinden. Damit mir das auf der anderen Seite nicht auch passiert, sichere ich die Kugel, indem ich sie auf einen Bilderrahmen in luftiger Augenhöhe lege. Für die Entwirrung der Drähte, die ich zuvor in einer Sekunde verknüpft habe, brauche ich aber nun gefühlte zehn Minuten. Dann jedoch  läuft es wie am Schnürchen. Ich verschiebe die Girlande soweit, dass der Stecker in die Steckdose reicht, rücke das Sideboard von der Wand und schieße mit dem Kamin-Besen die Kugel so schwungvoll hervor, dass sie drüben unter der Couch landet. Im Abrücken habe ich ja jetzt Übung. Bleibt noch die Befestigung der zweiten Kugel. Blöd nur, dass ich in dem Moment, in dem ich sie vom Bilderrahmen pflücken will, ein wenig das Gleichgewicht verliere. Bild samt Kugel beweisen, dass Newton mit seiner Schwerkraft-Theorie recht hatte... Aber jetzt triefe ich sowieso schon vor Schweiß und bin aber innerlich ganz ruhig, denn die Lichterkette für das Säulenfenster mit dem prachtvollen Bergblick zum Nachbardorf funktioniert einwandfrei. - Geordnet am Boden liegend. Ich verstehe nicht, wieso sie das nicht mehr tut, als ich sie als gedachten Lichtrahmen für das Fenster aktiviere. Ein Birnchen von 50 wackelt oder ist kaputt. Als die Lichterkette bei Nummer 32 durch mein leichtes Berühren erblüht, ist ansonsten die Dunkelheit hereingebrochen.

Zeit für den Auftritt der Zweitbesten, die wie immer im Advent  ob des Lichterzaubers zu Tränen gerührt ist. So schön findet sie das, dass sie mich umarmt und küsst. Dabei flüstert sie mir ins Ohr, dass jetzt nur noch die zu illuminierenden  Oliven-Girlanden im Esszimmer zu montieren seien...

Dabei können doch leidenschaftliche "Adventisten" jetzt in Ligurien so viel schönere Sachen machen: 
Die weihnachtlich erleuchteten Kolonnaden von Pieve di Teco entlang flanieren und in der Bäckerei am Dorf-Eingang die einzigartigen, mit Olivenöl gebackenen Kekse aus Mürbeteig naschen. Oder ab nächstem Wochenende nach Sanremo drei Wochen lang auf den Bobbo Natale Markt gehen. Auch die Fahrt nach Triora ins weihnachtliche  Hexendorf lohnt. Schließlich bereitet da die berühmte Befana am 6. Januar dieser Weihnachtszeit heuer mit einem großen Fest das ersehnte Ende.

Übrigens: Ein Adventskalender, der hilft, Kalorien abzubauen, ist der "begehbare" in der Altstadt von Menton: Ein steiles Treppauf-Treppab zwischen 24  Kunstgalerien, Bonbon-Läden und Kitschbuden die jeweils am betreffenden Datum mit besonderen Aktionen ihre "Törchen" öffnen...

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