Donnerstag, 20. Dezember 2012

Friedland

Der erste Chef meiner Frau hatte einen Ordner auf dessen Rücken das Folgende stand:
"Ja, mach nur einen Plan!"
Die älteren unter meinen Lesern werden sich noch erinnern, dass es solche Ordnungshüter aus Pappe und Metall mit einem von Leitz patentierten meist alsbald verbogenen Schnellspann-Bügel innen gab, in dem man gelochte Seiten abheften konnte... Also, in  so einem Ordner sammelte der Mann alle nicht realisierten Ideen und Projekte. Ich fand das eine wunderschöne Idee, als ich ihn dann später kennen und schätzen gelernt hatte.

Bei mir hieß die Nachahmung einer derartigen Ablage dann "Friedland", was - meinem Wesen gemäß - viel pessimistischer und zynischer klang, weil Namensvorbild ja das traurige "Auffanglager Friedland" war, das alle Hoffnungsvollen durchlaufen mussten, die von hinter der Mauer oder dem "Eisernen Vorhang" in die BRD rüber gemacht hatten...

Wenn es eines Grundes bedurfte, die Digitalisierung zu bejubeln, dann ist es allein der Umstand, dass all meine gescheiterten Pläne, meine überproportionalen Ideen und Hirngespinste hinter dem Klick auf dem gelben Ordner-Icon mit dem immer noch geltenden Namen "Friedland" verschwunden sind. Ich will lieber nicht gucken, aber mittlerweile dürfte sich da eine Datenmenge angesammelt haben, die spielend an die der ersten Mondlandungs-Mission heran gereicht hätte.

Nach langer Pause muss in diesen Ordner wieder was hinein: Die Pause war dadurch entstanden, dass ich mir selber die Vorgabe gemacht habe, wer keine Träume und Ziele mehr habe, solle auch keine Pläne mehr machen. Hätte ich dieses gedankliche Exil doch bloß nicht verlassen!

Weil ich den Sommer in München verbringen musste und deshalb mein Fischerboot nicht nutzen konnte, hielt ich es für eine gute Idee, Pläne für eine herbstliche Fang-Saison zu machen. Das Boot ging für teures Geld in die Werft, denn ich wollte endlich mal wie die anderen Kumpel Totani fangen - den für mich schmackhaftesten Kopffüßer des Mittelmeeres...

Dreimal darf jeder Leser raten, wie oft ich in diesem Herbst ausgelaufen bin. Richtig! Nicht einmal! Entweder war das Licht zu klar, oder es herrschten Windstärken, die meine Nussschale bei Schleppfahrt aufs offenen Meer hinaus getrieben hätten. Davon einmal abgesehen, dass der Seewetterbericht so häufig mare mosso - also höchsten Wellengang - angekündigt hatte, wie selten im hier normalerweise eher stabilen Herbst.

Mein Frust, keine Totani selbst gefangen zu haben, könnte Euch vielleicht Lust bereiten und mir mal wieder hohe Zugriffszahlen in der Seitenstatistik meines Blogs bescheren. Deren Kurven schlagen nämlich immer dann am höchsten aus, wenn mein roter Hummer erscheint, und ich ein neues Koch-Experiment zum Besten gebe.
Also hier ist er: Ich konnte es nicht länger aushalten und habe gestern beim Fisch-Tandler Totani - gekauft.

Totani ripieno in umido
Gefüllte Totani im eigenen Saft

Für alle Besserschmecker hier eine kleine Vorbemerkung. Vor allem für diejenigen, die meinen, bei den diversen Mollusken, die der Volksmund als "Tintenfische" bezeichnet. gäbe es keine Geschmacksunterschiede, weil die Weichtier-Eiweiß-Substanz  in deren verzehrbaren Körpern sich ja im Prinzip immer gleiche.
Meine herausgeschmeckten Unterschiede möchte ich nicht als Dogma, sondern als "persönlich" verstanden wissen:
Der Polpo mit seinen dicken, bei richtigem Kochen, Schwamm weichen Fühlern, der hier gerne als Salat angerichtet wird, schmeckt nussig und harmoniert am besten mit nicht erhitztem Extra Vergine. Die Portugiesen zum Beispiel rösten ihn am offenen Feuer bis er verschmort wie verbrannter Gummi und auch so schmeckt (Lulas)...
Die Kalmare, die hier meist als Calamari frittiert oder gegrillt auf dem Teller landen, brauchen diese Hitze und die damit verbundenen Aromen unbedingt, denn ihr Eigengeschmack ist allenfalls ein sanfter Träger. Die Asiaten bereiten sie deshalb scharf gebraten im Wok mit Soja, Chilli und Koriander zu.
Die Sepia (siehe frühere Posts) nimmt durch ihre Tinte einen Sonderstatus ein, aber verändert ihren Geschmack je nach der von ihrer Größe abhängigen Zubereitungsart. Ungeputzte Seppioline, die fangfrisch in ihrer Tinte schwimmen, müssen nur leicht geschmort werden, um zur Polenta oder frischer Pasta als einzigartige Delikatesse dargereicht zu werden, während große Exemplare ohne Tinte ein nussiges Meeresfrüchte-Schnitzel ergeben.
Auf den Todarodus sagittatus, wie der Totano zoologisch heißt, stehe ich allein schon deshalb, weil er so appetitlich rotbraun daliegt und schnell geputzt vielseitig zubereitet werden kann. Eine einfache Strand-Kneipe auf Elba hatte sich einst beispielsweise darauf spezialisiert, nur die Körper von großen Exemplaren auf spezielle Weise einzuritzen und sie dann in einer feuerfesten Form ohne weitere Zutaten mit in den  mit Holz befeuerten Pizza-Ofen zu schieben. Wenn diese Schnitte wie weiße Wunden aufbrachen, war das ein Zeichen, dass der Totano gar war. Dann kam auf sein noch  heißes, zischendes Fleisch, frisches Öl, Petersilie, Peperoncino, Limonensaft  und grobes Meersalz. Sensationell!!!  Da reicht selbst mein heutiges Rezept nicht heran, aber dafür kann es ein Hingucker mit Gourmet-Potenzial sein, weil ich es grundsätzlich vom  hiesigen Traditionsrezept abweichend zubereite.

Zutaten für zwei Personen:
Acht Totani mit einer Balg-Länge von etwa acht Zentimetern. Zwei große für Salat geeignete Kartoffeln. Eine große Bio-Möhre, eine Ingwerwurzel in Daumengröße, eine junge Zwiebel, ein Teelöffel gestrichen mit Peperoncino, zwei dicke Zehen roten Knoblauchs, eine Limone, ordentliches Extra Vergine (muss wegen des Erhitzens kein Luxusprodukt sein),  grobes Meersalz, entweder frische Kräuter nach Gusto oder Fine Herbes de la Provence. Für den umido später zwei große zerhackte Fleischtomaten und zwei Tassen Tiefkühl-Erbsen.

Zubereitung: 
Den Totani die Köpfe abschneiden, die Bälge ordentlich ausnehmen und waschen, die Köpfe von Augen und Schnäbeln befreien. Die Fangarme werden dann klein gehackt, und der dicke Kranz vom Kopf wird später als Beiwerk mitgeschmort. Kartoffeln, Möhre, Ingwer, Zwiebeln, Knoblauch per Hand  in gleich große Stückchen zerhacken wie die Fangarme. Alles zu den Fangarmen in die Schüssel geben, mit ordentlich Öl übergießen, Peperoncino, Kräuter und Limonensaft hinzugeben und alles kräftig vermengen. Ein paar Minuten durchziehen lassen, dann einen gestrichenen Esslöffel braunen Zucker und zwei gestrichene Teelöffel Meersalz hinzugeben und erneut durchmengen. Sich von der Flüssigkeit, die sich schnell bildet, nicht irritieren lassen. Dann mit einem geeignet großen Löffel das Einfüllen und Stopfen der Bälge beginnen. Sie müssen richtig prall sein, ehe sie zickzack durchstochen mit Zahnstochern verschlossen werden.
Die gefüllten Totani  ohne weiteres Öl in eine tiefe Schmor- oder Wok-Pfanne legen und den Rest der Fülle mit der angesammelten Flüssigkeit drüber geben. Dann bei kleiner Flamme den Deckel drauf!
Innerhalb von kurzer Zeit bildet sich soviel Flüssigkeit, dass sie mit einer Kelle abgeschöpft werden muss. Diese Flüssigkeit wird in einem geeigneten Gefäß bereit gehalten. Ist etwa die Menge einer großen Kaffeetasse abgeschöpft, wird ein Glas des Rotweins zum Ausgleich in die Pfanne  gegeben, den man auch zum Essen gewählt hat (kein Billig-Rotspon!!!). Erst dann beginnt unter sachtem Zuschütten der abgeschöpften Flüssigkeit der Reduzierungsvorgang bei höherer Temperatur. Beim Kochen dabei bleiben und die Totani immer wieder wenden.
Als Gar-Richtzeit wären 45 Minuten angemessen, aber das richtige Gefühl muss man selbst entwickeln. Lässt sich aus einem Probestück der Zahnstocher entfernen, ohne dass der Balg die Form verändert oder gar reißt, ist auch die richtige Sämigkeit für das Hinzugeben der Tomatenwürfel und der Piselli erreicht. Der kleine Kälteschock verhindert auch, dass die Bälge durch Überhitzen reißen. Dann kann der Herd ausgemacht werden, damit Tomaten und Erbsen ihre Farbe nicht verlieren. Das Auge isst schließlich mit!
Für eine Vorspeise reicht als Beigabe für den umido frisches Brot. Als Hauptgang würde ich die Totani auf  angerösteter Polenta servieren. Übrigens der Ober-Gag ist das, was ich den "Saumagen-Effekt" zum Anrichten nenne: Die Totani lassen sich nun nämlich auch in feine Scheiben  schneiden, ohne auseinander zu fallen...

Buon appetito!

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