Samstag, 22. Dezember 2012

Eine wahre Weihnachtsgeschichte

Der Baby-Fetisch


  Als sie sich zum ersten Mal zufällig  auf dem Redaktionsflur persönlich trafen, waren sie zunächst einige Schritte aneinander vorbei gegangen, weil jeder von seinem Telefonpartner eine andere Vorstellung gehabt hatte. Johannes hatte einen typischen Sesselpuper mit Birnen-Körper erwartet und Anselm war - wie er später zugab - von einem feingliedrigen, sensibel auftretenden Asketen im Gandhi-Look ausgegangen. Es war ja die erste Esoterikwelle durchs Land geschwappt.
  Als sie sich einander auf dem Flur zuwandten, wäre für andere kein Durchkommen mehr gewesen. Von Trotter überragte Johannes noch einmal um einen halben Kopf und sah aus wie Popeye zurück von der Streckbank. Aus kupfern behaarten sommersprossigen Unterarmen wuchsen Hände, die einen Schaufelbagger arbeitslos gemacht hätten. Sie umfassten die Hände von Johannes nun bis zu den Gelenken.
  Johannes, der sich stets etwas auf seine graphologischen Kenntnisse eingebildet hatte, musste im gleichen Moment da er schallend loslachte, an die kleine, makellos präzise Handschrift von den Notizzetteln denken, mit denen die Manuskripte gelegentlich von von Trotter zurückgekommen waren. Aber auch der lachte so herzhaft, weil er eine ähnlich widersprüchliche Assoziation vor Augen hatte. Wer konnte denn ahnen, dass so ein vollbärtiger, langhaariger zwei Zentner schwerer Seeräuber-Typ eine so einfühlsame Serie über Kinder in Deutschland geschrieben hatte.
  Es war klar, dass sie sich auf den ersten Blick mochten. Dass es eine Männerfreundschaft auf den ersten Blick wurde, hätte Johannes - normaler Weise mehr als misstrauisch - vermutlich versucht zu verhindern. Er war keiner, der sich gleich duzte, der sich sofort auf ein Bier verabredete oder dabei für das kommende Wochenende schon ein privates Essen mit den Ehefrauen verabredete. Von Trotter strahlte diese soziale Kompetenz aus, die jeglichen unterbewussten Widerstand zum sofortigen Erliegen brachte.
  Beim dritten Bier hatten sie sich im Stenogramm gegenseitig das geschildert, was das Leben ihnen bisher beschert hatte und wo es sie hinführen sollte. Es gab derart starke persönliche Kongruenzen, dass Johannes sich auch nicht scheute, das Drama mit dem bislang nicht erfüllten Kinderwunsch zu schildern. Die Trotters hatten schon eine Tochter...
 
  Ulrike von Trotter und Esther hatten von der ersten Sekunde die gleiche Wellenlänge. Spontan stellte sich irgendwie exakt jenes Gefühl ein, dass sie  nur mit Geschwistern gehabt  hatten.
  Anselm hatte für ein so kurzes Kennen ein merkwürdig intimes Gastgeschenk mitgebracht, aber da er so ein großartiger Erzähler war, bekam es eine transzendentale Dimension, die ein Leben lang halten sollte:
  Bei dem Geschenk handelte es sich um eine getrocknete dreipolige Frucht oder Nuss, die so mit gefärbten Knöchelchen und Bast verziert war, dass die Vorstellung von einem schwarzen Babypüppchen mit Bastrock und Kulleraugen entstand.
    Anselm war im vergangenen Herbst mit den Turkana, einem bisweilen nomadisierenden Stamm von Rinderhirten und Fischern, am Ufer des ehemaligen Rudolfsees (heute Lake Turkana) im Norden Kenias entlang gezogen. Er berichtete von ihren Kühen, die sich angewöhnt hatten am Ufer des Sees bis zu zwei Meter tief tauchend zu grasen. Von den spirituellen Fähigkeiten dieses Stammes und von einem Jesuiten-Pater, der mit ihnen lebte, aber keine besonderen Anstrengungen unternahm, sie zu missionieren. Jener versuchte den Einklang mit der Natur, in dem die Turkana lebten, lediglich ins Verhältnis zu seinem Gott zu bringen und überschritt dabei die eine oder andere Grenze zur Naturreligion. Unter anderem, in dem er auf die Wirksamkeit der Babyfetische schwor, die die Turkanamädchen an einem geflochtenen Bastfaden, den sie - durch Scham und Pofalte gezogen - am Steiß befestigt trugen. Um so einen Babyfetisch handelte es sich bei dem Mitbringsel.
  Die laut ausgemalte Vorstellung, Esther würde künftig mit dem Babyfetisch an ihrem prallen Hinterteil herumlaufen, verursachte vor allem bei den beiden Männern Heiterkeit, aber als Anselm den Fetisch am Wohnzimmerschrank befestigte, herrschte doch für einen Moment eine Art spirituelles Schweigen...
  Der Agnostiker in Johannes fand eine einfache Erklärung für das, was geschah, kurz nachdem Anselm den Babyfetisch aufgehängt hatte:
  Befreit vom Zeugenmüssen, entspannter, nun wieder sinnlich ausgerichteter Sex in einer neuen Umgebung und eine späte Reaktion auf die Pertubation hatten dafür gesorgt, dass einer seiner lahmarschigen Samen eine Eizelle von Esther erwischt hatte.  Der Fetisch war lediglich eine der klassischen Koinzidenzen,  die gerne von Parapsychologen als Belege für übernatürliche Vorkommnisse - also PSI-Phänomene - gesammelt wurden. 
  Je länger die in jeder Beziehung ungewöhnliche Schwangerschaft von Esther jedoch dauerte, desto häufiger wurde vor allem sein unterbewusstes Denken von einer Mischung aus Spiritismus und Transzendentalem beherrscht. Er nannte das bei sich den "Rosemary's-Baby-Effekt". Roman Polanski hatte ja in seinem Film über die Zeugung des Teufels die suggestiven Rezeptoren selbst unempfänglicher Menschen so lange gekonnt strapaziert, dass auch die dann auf seinen Spuk hereinfielen.
  Johannes war vom Charakter her ein Planer und Vorausdenker, den so schnell nichts aus der Bahn warf. Die nicht mehr erwartete Schwangerschaft Esthers bereitete ihm allerdings nicht nur Freude. Anselm und er hatten sich für den Mai und Juni eine umfangreiche selbst produzierte Reportagen-Reise vorgenommen und die Storys schon vorab verkauft, um von vornherein kalkulatorisch auf der sicheren Seite zu sein:
  Mehrere Themen auf dem indischen Subkontinent und dann von Kaschmir aus mit einem Jeep über die Pässe nach Ladakh zur Initiirung eines Rinpoches, eines inkarnierten Lamas der buddhistischen Rotkappen. Das waren keine Dinge, die man einfach absagen konnte - und wollte. Aber dann kam bei Esther der Verdacht auf, sie habe - nachdem der behandelnde Gynäkologe (der mit dem Pertubationsbefund) die Schwangerschaft bis über die zwölfte Woche als Hormonstörungen angezweifelt hatte - sie hätte auch noch in dieser Zeit Röteln gehabt.
  Für die praktizierende Katholikin Esther waren Überlegungen zu einem Schwangeschaftsabbruch auch unter diesen Vorzeichen nicht nur funktionell, aber sie reagierte praktisch und im festen Glauben als sie den flatternden Johannes quasi auf die nicht ungefährliche Reise mit  Anselm (weg)schickte. Sie würde das Kind austragen.
  Und dann wurde Martha am Morgen zum Heiligen Abend geboren. Johannes war klar, dass er wieder - wie bei Schuberts Winterreise - einem neuen Wegweiser zu folgen hatte. Ob er wollte oder nicht - er musste die Zeichen erkennen.
  Als seine Tochter Martha volljährig wurde, schrieb er ihr die folgende Weihnachtsgeschichte, weil er in einem persönlichen Gespräch nie in der Lage gewesen wäre, ihr die damaligen Gefühle zu beschreiben:

Wie das Christkind kam...
Weihnachten 1979

  Die Straße, die sonst so laut war und voller Leben, schien in staubiger, trockener Kälte erstarrt. Es würde wieder einmal - wie so oft in den letzten Jahren - keine weiße Weihnacht geben. Aber dem Paar, das da inmitten der Münchner Altstadt lebte, war das egal. Für beide hatte das Warten auf das Christkind - obwohl ja schon über dreißig - diesmal eine ganz besonders intensive Spannung. Und vielleicht gerade weil die Straße gemessen an den bevorstehenden Feiertagen die ganze Nacht so unnatürlich ruhig gewesen war, hatten sie eher unruhig geschlafen - wenn überhaupt...
  Etwas bahnt sich da an. Der Mann lag mit offenen Augen auf dem Rücken und starrte zu der hohen Stuckdecke hinauf. Die bevorstehende Veränderung beschäftigte ihn schon seit einigen Monaten. Er würde keine Risiken mehr eingehen können wie bei der Expedition im Frühsommer. Und ob die Wohnung in diesem millieugeschwängerten Viertel mit seinen Schwulen- und Lesben-Bars dann noch tragbar sein würde? Sie zu erwerben, war eine spontane Entscheidung gewesen , als die Gynäkologen das niederschmetternde Urteil gefällt hatten, dass ihre Ehe kinderlos bleiben würde. Auf jeden Fall hatte er schon mal die beruflichen Weichen auf sichere  Gleise gestellt. Er hatte sich auch schon vorher nicht vor der Verantwortung gedrückt, aber jetzt würde sie eine ganz  neue Dimension bekommen. Er würde alleine für alles aufkommen müssen. Diese Vorstellung schreckte ihn weniger, als die Furcht wie s i e damit fertig werden würde, auf einmal von ihm abhängig zu sein. Sie, die so erfolgreich und gerne die ihr anvertrauten Buch- und Schallplattenläden geführt hatte, die unabhängig und emanzipiert sein wollte...
  Liebevoll schaute er zu dem Gewühl aus Kissen und Decken hinüber, in dem ihre Gestalt nur zu erahnen war. Wie gelassen sie gewesen war in letzter Zeit. Gar nicht mehr das Springteufelchen, dass sich so herrlich über ihre "Scheissläden" aufregen konnte. Sie wollte noch nicht einmal über Gehaltsfortzahlungen oder Abfindungen streiten. Konsequent wie bei allen Entscheidungen hatte sie für sich konstatiert:
  Jetzt beginnt ein neues Leben - in doppelter Bedeutung der Worte. Ob sie wohl wach war, und ob ihre Grübeleien den seinen ähnelten?

  Dann war er wohl doch noch eingeschlafen. Jedenfalls schreckte er plötzlich hoch, als er ihre kleine Silhouette im hell erleuchteten Rechteck der offenen Schlafzimmertür stehen sah. Irre, was sie in diesen Monaten für glänzendes Haar bekommen hatte:
  "Ich glaub' , wir sollten uns jetzt mal langsam auf den Weg machen."
  "Ja, verdammt nochmal, warum hast du mich denn nicht geweckt?"
Er wollte aus dem Bett springen, verhedderte sich aber in ihrem Deckenberg und wäre fast unsanft auf das Parkett gekracht. Ganz ruhig! Nimm dir ein Beispiel an ihr! Versuchte er seinen Adrenalinschub mit der inneren Stimme zu kontrollieren. Er sprang in die erstbeste Hose, streifte ein T-Shirt über, zwängte seine Füße  in Cowboystiefel und griff nach einem überdimensionierten, selbstgestrickten Pullover.
  Na bravo! Die Leute im Krankenhaus würden nicht gerade den seriösesten Weihnachtseindruck von ihm bekommen. Egal. So stürzte er aus der Wohnung. Doch kaum war die schwere Eingangstür unziemlich laut für diese frühmorgendliche Stunde hinter ihm zu gekracht, war ihm klar, er würde nicht weit kommen. Ohne Schlüssel und Brieftasche...
  Er läutete Sturm, hämmerte an die Tür. Oh mein Gott! Warum macht sie nicht auf? Hoffentlich ist noch nichts passiert. Nach schier endlosen Minuten hörte er den erlösenden Türsummer. Oben stand sie, sich ätzend ruhig die prachtvollen Haare bürstend. Nur sie nicht mit deiner Hektik anstecken! Also ganz ruhig an ihr vorbei.
  "Ich hol' nur geschwind den Autoschlüssel Mäuschen. Bleib ganz ruhig."
  Hinter dem Treppenabsatz aus ihrem Blickwinkel verschwunden, raste er wieder fünf Stufen auf einmal nehmend auf die immer noch ausgestorbenen Straße hinaus. Gehetzt starrte er nach rechts, dann nach links. Wo hatte er das verdammte Auto nur geparkt? Er war doch noch am Vorabend so oft um den Block gekreist, dass er für alle Fälle möglichst nahe am Haus einen Parkplatz haben würde. Aber da stand die Karre nicht. War das nicht doch  vorgestern gewesen? Stimmt. Er hatte sich ja noch so aufgeregt, dass er schließlich zwei Blocks weiter im Bereich einer Baustelle geparkt hatte. Also sprintete er los. Außer Atem kam er in der Nebenstraße an, aber da war weder Baustelle noch Auto. So schnell waren die doch noch nie mit Bauen fertig geworden, und wenn sie den Wagen nun abgeschleppt hatten? Wenn es doch schon länger her gewesen war? Himmel, viel Zeit war nun nicht mehr zu verlieren. Also doch ein Taxi. Er hastete zurück. Trotz der bitteren Kälte war er jetzt in Schweiß gebadet , aber Lunge und Kehle brannten  von dem eisigen Smog. Gleichzeitig kroch eine Schreckenskälte in seine Glieder. Sicherheitshalber hatte er auf dem Rückweg der Block in umgekehrter  Richtung umrundet. Als er jetzt wieder vor der Haustür stand, hatte jemand seinen Wagen direkt schräg davor auf der anderen Straßenseite geparkt. Ja, die Nerven!

  Also wieder die Treppe hoch gehetzt und die Tür aufgeschlossen. Wo war die Frau nur? Keine Tasche gepackt, nicht fertig angezogen im Wohnzimmer harrend...
  "Schatz, wo bist du?"
  "Hier, im Badezimmer!"
  "Wie oft schon?"
 "Alle fünf Minuten."
 "Und dann kämmst du dich immer noch in aller Seelenruhe?"
 "Ist doch nicht weit!"
  "Jetzt komm schon - aber ganz vorsichtig!"

  Von allen trostlosen Orten, um auf Heiligabend einzustimmen, dürfte sich ein altes Krankenhaus gleich nach einem neuen Gefängnis als die trostloseste aller Alternativen einreihen. Seine Frau war längst inmitten eines Pulks stützender Schwestern und beruhigender Assistenzärzte verschwunden. Man hatte ihn in einen grünen OP-Kittel samt Käppi stecken wollen. Nein, er wollte lieber doch nicht dabei sein.
  "Ich kann nicht ertragen, wenn sie schmerzen hat", raunte er dem enttäuschten Professor zu, doch der durchschaute ihn sofort und lächelte mitleidig. Hätte er doch voraussagen können, dass die Tortur des Wartens auf einem zugig kalten Flur schlimmer sein würde...
  Und so wurde es denn auch. Es dauerte. Zwei bereits nadelnde Äste mit Plastik-Christbaumkugeln und verbogenen Goldgirlanden waren das einzige, was beim endlosen hin und her Marschieren an die mythologische Geburt des Herrn erinnerte. Hin und wieder segelte eine Nonne mit steif gestärkter Doppeldecker-Haube durch die Station - nicht ohne zu versäumen, dem herum stiefelnden  vermeintlichen Stadtstreicher einen Blick nächstenchristlicher Liebe gepaart mit vorweihnachtlicher Missbilligung zuzuwerfen. Bisweilen war der Wartende versucht, hinter die sich im Eifer des Personals ständig öffnenden und wieder zu rauschenden Automatik-Türen zu spitzen, um zu fragen, wie lang es denn wohl noch dauern könnte. Es dauerte.
  Endlich ward dem Manne die Zeit zu lang und er erlag dem unwiderstehlichen Charme eines voll gequalmten Wartezimmers, in dem nur ein weiterer Delinquent derselben Idee verfallen war - auf das Christkind zu warten.
  "Das Erste?" fragte der.
  "Bei Ihnen auch?" forschte der Neuankömmling?"
  "Na, das Sibate!"
  "Und dann rauchen Sie vor Aufregung immer noch eine nach der anderen? Ich habe wegen meiner Frau aufgehört. Aus Solidarität gewisser Maßen, weil sie so gerne geraucht hat und nun aufhören musste. Aber natürlich auch wegen des Passivrauchens."
  " I  hab' a schon siemmoi aufghört!"
  " Und sind Sie deshalb nicht dabei, weil Sie dann vor Aufregung an Nikotinmangel eingehen würden?"
  " Ja, weil's halt immer das gleiche is."
  "Das klingt aber abgebrüht und gleichgültig."
  "Na, des verstengas foisch. Jedsmoi hob i den Kittl scho o'ghabt, weil i halt dabei sei woit, oba dann ham's mi jedsmoi aussitrogn müassn, bevorr's übahauptz losganga is! Heit Nacht hot mei Frau  glei g'sagt i soll heruasbleib'n. S'gangat schneller ohne mi. Oba Sie? Warum san Sie net drinna?"
  "Ich kann nicht sehen, wenn Sie Schmerzen hat."
  " A so!"
  Der andere nutzte seine ganze Erfahrung als vielfach werdender und gewordener Vater, um die angespannte Stimmung zu entkrampfen, aber so ganz wohl war ihm dann auch nicht. Schließlich harrte er ja auch schon drei Stunden länger aus als der Neuling, obwohl er zuvor beteuert hatte, bei jedem neuen Kind ginge es schneller. Und so war er einigermaßen enttäuscht, als eine Schwester den Kopf hereinsteckte und sagte:
  "Herr Goerz, Sie können jetzt zu Ihrer Frau."
Nicht: "Gratuliere, Sie haben ein..." Wie im Film. Ob etwas passiert war? Plötzlich traten die Horrortage wieder in Erinnerung. Das mit den Röteln und den falsch berechneten Laborwerten. Die Tage der bangen Entscheidung, ob nicht ein Schwangerschaftsabbruch ratsamer gewesen wäre. Und schließlich jedoch der Mut machende Virologie-Professor, der seiner Sache sicher war, dass Titerwerte falsch  nach unterschiedlichen Methoden ermittelt worden waren.
  "Bekommen Sie das Kind!"
  Was, wenn nun doch etwas nicht stimmte? Aber dann sah er seine Frau. Sie sah erschöpft aber glücklich aus. Und der Professor sagte:
  "Gratuliere Sie haben ein Mädchen! Es hat sich offenbar im  Bauch Ihrer Frau besonders wohl gefühlt, denn es wollte nicht raus. Wie mussten mit der Glocke ein wenig nachhelfen. Deshalb liegt es nebenan im Wärmekasten - also nicht erschrecken! Gehen Sie nur zu ihm. Es wird ein glückliches Kind. Viele sagen, es sei nicht schön, an Heiligabend auf die Welt zu kommen. Aber die Menschen denken dabei immer nur an die Geschenke. Sie übersehen, dass an so einem Geburtstag alle Welt in festlicher Grundstimmung ist. Und später, wenn sie dann mal so richtig feiert, hat sie anschließen zwei freie Tage, um ihren Kater auszukurieren."
  Sprach's, und schob den staunenden Vater ins Nebenzimmer. Da lag es, ein kleines rosa Marzipan-Geschöpf, leise quäkend und sich rekelnd. Durch eines der Löcher in dem Kasten konnte der frisch gebackene Vater hinein fassen, die pummeligen Ärmchen tätscheln und mit dem Zeigefinger nach den winzigen Händchen stupsen. Und siehe da, schon klammerte sich die Kleine daran fest.  Der 24. Dezember 1979 war ein von der Sonne durchfluteter Tag, aber bitterkalt. Manch einer an diesem Vormittag hat sich bestimmt gewundert, weshalb dieses Riesenbaby von einem Mann nicht fror. Er spazierte mit dem Lächeln eines Honigkuchenpferdes auf dem übermüdeten Gesicht über den weihnachtlichen Viktualienmarkt und kaufte Dinge, die er noch vor Tagen als fürchterlichen Kitsch bezeichnet hätte. Obwohl er nichts getrunken hatte, konnte er leicht den Eindruck machen, er habe schon einige Glühwein intus. Aber die Leute konnten ja auch nicht wissen, dass er schon in aller Frühe das Christkind gesehen hatte. Es sei denn, er hätte ihnen schon davon erzählt. Ja, das waren gewiss nicht wenige gewesen.


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