Montag, 23. Juni 2014

Vom Brechen mit Traditionen

Wer sich  in Italien den traditionellen Rezepten für klassische Speisen  mit Veränderungsvorschlägen nähert, gerät schnell in den Verdacht ein Besser-Schmecker zu sein. Vor allem wenn er Ausländer ist, wird das auch gerne als Mäkelei ausgelegt. Deshalb  halte ich mich gerne gegenüber meinen allesamt glänzend kochenden Nachbarinnen bedeckt.

Jetzt hat der STERN in seiner aktuellen Ausgabe wieder das leidige Oliven-Öl-Thema hoch gekocht und macht daran den laxen Umgang meiner Gastgeber mit Grundnahrungsmitteln fest. Als hätte es in unseren Breiten in jüngster Vergangenheit nicht auch genügend Ekel-Vorfälle gegeben. Fakt ist jedoch, dass die knallharte italienische Lebensmittel-Kontrolle gerade tonnenweise kontaminierten Parmigiano beschlagnahmt hat, bevor er in den Handel kam!

Fest steht aber auch: Wo es um beliebte Zutaten geht, wird weltweit geschummelt auf Teufel komm raus. Und es trifft dann eben in erster Linie die Leser, die glauben, was in angesagten Gazetten als Gourmet-Trend stünde, müsse ultimativ nachvollzogen werden. Soviel Salz wird im Himalaya gar nicht von Hand gebrochen und über steile Pässe von Sherpas transportiert, um die globale Nachfrage nach dem rot gefärbten Zeugs zu befriedigen. Weil das jetzt aber viele Schein-Gourmets schon kapiert haben, geht nun der Run auf das schwarze Salz aus Indien los. Vom "Fleur de Sel" aus unserer "Nachbarschaft" will ich daher gar nicht mehr reden. Auch hier steigert eher der Kult die Geschmacks-Rezipienten. Unzweifelhaft stimuliert aber das Clustern der Kristalle zumindest optisch!

Hallooo! Es handelt sich bei Salz immer nur um das vom Körper dringend benötigte Natriumchlorid! Wir haben eine "einnormale" Salzsäure zur Verdauung in unserem Magen. Die muss stets nachgerüstet werden. Fünf Gramm - bei Herzkranken, wie ich einer bin, sogar weniger - reichen. Maximal fünf Prozent von dieser Dosis könnten also auf irgend eine Weise durch zusätzliche Mineralien unser Wohlbefinden steigern. - Das rechtfertigt jedoch  nicht die  mehr als hundertprozentigen Preis-Aufschläge!!!

Zurück zum Öl: 
Da sind wir hier oben in den Valle dell'Olio natürlich bevorzugt, weil wir direkt und unverschnitten vom Erzeuger nach Gusto zum bon prezzo kaufen können. Jedes andere (industrielle) Extra Vergine darf nach EU-Norm bis zu 25 Prozent verschnitten werden. Wer unter der Woche mal am Kai von Oneglia zum Essen geht oder einen Drink nimmt, kann bisweilen die Entladung von  Oliven-Granulat aus Nordafrika live beobachten. Was nicht heißt, dass das, was die großen Produzenten daraus anbieten, Schrott sein muss. So wie die Cuvée bei Weinen an Beliebtheit gewinnt, entscheidet letztlich der eigene Geschmack, ob einer ein Oliven-Öl toll findet oder nicht.

Wenn Gustavo uns sein selbst gepresstes Öl in alten- natürlich gründlich gespülten - Fünf-Liter-Billigwein- Karaffen auf die Piazza wuchtet, schmeckt es deutlich nicht so gut wie das Öl vom Super-Markt, das wir mit unseren Bonus-Payback-Punkten "gratis" (die "Zweitbeste" glaubt da immer noch dran) für besondere Zwecke eintauschen. Aber seines ist hundertprozentig rein und kostet noch nicht einmal umgerechnet die Hälfte des "Bonus-Öls".

Das versetzt mich in die Lage, mit Traditionen  aufgrund der nahrungsmitteltechnischen (tolles Wort!) Erkenntnisse zu brechen. Unstreitig ist der positive Einfluss des Olivenöls - ob verschnitten oder nicht - auf das HDL-Cholisterin in unseren Blutbahnen, aber darum geht es mir hier heute auch nicht. 

Ich bin ein unendlich bequemer Mensch. Deshalb nehme ich das Olivenöl quasi beim Kochen für alles und folge damit meiner heimlichen Liebe, der Frau unseres Ex-Bürgermeisters. Die - wie ich - in die Jahre gekommene Schönheit mit dem herzförmigen Gesicht und dem immer noch an die Lollobrigida erinnernden Körper nimmt nämlich überhaupt kein anderes Fett zum Kochen, Backen, Braten als ihr selbst gepresstes Öl von den eigenen Oliven-Terrassen. Ihre Kekse zum Beispiel , die sie bei Weihnachtsempfängen oder bei gemeinsamen Abenden auf unserer Piazza reicht, sind unerreicht (huhu, schon wieder so ein Wortspiel!)!

Alle ihre Rezepte sind pure Tradition - und damit bin ich nach all der Schwafelei, endlich bei meinem eigentlichen Thema: Man muss auch mit Traditionen brechen können, wenn einen die Ökotrophologen zwischenzeitlich mit besseren Erkenntnissen versorgen:

Ich nehme an, alle meine Leser kennen das italienische Schnellgericht:

Aglio, Olio con Peperoncino

Das ist natürlich ernährungstechnisch überhaupt nicht mehr zu verantworten. Deshalb habe ich mir erlaubt, es gemäß der Erkenntnis, dass Olivenöl (egal welches) am Siedepunkt alle seine Segnungen verliert und gerösteter Knoblauch, der vielen, ihm fälschlicher Weise zugedichteten, Eigenschaften ebenso verlustigt geht, folgender Maßen zu verändern:

Die Tradition verlangt, den Knoblauch im siedenden Olivenöl mitsamt dem Trocken-Peperoncino quasi schwarz zu rösten und dann die vorgekochten Spaghetti oder jegliche andere Pasta hinzu zu geben.

Meine Variante ist New-Style:

Ich zerhacke pro Person drei große Knoblauch-Zehen fein auf einem Brett, beträufele sie mit ein wenig Zitronensaft und gebe neben einem Esslöffel Melasse-Zucker  und einem Teelöffel Salz frische, gehackte Kräuter wie Basilikum, Oregano und Salbei hinzu. Das  vermenge ich und lasse deren etherischen Öle für zehn Minuten aufeinander reagieren. Das hat nicht nur weniger oder fast  gar keinen anschließenden Mundgeruch zur Folge, sondern bewahrt auch all die angeblich gesundheitlichen Segnungen dieser Zutaten.

Aber jetzt kommt es: 
Ich röste das dann nicht in siedendem Olivenöl, sondern brate und karamellisiere das in einem Esslöffel Butter. Wenn alles schön goldbraun ist, kommt fein geschnittener, frischer (!!!!) Peperoncino oder zur Not auch frischer Thai-Chilli hinzu. Wenn der im Topf welkt, nehme ich einen Esslöffel Tomaten-Mark und verrühre das. Erst dann kommen die vorgekochten Spaghetti hinzu. Sofort mache ich den Herd aus und gieße das am besten schmeckende Öl, das ich habe, darüber, bis das Ganze geschmeidig  goldfarben aussieht. - Und unvergleichlich nussig schmeckt...

Buon appetito!

1 Kommentar:

  1. Habe das Rezept genau so am Wochenende nachgekocht. In jedem Aspekt besser als meine bisherige Version! Das Tomatenmark gibt den letzten Schliff. Danke, freu mich immer wenn ich den Hummer sehe. Liebe Grüße

    AntwortenLöschen