Samstag, 18. Juli 2015

Gewöhnungseffekte

Sich Träume zu verwirklichen, ist mitunter nicht nur schwer, sondern auch recht gefährlich. Verwirklichte Träume sind sofort Realität mit gelegentlich kurzer Halbwert-Zeit.
Als vor 150 Jahren der Brite Edward Whymper am Matterhorn triumphierte, passierte auf dem Abstieg der tragische Unfall mit einem Teil seiner Seilschaft, der bis heute diskutiert wird.

Mein wichtigster journalistischer Lehrer gab mir in dieser Thematik einen wichtigen Rat mit auf den Weg:

"Pass auf, wem du beim Aufstieg auf die Hände trittst, es könnten nämlich die sein, die dich beim Absturz noch auffingen..."

Dennoch habe ich - wie wohl jeder Mensch - versucht, mir auch einige Träume zu erfüllen. Rückblickend - ohne die Energie der Jugend - denke ich mir, wie bescheuert die meisten Beweggründe waren und wie verzichtbar das Erstreben gewesen wäre. Etwa wie viel zu schnelles Fahren in sportiven Autos oder Gegenstände zu sammeln, die irgendwann wertlos verstauben, weil sie nicht mehr "in" sind.

Es muss gar nicht mal Gier sein, die Mann anhand von Gewöhnungseffekten überwindet, manchmal erweist sich ein ehrlicher Traum auch als Chimäre. Wenn in der Künstler-Szene die schönsten Männer der Welt die unerreicht schönsten Frauen heiraten, geht das nur selten gut, weil zuviel Schönheit nicht alltagstauglich ist.

 Mit unserem Haus hier gegenüber der Burg ging es mir eine Zeit lang ähnlich. Es war einfach zu schön, um wahr zu sein. Aber jedes Mal, wenn ich ins Zweifeln kam, musste ich daran denken, was wir alles getan haben, um uns unseren Traum zu erhalten. Und das ist - glaube ich - der springende Punkt. Ein Traum darf nicht in der Realität verschwinden.

Ein Beispiel: Im ersten Winter hier brachen bei einem Sturm mehrere Badewannen voller Regen-Wasser in das Zimmer, das wir als Schlafzimmer auserkoren hatten. Wir blieben dennoch bei der Entscheidung, obwohl es uns bis heute nie ganz gelungen ist, den geheimen Wasserfluss in den nicht mehr sichtbaren Lücken der ehemaligen Trocken-Mauer ganz versiegen zu lassen.

Wenn ich mich morgens im Bett aufrichte, blicke ich seither auf den Bergort  gegenüber, der bezeichnender Weise übersetzt "der Lichtgeborene" heißt. Jahrelang hatte ich eine kleine Kamera neben dem Bett, um all diese Stimmungen mit den ersten Lichtstrahlen einzufangen. Mit den digitalen Fotografien, die ja leicht zu löschen sind, müssen es wohl an die Tausend Fotos gewesen sein, die mich erkennen ließen, dass ich an dem Traum scheitern würde, diese Impressionen zu malen.

Und dann kam die Zeit der Achtlosigkeit. Wenn ich auf die Terrasse ging, nahm ich den grandiosen Rundblick kaum mehr war. Auf der Piazza saß ich stumpfsinnig herum, weil mir auf einmal klar wurde, dass vieles, was ich mir für hier verträumt hatte, nicht mehr ging: Skifahren in den Seealpen, die Pässe hier mit dem Rad fahren wie in den Anfangsjahren und jeden Tag mit dem Boot auf Fang gehen... Nichts schien vom Traum übrig geblieben zu sein.

Die "Zweitbeste" wurde nie umgetrieben, sie nahm dadurch alles viel konzentrierter wahr. Jeden Tag sagt sie voller Inbrunst: "Mein Gott - soviel Schönheit. Du musst nur immer gucken!"

Das tue ich jetzt. Mein eigener Spruch "Wer keine Träume mehr hat, hört auf zu leben!" erweist sich als vollkommen falsch. Einatmen, ausatmen - und ruhig weiter atmen...

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