Mittwoch, 13. Mai 2015

Der Bibliothekar, der keiner war

Viele unserer einheimischen Nachbarn machen nach außen hin nicht den Eindruck, als seien sie reich; vielleicht sind sie es nicht an Bargeld, aber gemessen an Immobilienbesitz und Ländereien sind sie allemal Millionäre. Wer sich ein Leben lang nichts gegönnt hat, ändert auch im Alter nichts. Ligurer in den Bergen sind nicht geizig, sie beschränken sich eben auf das, was die Natur ihnen bietet. Und warum dreimal am Tag umziehen, wenn die meiste Zeit des Tages in der Campagna oder im Horto verbracht wird?

Der 87jährige Teodorico ist da die noble Ausnahme. Selbst wenn er irgend eine körperliche Arbeit verrichtet, ist er immer adrett und gepflegt. Was die Gerüchte bestätigen könnte, er sei mit dem Adels-Geschlecht  verbandelt, das hier auf der Burg einst das Sagen hatte. Seine stolzen, an die Zeit der Medici erinnernden Gesichtszüge, sind jedoch nicht herrisch, sondern eher gütig und meistens von einer inneren Fröhlichkeit bestrahlt.

Teodorico bringt sein Geld unter die Leute - was eher "unligurisch" ist. Neulich kam er in die Bar Girasole, freute sich, dass wir da vor unserer Grappa saßen, winkte und war auch schon wieder zum Ratschen zu den anderen Alten gegangen. Als wir zahlen wollten, war die Zeche schon durch ihn beglichen. Wir konnten uns noch nicht einmal bedanken.

Als die Zweitbeste zum Gottesdienst anlässlich der abgeschlossenen Renovierung von Santa Anna am oberen Platz dabei war, wurde Teodorico als der Spender geehrt, ohne den diese Arbeiten nicht möglich gewesen wären.

Jetzt sehe ich ihn täglich mehrmals über die Piazza flitzen (Ja richtig! Er hüpft die Treppen rauf und runter, dass ich mit meinen kaputten Knien ganz neidisch werde). Immer hat er andere Werkzeuge dabei, denn er gibt seiner neue Großtat den letzten Schliff.

Er war auf die Idee gekommen, im alten und mit viel Liebe restaurierten Kinder-Asyl eine öffentliche Bibliothek einzurichten: als Anfang für eine Art Kultur-Zentrum. Denn trotz Fernsehen, E-Books und Internet glaubt Teodorico an die verbindende Kraft des Buches - wie das einst bei den Mönchen des Mittelalters der Fall war. Jede Nationalität soll vertreten sein. Das ist seine Vorstellung von Europa.

Kein Lebenswerk, sondern eines der Werke seines hoffentlich noch langen Lebens, das bleibt und erinnert:

An den Bibliothekar, der keiner war.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen