Donnerstag, 13. Dezember 2012

Zahnlos al dente

Manchmal zermartert sich der Blogger das Hirn, was er als nächstes schreiben soll, und dann beißt sich so eine Geschichte quasi am Burgbriefe-Schreiber fest. Wobei ich mich fragen sollte, wie das bei der heutigen Thematik im wahrsten Sinne des Wortes hätte passieren sollen...

Hin und wieder brechen die Zweitbeste und ich spontan ins Hinterland auf, um vielleicht kulinarische Abenteuer zu erleben. Seit wir von der drohenden Altersarmut gelesen haben, machen wir das nicht mehr gar so oft, und wir legen mehr Gewicht auf den Abenteuer-Aspekt. Was heißen soll, wir vermeiden bewusst bereits bewährte, teurere Fress-Adressen und marschieren mal in eine Trattoria, die uns schon vom äußeren Erscheinungsbild keine gehobene Gastronomie signalisiert. 

- Dieser Tage geschehen in Pieve di Teco: Einem Örtchen, das vor der Krise um diese Jahreszeit ein wahrhaftiges Weihnachtsmärchen war. Man muss sich mal vorstellen, dass wir am hellichten Tag die berühmte Kirche mit den Tromp-L'Oeil-Effekten allein besichtigen, das Programm des Commedia-del-Arte-Theaters Salvini studieren und unter den Doppel-Arkaden der Hauptstraße flanieren konnten, ohne einer Menschen-Seele (außerhalb vorbeifahrender Autos) zu begegnen. Gut, es war Mittagszeit und obendrein schon ein wenig kalt. Aber in den offenen Bars und Restaurants war außer Personal auch niemand. Nur noch ein Teil der Kolonnaden, war mit Leuchtketten dekoriert, und nur jeder zweite von der Gemeinde in die Bögen vor den Geschäften aufgestellte Weihnachtsbaum war geschmückt.

Deshalb stürmten wir frustriert die erste Trattoria, in der wir im Hintergrund Leute an einem Tisch essen sahen. Ansonsten war auch dieses Etablissement leer. Wir hatten die freie Auswahl unter einem Dutzend eingedeckter Tische und entschieden uns für einen direkt an der Heizung. Allerdings war die nicht an.

Das Menü wurde uns mündlich vorgetragen. Zwischenzeitlich hatten wir als "erfahrene Scouts im kulinarischen Niemandsland" aber mitbekommen, dass die drei am anderen Tisch zwei Amerikaner waren, die mit einem Einheimischen Geschäftliches diskutierten. Zweierlei beruhigte uns: Ein Italiener würde Geschäftsfreunde niemals in ein Restaurant führen, indem man nicht halbwegs anständig essen kann. Und zweitens hauten sie rein, als wäre dies ihre letzte Mahlzeit ...

Wir hatten die Wahl zwischen Spaghetti Carbonara und Troffie al Pesto, gefolgt von entweder einem Braciole - also Schweinskotelett -  beziehungsweise Kalbsleber-Scheiben in Salbei-Butter. Als Primo nahmen wir die Troffie in der Hoffnung die Teigspindeln stammten - wenn schon nicht selbst gemacht - aus der Manufaktur der einst legendären Dorf-Pasticeria...

Als die Troffie kamen, waren wir die einzigen Gäste. Der Pesto roch sehr intensiv, war aber recht sparsam portioniert, so dass wir ihn mit dem hervorragenden Öl aus einer Plastik-Menagère verlängerten. Zwar waren die Troffie nicht selbstgemacht, aber der Pesto Genovese hatte einen derart prachtvollen und nussigen Basilikum-Geschmack, dass mir die Härte der Teigware gar nicht auffiel. Aber das war eben der Beginn des Dramas:

Die Zweitbeste hat seit jeher sehr empfindliche Kauwerkzeuge, während bösartige, frühere Expeditions-"Kameraden" von meinen gerne noch heute behaupten, sie könnten auch gerösteten Stacheldraht zermalmen, so lange dieser nur fein mit Sojasauce und grünem Koriander abgeschmeckt sei. 

Obwohl ich einen Mordshunger hatte, bot ich meiner Frau dennoch an, zu reklamieren. Aber sie schüttelte den Kopf und mümmelte tapfer weiter. Ich war schon einige Minuten mit meiner Portion fertig, während sie in etwa bei der inzwischen natürlich erkalteten Hälfte angelangt war. Da trat ein  Mann im Koch-Kittel in den Gastraum, um etwas aus dem Kühlregal zu holen.

Ich fragte ihn, ob er der Koch sei, und er nickte stumm. Als ich ihm erzählte, dass seine Troffie wohl eher molto molto al dente seien, nuschelte er etwas Unverständliches und zog sich anscheinend beleidigt zurück. Ich hingegen erstickte fast gleichzeitig an einem wahnwitzigen Lachanfall, weil ich versuchte, ihn mit der Serviette halbwegs zu dämpfen. Nun ist meine Stimme ja  leider nicht die leiseste, als ich der Zweitbesten den Grund verriet:

"Weißt du, weshalb die Troffie so sehr al dente waren? Der Koch hat keine Zähne!"

Dann kam der Secondo, der uns absolut überraschte. Die hauchdünnen Kalbsleber-Scheiben a la minute angebraten, waren stimmig mit der burro di salvia und stellten auch meine Frau beim Kauen vor keinerlei weitere Probleme. Und ich kann mich wirklich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal ein Schweinskotelett von derartiger Qualität vorgesetzt bekommen habe: rosa und saftig (eben nicht wässrig!) mit einem vom dosierten Einsatz des Grills erhöhten Fleischgeschmack. Der absolute Hammer aber waren die handgeschnitzten patate fritte: goldgelb, knusprig und mit  frischem Fett vorsichtig frittiert, waren sie ein  derartiges Geschmackserlebnis, dass wir  - trotz drohend weiter wachsendem Hüftgold - die ganze Riesenportion vertilgten..

Und dann tauchte auch der Koch wieder auf und fragte nach dem Rechten. 
Welch Wunder! Nun hatte er auf einmal Zähne und sprach zu unserer weiteren (meiner mir besonders peinlichen) Überraschung ein manierliches Deutsch mit leichtem Ossi-Tonfall. Leider sah ich nirgends ein Loch, in dem ich mich hätte verkriechen können.

Wie wir beim Espresso erfuhren, hatte er 20 Jahre in Sachsen-Anhalt gearbeitet, bevor er in die Heimat zurück gekehrt war...

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