Sonntag, 10. Mai 2015

Die Unaussprechliche

Die Seelensammlerin - so  nicht gerade in der Kirche oder für sie unterwegs - hört die meiste Zeit des Tages lautstark kirchliche Sender. Das heißt jedoch nicht,  dass sie  thematisch nicht mit der Aktualität auf Augenhöhe wäre:

Als Mariengläubige trauert sie dem Ratzi nach und missbilligt auf das Schärfste den lockeren sprachlichen Umgang von Francesco mit Themen der Sexualität. Petronella, das Teufelchen, die der Seelensammlerin immer noch nicht verziehen hat, ihren Sohn einst vom Kommunions-Unterricht ausgeschlossen zu haben, kann es deshalb nicht lassen, diese in heikle Diskussionen zu verwickeln.
Sebastiano, der damals lieber zum Skifahren gegangen ist, statt sich das Seelenheil zu sichern, ist mittlerweile zum bildschönen Modell-Athleten heran gereift, der mit seinem Motorroller von Freundin zu Freundin düst. Was natürlich im Nachrichten-Dienst der Signora nicht unbemerkt bleibt.

Neulich war es wieder so weit. Die beiden Damen führten in der Gasse ein intensives Gespräch, das den gesamten Globus der Sünden umspannte. Leider war der Wortwechsel so schnell, dass ich vieles nicht verstehen konnte. Deshalb stieg ich von der Terrasse herab und setzte mich auf die Bank an der Piazza.

Es ging um die unmögliche Toleranz gegenüber Schwulen, Transgendern, aber vor allem um die Unsitte italienischer Paare, in wilder Ehe zusammen zu leben. Das betrifft auch einige junge und alte Paare hier auf der Burg. Allen voran auch Petronella, Sie hat jetzt die jahrelang mit Marcello vor sich her geschobene Trauung auf ihren fünfzigsten Geburtstag terminiert, der nächstes Jahr ansteht.

Blondie Alicia, die sich in unserer Abwesenheit ums Haus kümmert, wedelte energisch mit dem Zeigefinger, als ich sie neulich beim Essen nach Heiratsplänen mit ihrem Antonio befragte. Dabei wäre sie mit 30 nach alten italienischen Vorstellungen längst überfällig. Reto und Theresa leben am Fuße des Borgos auch schon ohne Trauschein zusammen, seit wir hierher gekommen sind.  Sie haben auch Kinder - ungetauft...

Nach gut einer Stunde mit mehreren zähen Versuchen von einander los zu kommen, steigt Petronella dann verschmitzt grinsend zur Piazza hoch, und fragt mich, ob ich alles mitbekommen hätte. Ich schüttele gerade bedauernd meinen Kopf, als die Seelensammlerin unter uns einen spitzen Schrei ausstößt. Sie wird sich doch nicht zu sehr aufgeregt haben?

Petronella und die Zweitbeste eilen die Stufen hinunter. Ich schaue über die Brüstung und sehe, wie die Gottesfürchtige zitternd auf ein schwarzes Textil deutet.

Während Obelix mein Spitznamen-Geber ja seine blauweiß Gestreiften über dem Nabel trägt, bin ich trotz meines Schwerathleten-Bauches immer noch stolz, Hosen ohne Träger und ohne Rutschen unter dem Bauchnabel tragen zu können. Zeit meines Lebens als erwachsener Mann trage ich auch zu jeder Jahreszeit schwarze Slips, die dreieckig geschnitten sind. Als es noch darauf ankam, fand die auf Catcher-Typen stehende Damenwelt das durchaus anregend...

Was war geschehen? Der Wind hatte eines dieser Teile vom Trockenständer auf der Terrasse hinunter in die Gasse geweht. Die Signora hatte so etwas offenbar noch nie gesehen. Als die Zweitbeste das Textil, das ungetragen etwa das Format eines Kinder-Zeltes hat, gegen die Sonne hielt, verdunkelte sich der Tag für einen Moment.

Si,è mutande di mio marito! Ja, das ist die Unterhose meines Mannes!

Als es wieder hell wurde, war Signora wortlos mit hochrotem Kopf in ihrem Haus verschwunden.

Dass wir uns recht verstehen: Ich mag die Signora sehr. Ich bewundere ihre Festigkeit im Glauben, ihr soziales Engagement, und ich verstehe auch, dass sie aus ihrer Sicht gar nicht glauben kann, dass einer vielleicht nicht glauben kann.

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