Donnerstag, 23. Juni 2016

Alltags-Realität

In Reichweite von Espresso und Wein aus der Bar daneben sitzen vor der unteren Ampel in Pontedassio bei schönem Wetter immer zwei ältere Herren auf einer Bank - und rühren sich nicht.
Meist starren sie geradeaus. Würden sie ihre bunte Sportkleidung nicht gelegentlich wechseln, wir könnten sie für eine Lebend-Installation nach dem Vorbild von Duane Hanson  halten.

Nicht jeder hat den bereits 1996 verstorbenen US-Künstler auf dem Schirm, obwohl fast jeder schon in Magazinen und Zeitungen eines seiner originellen Werke gesehen hat. Hanson gilt als einer der Wegbereiter der Pop-Art. Seine aus Kunststoff lebensgroß hergestellten, farbigen Skulpturen sind so täuschend echt, dass Museums-Besucher schon mal ein Gespräch mit ihnen anfangen. Das nennt die Kunstwelt Hyper-Realismus.

Nun stellen wir jedesmal,  wenn wir vor der Ampel warten müssen, Überlegungen an, wer dafür sorgt, die beiden Pontedassier so ruhig zu stellen. Ist es der Barbesitzer, der einen Werbevertrag mit den Beiden hat? Auf der Basis von Drinks gegen Sitzen. Oder ist es gar der ehrgeizige Kunstverein der Valle D'Olio, der Hanson noch eins drauf setzen will?

Die Frau am Steuer hat schon gemutmaßt, dass sie eingebaute Kameras trügen, um damit jedes durch den Ort fahrende Auto zu registrieren. Da haben wir dann sogar ein schlechtes Gewissen, weil wir nie die aufwendige Umgehungsstraße mit dem langen Tunnel benutzen.

Seit gestern Nachmittag vier Uhr, wissen wir jetzt: Die zwei sind auch nur Menschen.
Ein stark geschminktes Mädchen mit Piercings in mega
kurzen, abgeschnittenen Jeans und üppig ausstellendem Top - zudem Bauch frei - stöckelte laut telefonierend an den Herren vorbei.

Und unisono drehten die beiden ihren Kopf und folgten dem wohlgeformten Wackel-Hintern mit jenem Hauch der Erinnerung, der eben den Blicken älterer Herren zu eigen ist:

Herr! Du hast mir das Können genommen, so nimm mir doch auch das Wollen!

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