Mittwoch, 27. Mai 2015

Bade-Saison

Als ich vor beinahe 30 Jahren mit einem in Anting gebauten VW-Santana und dem zweiten an eine Langnase ausgestellten Fremden-Führerschein in der Chinesischen Volksrepublik am berühmten Kaiser-Kanal entlang fuhr, sagte mein aus Peking stammender Beifahrer und Übersetzer:

"Pass mal auf! Heute siehst du die Genossen noch in in ihren Wintersachen. den Steppjacken und der langen, wollenen Unterwäsche. Für morgen ist der Frühlingsanfang offiziell angesagt. Dann wirst du meine Landsleute in  Leinen-Maos beziehungsweise die Damen in ihren Seiden-Anzügen zur Arbeit gehen sehen... Egal. ob von der Taklamakan oder der Gobi noch eisige Winde wehen..."

Genau so war es.

Ist das nicht toll, dass die Staatsmacht einfach vorschrieb, wann der Winter zu Ende war? Meinen Teilzeit-Landsleuten hier in Ligurien schreibt der Renzi - obwohl Sozialist - nix vor. Und deshalb sind sie in diesen Tagen rund um Pfingsten, in denen normalerweise die Bade-Saison beginnt, hoffnungslos desorientiert. Was soll einer denn anziehen, wenn oben in den Bergen heuer noch Schnee liegt und die "Zweitbeste" mit Stepp- und Überdecke  nächtens allenfalls auf der Burg die Nasenspitze  freigibt?

Aber irgendwie sind wir zwei auch ein wenig chinesisch, denn nach dem Pfingstmontag fahren wir immer ans Meer, um die Bade-Saison (natürlich der Anderen) irgendwie mit zu eröffnen.

Nach dem Zeitfahren letzte Woche von San Lorenzo nach Sanremo zum Start  des Giro auf unserer Radel-Autobahn entlang der Küste, sind immer noch die rosaroten Dekorationen überall zu sehen. Die meisten unserer Stamm-Restaurants in Santo Stefano jedoch haben Ende Mai wegen des schlechten Wetters gleich wieder zu gemacht oder eröffnen gar - wenn überhaupt - unter anderer Führung  - wie das  Grotta D'Oro.

Jahrelang war das Qualität auf höchstem Niveau. Das niedliche Restaurant mit dem Wintergarten hatte aber den Nachteil, dass es durch die Straße vom Meer getrennt war.

In die allgemeine Service-Lücke ist jetzt der Besitzer der (ehemaligen?) Eisdiele La Palma vorgestoßen und hat seine Aussicht-Plattform über den Bade-Stränden kurzer Hand zum Restaurant umfunktioniert. Mit Erfolg, denn mittags waren alle Tische dort unter sturmfesten Sonnen-Schirmen besetzt.

Die "Zweitbeste" hatte Carpaccio von geräuchertem Schwertfisch auf im Wirtsgarten per Hand gepflücktem Rukola und danach Polpo-Patate. Ich hatte selbst gebeizte Alici und danach eine auf den Punkt gebratene Orata (Dorade, Goldbrasse). Mit  Wein, Wasser, Kaffee und Schnaps rangiert das La Palma in der 60-Euro-Kategorie.

Aber, was unbezahlbar war: Wir hatten auch einen Überblick über die (großzügig) geschätzten zwei Dutzend Wetterfesten, die ins Wasser gegangen sind. Besonders die älteren Semester entstiegen sichtlich gestrafft den Wellen.

Schön war die klimatische Zerrissenheit auch bei der Bedienung zu beobachten: Die eine in Jeans und Pullover, die andere in einem zu Scheherazade passenden, schwarzen Tüll-Geflatter obenrum. Dafür trug sie dazu dann braune, gefüttert Winterstiefel bis zum Knie.

Als ich die "Zweitbeste" süffisant auf  diese merkwürdige Kombination aufmerksam machte, meinte sie lapidar, ich hätte mal wieder total keine Ahnung, was angesagt sei:

Stiefel zum Sommer-Outfit seien nun einmal der letzte Schrei. Als alter Agnostiker machte ich schnell drei Kreuze. Bin ich doch recht dankbar, dass ich heute keinem Mädel mehr nach dem Arbeitstag aus den Sommer-Stiefeln helfen muss...

Und woran erkennt der Gast noch, dass Bade-Saison ist? Die Abzockerei mit den Parkgebühren  am Meer hat auch wieder angefangen...

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