Montag, 3. Juli 2017

Healthfood folgt auf Casareccia

Für mehr als einhundert Jahre war das "La Patria" an den Güterbahn-Gleisen im Hafen von Oneglia die Anlaufstelle für unverfälschte Ligurische Gastfreundlichkeit. Als die Gleise  noch lagen, und der Hafen mit seinen Kränen auch am nördlichen Kai eine industrielle Romantik vermittelten, leuchtete das Schild "Seit 1897 originale Küche"  bis hin zur Capetanaria.
Dann verlor der Hafen seine Bedeutung und seine Funktion schrumpfte auf den Westkai, wo gelegentlich Frachter Oliven-Granulat aus Nordafrika löschen oder Megajachten, die wohl immer noch preiswerten Liege-Gebühren nutzen.
Mit dem Wandel zur Zona Divertimento und der immer stärkeren Kokurrenz zu den Jachten passender Restaurants wurde das "La Patria" im wahrsten Sinne des Wortes in die Ecke gedrückt.
Heute sind wir dankbar, dass wir das Ende seiner Blütezeit noch miterleben durften. Die Zuppa di Pesce kam in riesigen Pfannen aus poliertem Stahl mitten auf den Tisch und trug uns mit ihrem Duft aufs Meer hinaus. Das ureigene Rezept für die Spaghetti alle Vongole Verace habe ich dem alten Chef geklaut.  Er schwitzte mit dem Sud der Muschelm auch noch vorgekochte und klein gehackte Tentakel von Totani und Kalamari an.

Diese lange Einleitung war ich der Trattoria schuldig. Die drei Nachfolger-Wirte versuchten mit veränderten Konzepten und höheren Preisen den verlorenen Boden wieder gut zu machen, dann verstarb das "Vaterland". Zwei Jahre oder länger starrten einen verschmierte Fenster an.
In diesem Frühjahr sahen wir an gleicher Stelle auf einmal ein neues Restaurant, das an Wochentagen mittags voll von jungen Leuten war. ORTO heißt  das neue Restaurant und wirbt mit Healthfood. Was das Publikum erklärt. Junge Männer mit   Sackbärten,geknöpfte T-Shirts und Hosenträgern an den Jeans. Junge Frauen mit u halbseitigen Udercut-Frisuren im Gipsy-Styling. Das ganze sah aus wie der Set für einen Hipster-Film.
Wir haben uns nicht getraut, uns dazu zu setzen.

Am vergangenen Samstag war Orto bis auf einen Tisch leer. Bei so heißem Wetter  ist das von drei Seiten umwehte Schatten-Eck mit dem tollen Blick auf den Hafen ideal. Die Fürsorglichste sagte:  "Da gehen wir jetzt hin!"
Ich meinte: "Du hasst doch dieses Ultimative."





Und dann  saßen wir da und schauten auf eine bunte Karte von einem anderen Stern Das noch junge Personal war lässig, aber so alte Gäste wohl nicht gewohnt. Die Frage, ob ich wohl was frisches Biofischiges haben könnte, wurde mit staunendem Unverständnis aufgenommen. Hinzu kam die junge Frau vom Wirt samt zweijähriger Tochter auf dem Arm, die uns 2 mit Seifenblasen befeuerte. Mehr und mehr gefiel mir dieses Restaurant, obwohl sie meinte, Fisch und Fleisch gäbe es nur am Abend.
Aber ihr Marito käme gleich. Und da kam er Fuß-Sack mit Zwirbel-Bart. Ein Abbild seiner Kundschaft? Mitnichten. Es stellte sich heraus, dass er der Sohn der weitberühmten Kräuterhändlerin aus Oneglia - also vorbelastet ist.  Und ja, er werde mit dem Chef reden, ob ein Vorgriff aufs Abend-Menü denkbar sei.

Sekunden später kam er wieder. Ob denn Spaghetti mit Gamberi Rossi di Sanremo genehm seien? Und weil der Chef wissen wollte, wie der hartnäckige Gast die Offerte aufnähme, schaute er gleich selbst nach.
Ich machte den Daumen hoch für das angemessene I like, denn auch der Chef hatte einen Stylisten-Fußsack und Designer-Kochklamotten an.

Dann Ging es ans Bestellen: Meine Frau war weniger kompliziert und bestellte, was ihr vorgeschlagen wurde; große, aus Bio-Produkten hausgemachte Pasta in Muschel-Form (Conchiglie) in Pesto Genovese - also mit grünen Bohnen und Kartoffeln. Als ahnte sie, dass sie die riesige Portion, die dann kam, nicht schaffen würde, orderte sie keine Antipasti.

Ich war weniger zurückhaltend und nahm die empfohlene Buddha Bowl als Vorspeise zu den Sanremo-Gamberi. Buddha-Bowling for the big Buddha?

Es kam eine tiefe  Schüssel, die vom Aussehen her all meine  Befürchtungen übertraf:
fein geraspelter Rotkohl, gebratene Tofuscheiben, Kichererbsen, gekochter Bulgur-Weizen. Alles schön sauber getrennt, damit auch jede Bio-Komponente zu sehen war.
Aber  dann stellten sie ein Olivenöl der Extraklasse dazu. Schon beim Untermischen entwicklete sich ein Duft, der dann vom Geschmack des Ganzen noch übertroffen wurde. So schnell lösen Geschmacks-Knospen Vourteile auf.
Auch, wer gedacht hat, Pasta Pesto schmecke immer gleich, wäre überrascht gewesen. Den Unterschied machten allein schon die selber gemachten Riesen-Conchiglie. Sie hatten eine nussig aromatische Bissfestigkeit,  die viel Oberfläche für einen ehrlichen Kräuter-Geschmack boten. Ich musste der Fürsorglichen helfen,
Dennoch schaffte sie den Superbowl nicbt.

Für 18 Euro kamen meine Spaghetti mit dieser ausgemachten  Meeres-Kostbarkeit.
Die Roten aus Sanremo sind von Haus aus ohne Kochen rot. Gourmets schätzen den rohen Geschmack dieser Tiere,  die vorne am Kopf wie am Schwaz fedrige Flossen haben. Ich bekam beides. Den Sud aus den Karkassen und ein japanisch filettiertes, rohes Exemplar on top. Küchenmeisterliche Performance!

Das Teuerste am Essen war ein Vermentino von der umfangreichen Bio-Weinkarte, der geschmacklich den Speisen und der Hitze ideal temperiert angepasst war.
Kann man durchaus empfehelen

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