Donnerstag, 9. Juni 2016

Die Macht der Gewohnheit

Gestern haben in Italien die Schulferien begonnen. Das ist ein Tag, an dem wir normaler Weise nicht in die Stadt hinunter fahren, aber gestern war eben auch Markttag. Den versäumen wir nur bei absolutem Chaos-Wetter.

Dass wir im Stau standen, lag aber nicht an der Koinzidenz beider Ereignisse, sondern daran, dass wieder mal eifrig an dem mehrspurigen Bahn-Viadukt über den Impero gebaut wurde; quasi der BER von Imperia. Das Schild, welches darauf hinwies, dass das rechte Ufer teilweise nur einspurig zu befahren war, hatte in etwa Handtuch-Größe und wäre nur zu lesen gewesen, wenn die Fahrer scharf auf die Bremsen getreten wären. Logisch, dass meine "Steuer-Frau", das Teil sowieso ignoriert hätte.

 Einmal mehr erwies sich, dass die Städte an der Costa dei Fiori im Notfall keine Evakuierungs-Möglichkeiten bieten, weil deren alte Straßen-Struktur durch den Bau der Autobahn nicht verändert wurde. Sonstige Stadt-Umfahrungen gibt es nämlich nicht. In Ventimiglia und Sanremo kommen da noch die Sperrigen Oberleitungs-Busse hinzu.

Einmal stand ich bei meinem Computer-Service nur zehn Minuten legal in einer Einbahn-Gasse. Als ich herauskam, war nicht nur mein Auto weg, sondern alle Fahrzeuge, die in dieser Gasse geparkt hatten. Stattdessen kroch ein unendlicher Lindwurm aus Schwerlastern durch die Hafen-Region, weil ein Unfall die Autobahn Richtung Genua blockiert hatte...

Ich vermute, gestern war die Abwesenheit jeglicher, regelnder Ordnungskräfte darauf zurückzuführen, dass die diversen Polizeien - nämlich Policia Stradale, Policia Municipale und Carabinieri - über die aktuelle Zuständigkeit diskutierten. Soll natürlich ein Witz sein!

Tatsächlich war es punkt zwölf. Ein Zeitpunkt bei dem jeder anständige Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes aus Gewohnheit den Griffel, den Polizei-Knüppel oder das Funkgerät oder sonstige Utensilien fallen lässt, um bei Mama am Mittagstisch zu sitzen. Da auch alle anderen im Verkehr pünktlich am heimischen Tisch sitzen wollten, kümmerte sich niemand um den Gegenverkehr jener Menschen, die die Äsung am rechten Impero vornehmen wollten. Sehnsüchtig schauten wir ans andere Ufer, auf dem es diverse Umgehungen gibt.  Der Linienbus vor uns steckte genauso fest, wie alle anderen, weil ja die Zufahrten zum Hospital alle vorfahrtsberechtigt sind.

Aber jetzt kommt es: Während an unserer Kreuzung in München bei der geringsten Verzögerung ein wütendes Hupkonzert beginnt, herrschte hier und auf dem Weg über die Brücke zur Piazza Dante, der auch dicht war, absolut geduldige Ruhe. Um nicht zu sagen Schicksals-Ergebenheit.

Was ist nur aus den italienischen Autofahrern geworden? Giuseppe Farina, Alberto Ascari und Tazio Nuvolari waren die Helden meiner Kindheit, und auf unseren Reisen bewunderte ich den schneidigen, urbanen Fahrstil der Italiener, der ohne Regelung aus zu kommen schien.  Seither gab es keine Formel-1-Weltmeister mehr, aber jede Menge Motorrad-Cracks vom Stiefel. Es ist einfach so, dass die Motorini-Fahrer den wilden Part im Stadtverkehr übernommen haben, und die waren gestern fein raus. Allerdings zahlen sie auch einen hohen Blutzoll, wie man den vielen Kreuzen am Straßenrand allenthalben ablesen kann.          

Die Macht der Gewohnheit hielt tatsächlich nur eine halbe Stunde an. Wie durch ein Wunder lösten sich dann alle Knoten, und wir schafften es noch rechtzeitig auf den Markt - und zum Mittagessen...    

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