Montag, 27. Juni 2016

Der Gecko in der Maske


Die Fähigkeit, mit Verlust und Trauer umzugehen, zeitigt merkwürdige Situationen. Im Kindesalter, da es schwer ist, ein ewiges Verschwinden zu akzeptieren, genauso wie im Alter, wenn das eigene Ende naht. Als mein Vater starb, nahm das mein Sohn, der ein besonders Verhältnis zu seinem Opa hatte, ohne besondere Regung auf. Ein paar Jahre später stürmte er Tränen überströmt in die Küche und war gar nicht mehr zu beruhigen. Wir dachten, es sei etwas schreckliches passiert, aber wenige Augenblicke später war uns klar, dass er erst zu jenem Zeitpunkt begriffen hatte, dass er seinen Großvater auf immer verloren hatte.

Ich habe bis heute immer noch ein schlechtes Gewissen, dass ich vom Tod meiner Eltern weniger betroffen war als vom Tode meines Hundes. Inzwischen ist mein Verhältnis zum Tod und zum Sterben noch drastischer geworden. Ich gehe auf keine Beerdigung mehr und habe auch verfügt, dass kein Aufhebens in Form von Grab und Sarg um meinen Tod gemacht wird. Wieso dieses triste Thema?

Als wir am Samstag beim Feiern einer neuen Dorf-Bewohnerin aus der Schweiz waren, kam die Bürgermeisters-Witwe gebeugter als je und verspätet. Ihr war nicht nach Feiern zumute. Soeben war ein Ur-Einwohner der Gemeinde verstorben.

Dede war ein freundlicher älterer Herr an die 90 gewesen, der immer vor dem aufgelassenen Alimentari saß und Vorbeifahrende grüßte. Meine Freundin und Nachbarin Petronella brach bei der Nachricht in Tränen aus. War Dede doch einer der Wenigen gewesen, der vor zehn Jahren in ihrer schwersten Zeit im Dorf zu ihr gehalten hatte. Wir waren nicht so betroffen, aber gerührt, weil wir ja von seiner Güte erfahren hatten.

Zum Zeitpunkt der Nachricht hatten wir auch einen anderen dramatischen Todesfall zu verkraften, und das erklärt vielleicht meine eingangs formulierte Überlegung:

Eine der Erinnerungen aus unserem facettenreichen Leben hängt an der Mauer unserer Dachterrasse:
Eine Replik-Maske aus den Rufolo-Gärten an der Amalfitana. Sie ist Symbol für unsere Italien-Liebe, und seit wir auf der Burg sind Wohnung für viele Gecko-Generationen, die sich sogar einen zusätzlichen Zugang erknabbert haben, den nur "Insider" kennen.

Seit drei Jahren beobachteten wir das Wachstum unseres Gecko-Königs wie stolze Eltern. Er war heuer auch früher draußen als seine Kollegen, die in den Trockenmauern noch der Kälte trotzten. Vielleicht hatte ihn das arglos gemacht. Mein Frau und ich hatten seit Tagen schon einen Falken ausgemacht, der ungewöhnlich nahe über dem Borgo kreiste und vermutlich seinen Horst hier hat. Ein bildschönes Pracht-Exemplar, bei dem sofort Bilder von Falknerei in der Phantasie hochkommen.
Der Goldene Gecko Oil on Canvas 2010
Auch unser Gecko war ein Bildschöner mit gelb umkreisten schwarzen Punkten und einem nicht allzu plumpen Körper. Aber immerhin, er war wieder deutlich größer und brauchte nun etwas länger, um in unsere Maske zu kommen. Zu lange. Der Falke musste ihn bereits einige Zeit beobachtet haben, denn der Zeitpunkt war genau abgepasst. Lautlos wie Graf Dracula schwebte er heran, landete auf der Maske und packte den Gecko mit ausgebreiteten Schwingen.

Natur - so wunderschön und doch so grausam. Das selbst Erlebte lässt uns meist mehr trauern als der täglich Todes-Horror in den Nachrichten. - Aber so sind wir Menschen...

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