Freitag, 6. Juni 2014

Geben oder nicht geben?

Die katholisch erzogene "Zweitbeste" lebt im unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen, während ich durch Erlebnisse weltweit aber auch das Studium der Abgründe im eigenen Charakter der gnerellen Überzeugung bin, dass jedem Menschen grundsätzlich alles zuzutrauen ist.
Dass diese Divergenz ein Dauerbrenner für unsere Diskussionen über Mildtätigkeit ist, liegt vor allem auf den Restaurant-Meilen dieser Blumen-Küste auf der Hand. Dort haben wir dreierlei "Wegelagerer", die einem den Appetit schon mal durch ihre Hartnäckigkeit verderben können. Sie operieren in Wellen, und seit ich die fabelhaften Romane des in Triest lebenden deutschen Krimi-Autoren Veit Heinichen gelesen habe, vermute ich hinter diesem Schwarmverhalten maffiöse Strukturen. Erst kommen die Verkäufer von Schirmen, oder Batterie betriebenem, bunten Krimskrams. Deren neuster Renner ist die Hand-Nähmaschine. Dann kommen die Musiker, von denen nur jeder zweite in etwa die Fähigkeit hat, ihn dieser Kategorie zu zu ordnen. Die meisten sind so schlecht, dass man von ihren  Kakophonien Ohren-Krebs bekommen könnte. Einmal war ich derart genervt, als mir das Geld-Tellerchen hingehalten wurde, dass ich zum Schein hinein griff und mich dann übertrieben böse beschwerte, dass da nicht genug als Wiedergutmachung drin sei, Der Typ hat darüber so entwaffnend nett gelacht, dass die Zweitbeste ihm direkt ein Zwei-Euro-Stück in die andere Hand drückte.
Die dritte Welle nervt aber nun endlich auch mal meine Frau. Das sind die, die sich das Gesicht mit Theater-Schminke weißen, in Laken kleiden und wie Geister zwischen den Tischen hindurch schleichen. Sie halten sich offenbar für belohnenswerte Kunstwerke. Da sind mir ja diejenigen, die nur stumm Schilder in der einen Hand und die Mütze für die Münzen in der anderen Hand halten, noch lieber. Als ausgewiesener Experte für Druck- und Handschriften ist mir aber aufgefallen, dass diese Schilder in ordentlichen Großbuchstaben und gleichem Zeilenfall in Sanremo, Imperia oder Bordighera identisch aussehen. Irgendwo im Geheimen sitzt also wohl einer, der unermüdlich diesen Satz auf schönen weißen Karton stets gleicher Qualität schreibt:


AIUTATEMI,

 HO FAME !

"Und was wäre, wenn die nun wirklich Hunger hätten", beginnt die "Zweitbeste" die Diskussion. "Wir sitzen hier und lassen uns das Mittagessen schmecken, während die durch unsere paar Münzen vielleicht einen Tag überleben können."
Meine Frau, die so liebenswerte Gewohnheiten hat, wie in jeder offenen Kirche eine Kerze für die Familie zu entzünden, analysiert die wenigen Male, in denen ich freimütig etwas gebe, grundsätzlich als Maßnahmen gegen mein schlechtes Gewissen. Für mich sei doch das Geben sowieso meist nur an die Erwartung geknüpft, dafür etwas zurück zu bekommen...
Was soll ich sagen? Irgendwie hat sie ja recht, aber selbst dabei habe ich Zeit meines Lebens allzu oft kein "Payback" gehabt...

Und dann muss eine höhere Macht meinen Gewissenskampf doch beobachtet und mir ein Gleichnis geschickt haben. 
Wir hatten diese Woche Besuch von einer lebenslangen Freundin. Für beide Damen die ideale Gelegenheit, auf dem Markt die Stände mit den Anziehsachen zu durchforsten. Eine Beschäftigung, die mich bei der dort herrschenden Enge und Fülle nach zwei Minuten in den Wahnsinn treibt. 

Also floh ich und setzte mich in das Cafe in der Ecke vor dem Dom zum Leute-Gucken. Auf der Treppe vor dem Dom saß ein ganz in Schwarz gehüllter Mann mit hängendem Kopf, dem offenbar die Beine fehlten. Jeder Zweite, der die erhabene Kirche betrat, warf etwas in seinen Pappbecher, weil er stumm ein Schild mit besagter Aufschrift dort angelehnt hatte, wo eigentlich Beine sein sollten.
Dann läutete es zwölf, und die Fußgänger-Zone starb schlagartig aus, weil alles dem mangiare pranzo a mamma zustrebte. Kaum waren die meisten Leute verschwunden, kam Leben in den armen Mann. Er stand geschmeidig auf und der schwarze Umhang - ein gar nicht mal billiger Australian Duster - wurde in eine Umhängetasche verstaut, die unter einer der Steinbänke versteckt war. Der Mann war jung und sportlich, hatte gerade, schlanke Beine, die in sehr guten Jeans steckten und an den Füßen trug er saubere Sneaker, die nur wenige Kilometer auf ihren Sohlen hatten...

Ich dachte, er schaute in meine Richtung, weil er sich  ertappt fühlte. Aber er grinste an mir vorbei, weil aus der Seitengasse hinter mit das Gespenst mit noch einem Charakter aus der "dritten Welle" erschien. Sie klopften sich gegenseitig freundschaftlich auf die Schultern und marschierten munter plaudernd und gar nicht hinfällig zum Hafen hinunter. Jetzt begann ja ihre Mittagsschicht in der zona di divertimento...

Natürlich kamen sie auch wieder zu uns, als ich die  Damen im Restaurant auf dem Kai wieder traf. Die beiden hatten jede Menge Münzen von ihren Beutezügen auf Schals und Blusen übrig, aber sie verteilten sie diesmal großzügig  nur an die Musiker. Bis ganz zum Schluss einer der älteren Bettler kam. Da waren nur noch fünfzig Cent in kleiner Stückelung übrig. Der Bettler rümpfte die Nase und hielt seine Mütze noch einmal hin.
"Basta", sagte die "Zweitbeste" zu ihm und zu uns: "Dem gebe ich das nächste Mal nichts mehr!"

Wie war das doch gleich mit den Erwartungen beim Geben?

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