Donnerstag, 30. Juli 2015

Von Ameisen lernen

Heute war der Piazza-Kater Lazaro mal so richtig sauer. Er konnte sich winden, räkeln, putzen und gelangweilt gähnen. -  Ich nahm keine Notiz von ihm, weil ich etwas Spannenderes zu beobachten hatte:

Zwischen den zementierten und gefärbten Kieseln der Piazza hatte sich eine Ameisen-Straße gebildet. Sie verlief vom Lorbeer kommend parallel zu unserem Haus in einen Blumenkasten beim Nachbarn auf der anderen Seite. Es war anzunehmen, dass sich auf einer der beiden Seiten etwas Verlockendes befand. Aber so weit ich auch der Ameisenstraße folgte, ich fand nicht heraus, was es war.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ein hirnloser Ameisen-Killer bin, der panikartig zur Sprühdose greift, sobald er im Haus die ersten Späher entdeckt. Das unterscheidet mich von Henning Mankells Helden in dem äußerst lesenswerten "Anti-Wallander-Roman"  Die italienischen Schuhe. Der lässt stoisch  zu, dass ein Ameisenvolk in seinem Wohnzimmer einen Haufen baut, um zu überwintern.

Von den 200 Ameisen-Arten, die es in Europa gibt, haben wir auf der Burg ungefähr 10 Prozent: Von den winzig kleinen Roten, die höllisch zubeißen, bis zu den großen Schwarzen  Der Feind sind jedoch die mittelgroßen Braunen, die auch bei uns sofort auftauchen, wenn jemandem im Garten etwas Essbares runter gefallen ist. Einmal hatte ich oben im Wohnzimmer ein paar nachlässig verpackte Haferflocken-Kekse auf dem Couch-Tisch vergessen. Nach ein paar Stunden Abwesenheit war die Verpackung ein halber Ameisen-Bau, und die Brösel wurden über eine Straße, die vom Wohnzimmer über die Terrasse die Hauswand hinunter in die Gasse führte, abtransportiert. Das sind gute 25 Meter!

Wie machen Ameisen das?

Auf der Piazza konnte ich beobachten, dass sehr viel davon abhängt, wie gut sich die Späher orientieren können. Sie spüren die Nahrung auf und rasen dann auf dem vermeintlich kürzesten Weg in das Nest zurück, wobei sie Duftstoffe und Sekrete als Wegweiser für die Kollegen zurück lassen. Zurück im Bau spucken sie Proben aus und verteilen sie an das "Fußvolk", das sich hektisch sofort auf den Weg macht. Unfassbar, was die für ein Tempo entwickeln!

Aber das ganze hat natürlich einen Haken: Die Späher sind oft so aufgeregt, dass sie nicht unbedingt den kürzesten Weg finden. Auf der Piazza verläuft ein Muster linear. Die Kiesel sind also in einer Reihe angeordnet und entsprechend bildet der Zement dazwischen einen schnurgeraden Weg. Einige der anderen Späher haben diese Direttissima gefunden, aber konnten sich daheim wohl nicht durchsetzen. Also war die "Autobahn" längst nicht so frequentiert wie der Hindernis-Parcours über den sich alsbald das Gros der Heerscharen ergoss...

Vor gut 20 Jahren war ich an der Promotion eines Wege-Verlagerungs-Konzeptes in den Alpen beteiligt. Es stellte sich heraus, dass Abkürzungen bei Zickzack-Wegen zum Gipfel, die Einzelgänger angelegt hatten, dazu führten, dass immer mehr Wanderer diesem schlechten Beispiel folgten. Schlecht deshalb, weil die Abkürzungen bei Wolkenbrüchen auch den Wasserfluss durch das steilere Gelände veränderten. Die Folge: Korrosion, Auswaschungen und fort gespülte Wanderwege.

Die Lösung gegen das "Follower-Syndrom" war zwar einfach und zunächst teuer, aber sie rettete die angelegten, sichereren Wander-Routen. Ein paar Zwerg-Fichten und eine Knie hohe Barriere aus Holzstämmen lenkten auf Dauer von der Abkürzung ab.

Zurück zu den Ameisen: Das Interessante war, dass sie ja auch mühelos direkt über die wahllos verstreuten Kiesel hätten klettern können. Das taten sie nämlich vereinzelt. Dort, wo den Spähern wohl der erhöhte Punkt auf dem Rückweg zur Orientierung  gedient hatte...

Sind die denn blöd? Nein, ganz und gar nicht! Ameisen sind auf funktionierenden  Massenverkehr auch im unübersichtlichen Gelände angewiesen. Da kommt es auf Verkehrsplanung ohne Stau-Zonen an.

Im Internet erfuhr ich von Verhaltensforschern, die einem Ameisen-Volk auf dem Weg vom Bau zur Nahrung eine breite Brücke und einen Engpass angeboten hatten. Auf der breiten Brücke kam es genauso wenig zum Stau wie im Engpass. Ameisen passen ihr Verkehrsverhalten den jeweiligen Umständen an. Sie wechselten sich selbstverständlich mit dem Gegenverkehr ab, warteten geduldig oder praktizierten sogar das Reißverschluss-System.

Die größte Überraschung war jedoch, dass der Nahrungsmittel-Transport auf beiden Varianten gleich schnell war.

Sollten wir am Ende noch von den Ameisen lernen können?

Sorry ihr Schlaumeier! Im Haus mag ich euch trotzdem nicht haben...

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