Sonntag, 30. August 2015

Ertappt!

Als es in der vergangenen Woche wieder einmal für 24 Stunden kein Wasser gab, zeigte es sich, dass unsere "Seelensammlerin" Signora E. weit mehr ist. Sie sammelt sie nicht nur, sie kümmert sich auch um sie und fühlt sich verantwortlich. Beruhigend wirkte sie auf ihre zornige Nachbarschaft ein, und bot jedem zumindest für den Kaffee oder zum Kochen der Pasta  aus der Zisterne in ihrem Garten mit ihrem spärlichen Kochgeschirr Wasser-Rationen an. Und das mit nur einer Hand, weil die Reste von ihrem rechten Unterarm ja in einer Prothese stecken. Und die Natur-Stufen hinunter sind auch nicht ohne und erfordern vorsichtiges Balancieren.

Für mich ist sie ein typisches Beispiel für das Sprichwort "Glaube kann Berge versetzen". Vom Alter nahezu unschätzbar mit ihrem Mädchen-Pagenkopf, entwickelt sie Beharrlichkeit und Energie, Strenge und Güte in einem Maße, wie man sie heute kaum noch erfährt. Manchmal möchte man ungläubig über sie schmunzeln. Aber das habe ich mir längst abgewöhnt.

Zum Beispiel ihre Rezepte für allerlei Wehwehchen.

Als ich fast den ganzen Juni hindurch Lumbago-Probleme hatte, passierte folgendes. Ich konnte Sitzen, Stehen und Liegen, aber die kleinste falsche Bewegung jagte mir unglaubliche Schmerzen durchs gesamte Nervensystem. Ich hatte gerade auf der Bank vor dem Haus eine schmerzfreie Position gefunden, als sie mit zwei Kinderkopf großen Tomaten kam. Wie immer sprang ich höflich auf, um sie zu begrüßen, aber der Schmerz jagte mich unmittelbar in das blaue Firmament über der Piazza. Fast - so schien es mir - hätte ich dabei einen der kreisenden Rauhfuss-Bussarde vom Himmel geholt.

Als ich wieder in der vermutlich schmerzfreien Realität der Piazza angekommen war, sagte die Signora:
"Mach dir einen Brei aus Honig, Olivenöl, zerstoßenem Ingwer, einer Peperoncino und frischen Salbei-Blättern."
Albern und unwissend entfuhr mir ein "delicioso!".
"Nicht zum Essen Dummerchen! Das lässt du von deiner Frau im Schmerz-Bereich auftragen."

Ich blieb misstrauisch beim Voltaren, und die Schmerzen blieben.

Am nächsten Tag geht "Gutemiene" die Frau von "Majestix" über die Piazza und sieht mich schmerzverzerrt. Das Paar in unserem Alter, das in den Posts so heißt, weil es dem Häuptlingspaar aus Asterix und Obelix so ähnlich sieht (sie mit dickem blonden Pferdeschwanz und energischer Firgur, er klein, drahtig aber bestimmt), kommt immer häufiger zu unseren Gelagen auf der Piazza, Deshalb kennen wir natürlich die wahren Namen und sind dem Paar herzlich zugetan.

Daher erzähle ich ihr auch von dem Rezept der Signora E., und sie senkt sofort ihr Stimme:
"Das wende ich seit über dreißig Jahren an. Mein Mann, der Lustmolch, hat mich früher sehr gerne eingerieben. Einmal ist dabei wohl unsere Tochter entstanden..." Zwinkert kumpanenhaft und geht von dannen.

Mittlerweile weiß ich auch, weshalb jeder iauf der Piazza ehrfürchtig die Stimme senkt, wenn er von der "Seelensammlerin" spricht. Einerseits, weil die nach Westen offene Piazza ein gewaltiger Resonanzkörper ist, der direkt in Singnora E's  Haus in die Gasse unterhalb schallt. Aber viel dramatischer ist andererseits, die Tatsache, dass sie nahezu jeden der Burggeister einmal im Kommunions-Unterricht unter ihren strengen Fittichen hatte.

Die Langzeitwirkung scheint ungebrochen, was ich am Beispiel unseres Nachbarn Vittorio erleben durfte:

Am frühesten Morgen nach unserem vergeblichen Warten auf Wasser sehe ich Vittorio nackt bis auf bunte Boxer-Shorts auf der Brunnen-Mauer sitzen und genüsslich eine Zigarette rauchen, was er ja wegen seiner beschädigten Stimmbänder nicht tun soll. Sogar sein "Hundkater" Lazaro, der wie eine ägyptische Statue straff neben ihm sitzt, starrt ihn missbilligend an.

Wir flüstern also über den Verbleib des Wassers, als unter ihm die Haustür von Signora E. aufgeht.
Hastig wirft er die halb gerauchte Zigarette weg, da kommt die "Seelensammlerin" schon mit ihrem Wasser-Eimerchen am Arm die Treppe hoch.

"Tü fümü!", faucht sie böse mit ihrer Stentor-Stimme im Dialekt.
"No, No", winselt Vittorio, aber die Signora schaut nur stumm auf den Glimmstengel der zu ihren Füßen raucht. Bei jedem Mann in Vittorios bleicher Blöße hätte die Signore beschämt ihren Blick gesenkt. Nun war es der graue Panter Vittorio, der seinen Kopf hängen ließ...

Wieder einmal ertappt!

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