Freitag, 7. Dezember 2012

Strisce

Wer sich als Ausländer eine geraume Zeit im italienischen Straßenverkehr tummelt, sollte bald zu Erkenntnis kommen, dass Straßenschilder mit Beschränkungen und sonstige Versuche fahrerischen Wildwuchs einzudämmen, von den Einheimischen zwar interessiert zur Kenntnis genommen, vielleicht sogar wohlwollend erörtert, letztendlich aber ignoriert werden. Allenfalls werden derartige Gebote als Orientierungshilfe akzeptiert.

Das erschien gerade uns Deutschen nicht immer so. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als unsere Eltern die Pseudeo-Chianti-Korbflaschen für die "italienischen Momente" daheim noch als zu betropfende Kerzenhalter reaktivierten. In jener weitestgehend noch Autostrada freien Zeit lauerten die Carabinieri oder Polizotti der Polizia Stradale - so genau weiß auch bis heute keiner von denen , wer gerade zuständig ist - hinter jeder unübersichtlichen Kurve darauf, ob so ein Trottel von nördlich der Alpen den durchgehenden weißen Strich in der Mitte überfuhr oder zumindest ihn mit den linken Reifen berührte. Dann gab es nämlich unverständliche Diskussionen und saftige Lira-Summen als Strafe; meist begleitet von der Geste, bei der Zeige- und Mittelfinger erst auf die Augen und dann auf den Strich gerichtet wurde.

So etwas prägt sich ein, und die heutige Generation Deutscher Italien-Fahrer zeichnet sich deshalb wohl gerne dadurch aus, dass sie besserwisserisch Schlangen züchtet, weil sie die 30 km im Bereich einer längst nicht mehr existenten Baustelle auf den Tacho-Strich genau einhält.

Mein wirklich bester italienischer Freund Maurizio fasst diese Eigenschaften bemerkenswert analytisch zusammen:
Wir Deutschen hätten zwar inzwischen gelernt,  in der Formula Una  und auf dem Moto tüchtig und gar meisterlich im Kreis herumzufahren, aber für die situationsbedingte Interpretation im Straßenverkehr hier fehle es uns einfach an Kreativität.

Als Beispiel einer besonderen Kreativität einheimischer Autofahrer führe ich dann immer gerne ein persönliches Erlebnis auf: 

Zwischen Pieve di Teco und Imperia gibt es einen kilometerlangen schnurgeraden gut beleuchteten Tunnel, in dem gleich zwei parallele Streifen zwischen  den beiden Fahrbahnen und erleuchtete 80km-Schilder alle zweihundert Meter den Eindruck erwecken könnten, dass Überholen hier nicht nur verboten, sondern auch gefährlich wäre. Das interessiert aber die Ungeduld der Herzen nicht. Einmal überholte also so ein Heißsporn eine Kette von etwa 20 Fahrzeugen in diesem Tunnel, der die Tücke einer Mulde hat, in der Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge bisweilen verschluckt werden. So war es auch in diesem Fall. Der Überholer quetschte zwei, drei Fahrzeuge vor mir quasi an die Tunnelwand, um dem frontalen Zusammenstoß auszuweichen. Alle waren wirklich in Lebensgefahr. Und wofür? Kurz hinter dem Tunnel gibt es eine Ampel, die eine lange Rot-Phase hat, und da stand der Mordgeselle. Ich bin normaler Weise keiner, der andere mittels seiner Körperfülle einschüchtert, aber diesmal stieg ich aus und rüttelte den Panda unter Beifallsgehupe seiner Landsleute kräftig hin und her. In einem der zur Seite gedrängten Fahrzeuge saßen vier Kinder - auf dem friedlichen Heimweg vom Weihnachtsmarkt in Pieve di Teco...

Nicht, dass wir Deutschen nun die vernunftbegabtesten Verkehrswesen sind: Ich denke da an die Heckscheiben-Aufkleber "Ich bremse auch für Tiere", den ganz besonders Geschmackslose dann mit "auch für Senioren" verfälscht haben. Aber kann man sich vorstellen, dass diese Geschmacklosigkeit hier in Italien sogar Sinn machte?

Die Zebrastreifen,die Strisce der Fußgänger-Übergänge - selbst die, die zusätzlich noch ein Hinweisschild am Straßenrand haben, gehören zu den meist missachteten Geboten im italienischen Straßenverkehr, obwohl auch für Fußgänger hier  die absolute  Precedenza gilt. Am Anfang haben wir uns noch über die beinahe unterwürfigen Dankbarkeitsbekundungen jener gewundert, die nach zwanzig vorbeirasenden Autos endlich die Straße überqueren konnten, nur weil wir ordnungsgemäß stehengeblieben waren. Oft wurden diese Gesten von einem raschen Blick aufs Nummernschild und einem Lächeln der Erkenntnis begleitet. Was uns ja auch irgendwie schmeichelte. Aber da wussten wir auch nicht, dass hier das Bremsen vor den Strisce für korrekte Autofahrer nicht ganz ungefährlich ist:

Heute hielt die "Zweitbeste" - bei weitem nicht ruckartig - vor einem der tückischsten Zebrastreifen in Porto Maurizio, um einen älteren Herren endlich hinüber zu lassen. Der flitzende Twen Filomena hinter uns, schien derlei Kenntnisse im Fahrunterricht nicht erworben zu haben, denn sie krachte uns ganz schön ins Heck.

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